Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. viele der Handwerker noch umherziehende technische Arbeiter, die auf der "Stör", auf demLande wie in der Stadt als helfende Glieder für Tage in die Hauswirtschaft kommen, bald überwiegen doch die in der Stadt auf dem Markte verkaufenden, in ihrer Werkstatt für ihre Kunden arbeitenden Meister; neben dem Lohnwerk treiben sie das Preiswerk, verkaufen bestellte Waren an ihre Kunden. Auch so bleiben sie mehr Hülfsorgane der örtlichen Hauswirtschaften, die bei ihnen bestellen, als Produzenten für einen größeren Markt. Doch fehlt dieser nicht, erst in der näheren, dann in der weiteren Umgebung. Große Meister und Händler kaufen zuletzt die Handwerksprodukte für den Fernabsatz; es entsteht die Hausindustrie vom 14.--18. Jahrhundert. Aber die Arbeitsteilung wird dadurch zunächst meist nicht viel anders. In der Werkstatt findet zwischen Meister, Gesellen und Lehrling nur eine geringe Arbeitsteilung statt, jeder erlernt und übt den ganzen Beruf. Wo Scheidungen sich nötig machen, vollziehen sie sich so, daß statt des einen Schmiedes der Schlosser, der Klein- und der Grobschmied, der Messerer und der Harnischmacher entsteht; Bücher nennt das Specialisation der Berufsteilung. Schon einer späteren Zeit gehört es an, daß dasselbe Rohprodukt vom Klingenschmied zum Härter und von diesem zum Reider oder- Fertigmacher geht, daß Spinnen, Weben, Färben verschiedene einander in die Hand arbeitende Handwerke werden; Bücher nennt das Produktionsteilung. War die handwerksmäßige Berufs- und Arbeitsteilung auch schon da und dort durch die höheren Formen, auf die wir gleich kommen, vom 16. Jahr- hundert an ersetzt, im ganzen herrschte sie bis 1800, ja in Mitteleuropa bis 1860 und 1870 vor. Die sociale Stellung der Handwerker hing überall an der Schwierigkeit und Die neuere Entwickelung mit ihrer ganz anderen Technik, ihren großen Verkehrs- Die Scheidung der Betriebe drückt sich am deutlichsten in unserer heutigen Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. viele der Handwerker noch umherziehende techniſche Arbeiter, die auf der „Stör“, auf demLande wie in der Stadt als helfende Glieder für Tage in die Hauswirtſchaft kommen, bald überwiegen doch die in der Stadt auf dem Markte verkaufenden, in ihrer Werkſtatt für ihre Kunden arbeitenden Meiſter; neben dem Lohnwerk treiben ſie das Preiswerk, verkaufen beſtellte Waren an ihre Kunden. Auch ſo bleiben ſie mehr Hülfsorgane der örtlichen Hauswirtſchaften, die bei ihnen beſtellen, als Produzenten für einen größeren Markt. Doch fehlt dieſer nicht, erſt in der näheren, dann in der weiteren Umgebung. Große Meiſter und Händler kaufen zuletzt die Handwerksprodukte für den Fernabſatz; es entſteht die Hausinduſtrie vom 14.—18. Jahrhundert. Aber die Arbeitsteilung wird dadurch zunächſt meiſt nicht viel anders. In der Werkſtatt findet zwiſchen Meiſter, Geſellen und Lehrling nur eine geringe Arbeitsteilung ſtatt, jeder erlernt und übt den ganzen Beruf. Wo Scheidungen ſich nötig machen, vollziehen ſie ſich ſo, daß ſtatt des einen Schmiedes der Schloſſer, der Klein- und der Grobſchmied, der Meſſerer und der Harniſchmacher entſteht; Bücher nennt das Specialiſation der Berufsteilung. Schon einer ſpäteren Zeit gehört es an, daß dasſelbe Rohprodukt vom Klingenſchmied zum Härter und von dieſem zum Reider oder- Fertigmacher geht, daß Spinnen, Weben, Färben verſchiedene einander in die Hand arbeitende Handwerke werden; Bücher nennt das Produktionsteilung. War die handwerksmäßige Berufs- und Arbeitsteilung auch ſchon da und dort durch die höheren Formen, auf die wir gleich kommen, vom 16. Jahr- hundert an erſetzt, im ganzen herrſchte ſie bis 1800, ja in Mitteleuropa bis 1860 und 1870 vor. Die ſociale Stellung der Handwerker hing überall an der Schwierigkeit und Die neuere Entwickelung mit ihrer ganz anderen Technik, ihren großen Verkehrs- Die Scheidung der Betriebe drückt ſich am deutlichſten in unſerer heutigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0366" n="350"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> viele der Handwerker noch umherziehende techniſche Arbeiter, die auf der „Stör“, auf dem<lb/> Lande wie in der Stadt als helfende Glieder für Tage in die Hauswirtſchaft kommen, bald<lb/> überwiegen doch die in der Stadt auf dem Markte verkaufenden, in ihrer Werkſtatt für ihre<lb/> Kunden arbeitenden Meiſter; neben dem Lohnwerk treiben ſie das Preiswerk, verkaufen<lb/> beſtellte Waren an ihre Kunden. 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In Griechenland und Rom erſcheinen ſie in der Mehrzahl tief herabgedrückt,<lb/> und in den deutſchen Städten haben ſie ſich Achtung, Anſehen, vielfach auch Wohlſtand<lb/> errungen, ſind bis in unſer Jahrhundert die Vertreter des bürgerlichen Mittelſtandes<lb/> geblieben.</p><lb/> <p>Die neuere Entwickelung mit ihrer ganz anderen Technik, ihren großen Verkehrs-<lb/> mitteln, ihrem Kapital, ihrer Organiſation des Abſatzes durch die Händler auf weite<lb/> Entfernungen hat die gewerbliche Arbeitsteilung gänzlich umgeſtaltet. Zunächſt iſt die<lb/><hi rendition="#g">Specialiſation</hi> der gewerblichen <hi rendition="#g">Betriebe</hi> außerordentlich gewachſen; teils ſo, daß<lb/> mehrere verſchiedene Betriebe ſich in die Fertigſtellung deſſen für die Märkte teilen, was<lb/> bisher in einem Betriebe angefertigt wurde; teils ſo, daß das eine Geſchäft Vorarbeiten<lb/> für andere, Maſchinen, Halbfabrikate ꝛc. herſtellt. 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Und wenn wir das ſyſtematiſche Verzeichnis der Gewerbearten der<lb/> mit der deutſchen Berufszählung von 1882 verbundenen Gewerbezählung ins Auge<lb/> faſſen, ſo ſehen wir, daß es 4785 Gewerbebenennungen (ohne Handel und Verkehr)<lb/> umfaßt; von dieſen iſt ein erheblicher Teil, wenn man die Zahl der Gewerbearten<lb/> kennen lernen will, abzuziehen; jedes Gewerbe, das verſchiedene Namen hat, iſt mit<lb/> allen ſeinen Namen aufgeführt; aber mehr als ein Drittel der Zahl dürften dieſe<lb/> Doppelbenennungen keinenfalls ausmachen. Allein die Metallverarbeitung ohne die<lb/> Hütten-, Walz-, Stahl-, Friſchwerke, ohne die Hochöfen- und Hammerwerke, aber<lb/> einſchließlich der Maſchinen- und Werkzeuginduſtrie gliedert ſich in 1248 verſchiedene<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [350/0366]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
viele der Handwerker noch umherziehende techniſche Arbeiter, die auf der „Stör“, auf dem
Lande wie in der Stadt als helfende Glieder für Tage in die Hauswirtſchaft kommen, bald
überwiegen doch die in der Stadt auf dem Markte verkaufenden, in ihrer Werkſtatt für ihre
Kunden arbeitenden Meiſter; neben dem Lohnwerk treiben ſie das Preiswerk, verkaufen
beſtellte Waren an ihre Kunden. Auch ſo bleiben ſie mehr Hülfsorgane der örtlichen
Hauswirtſchaften, die bei ihnen beſtellen, als Produzenten für einen größeren Markt.
Doch fehlt dieſer nicht, erſt in der näheren, dann in der weiteren Umgebung. Große
Meiſter und Händler kaufen zuletzt die Handwerksprodukte für den Fernabſatz; es
entſteht die Hausinduſtrie vom 14.—18. Jahrhundert. Aber die Arbeitsteilung wird
dadurch zunächſt meiſt nicht viel anders. In der Werkſtatt findet zwiſchen Meiſter,
Geſellen und Lehrling nur eine geringe Arbeitsteilung ſtatt, jeder erlernt und übt den
ganzen Beruf. Wo Scheidungen ſich nötig machen, vollziehen ſie ſich ſo, daß ſtatt des
einen Schmiedes der Schloſſer, der Klein- und der Grobſchmied, der Meſſerer und der
Harniſchmacher entſteht; Bücher nennt das Specialiſation der Berufsteilung. Schon
einer ſpäteren Zeit gehört es an, daß dasſelbe Rohprodukt vom Klingenſchmied zum
Härter und von dieſem zum Reider oder- Fertigmacher geht, daß Spinnen, Weben,
Färben verſchiedene einander in die Hand arbeitende Handwerke werden; Bücher nennt
das Produktionsteilung. War die handwerksmäßige Berufs- und Arbeitsteilung auch
ſchon da und dort durch die höheren Formen, auf die wir gleich kommen, vom 16. Jahr-
hundert an erſetzt, im ganzen herrſchte ſie bis 1800, ja in Mitteleuropa bis 1860
und 1870 vor.
Die ſociale Stellung der Handwerker hing überall an der Schwierigkeit und
Feinheit ihrer Kunſt, an dem Umſtand, ob ſie zugleich Acker- und Hausbeſitzer waren,
endlich an ihrer Fähigkeit, ſich zu organiſieren, ſich korporative und politiſche Rechte
zu erwerben. In Griechenland und Rom erſcheinen ſie in der Mehrzahl tief herabgedrückt,
und in den deutſchen Städten haben ſie ſich Achtung, Anſehen, vielfach auch Wohlſtand
errungen, ſind bis in unſer Jahrhundert die Vertreter des bürgerlichen Mittelſtandes
geblieben.
Die neuere Entwickelung mit ihrer ganz anderen Technik, ihren großen Verkehrs-
mitteln, ihrem Kapital, ihrer Organiſation des Abſatzes durch die Händler auf weite
Entfernungen hat die gewerbliche Arbeitsteilung gänzlich umgeſtaltet. Zunächſt iſt die
Specialiſation der gewerblichen Betriebe außerordentlich gewachſen; teils ſo, daß
mehrere verſchiedene Betriebe ſich in die Fertigſtellung deſſen für die Märkte teilen, was
bisher in einem Betriebe angefertigt wurde; teils ſo, daß das eine Geſchäft Vorarbeiten
für andere, Maſchinen, Halbfabrikate ꝛc. herſtellt. Die beſondere Herſtellung von Werk-
zeugen und Maſchinen für ſpätere Stadien des Produktionsprozeſſes nennt Bücher
Arbeitsverſchiebung. Am meiſten in die Augen ſpringend war aber die Teilung der
einzelnen Arbeitsoperationen in derſelben Werkſtatt, derſelben Fabrik; Bücher nennt
dieſe Art der gewerblichen Arbeitsteilung Arbeitszerlegung.
Die Scheidung der Betriebe drückt ſich am deutlichſten in unſerer heutigen
Gewerbeſtatiſtik aus: die Tabellen des Zollvereins ſchieden 1861 erſt 92 Arten von
Handwerks- und 121 von Fabrikbetrieben; die Pariſer Gewerbeſtatiſtik von 1847—48
hatte ſchon 325 Arten von Betrieben unterſchieden. Die deutſche Gewerbezählung von 1875
hat 15—1600 Arten von Gewerbebetrieben, und die bayeriſche Publikation fügt allein
398 Gewerbearten als ſolche hinzu, die nicht in die gegebene Klaſſifikation einzureihen
ihr gelungen ſei. Und wenn wir das ſyſtematiſche Verzeichnis der Gewerbearten der
mit der deutſchen Berufszählung von 1882 verbundenen Gewerbezählung ins Auge
faſſen, ſo ſehen wir, daß es 4785 Gewerbebenennungen (ohne Handel und Verkehr)
umfaßt; von dieſen iſt ein erheblicher Teil, wenn man die Zahl der Gewerbearten
kennen lernen will, abzuziehen; jedes Gewerbe, das verſchiedene Namen hat, iſt mit
allen ſeinen Namen aufgeführt; aber mehr als ein Drittel der Zahl dürften dieſe
Doppelbenennungen keinenfalls ausmachen. Allein die Metallverarbeitung ohne die
Hütten-, Walz-, Stahl-, Friſchwerke, ohne die Hochöfen- und Hammerwerke, aber
einſchließlich der Maſchinen- und Werkzeuginduſtrie gliedert ſich in 1248 verſchiedene
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