Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. sich unter Aufzeichnung der Geschlechtsregister einheitlich organisierte, die Abstammungaller seiner Glieder von einem Stammvater lehrte, die priesterlichen Satzungen definitiv fixierte. Ähnlich wird es anderwärts, in Ägypten, Indien, Mexiko und Peru gegangen sein, während bei den Griechen und Römern das Priestertum mehr als Nebenwürde des weltlichen Adels erscheint, bei den Kelten die Herrschaft der Druiden durch die römische Eroberung gebrochen wird, bei Slaven und Germanen eine abschließende Sonderbildung der Priester noch nicht vollzogen war, als das Christentum eindrang. Die christliche Kirche des Mittelalters ruht auf einer internationalen Priesterzunft, die zwölf Jahr- hunderte lang an der Spitze der europäischen Menschheit steht. Die ganze Entwickelung ist in ihrem Höhepunkte ebenso sehr Ständebildung wie Indem die Priester mit Orakeln, Kultvorschriften und Gesetzen die Menge bändigten Die Priester lebten ursprünglich von Bettel, Geschenk und Gaben, teilweise blieben Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ſich unter Aufzeichnung der Geſchlechtsregiſter einheitlich organiſierte, die Abſtammungaller ſeiner Glieder von einem Stammvater lehrte, die prieſterlichen Satzungen definitiv fixierte. Ähnlich wird es anderwärts, in Ägypten, Indien, Mexiko und Peru gegangen ſein, während bei den Griechen und Römern das Prieſtertum mehr als Nebenwürde des weltlichen Adels erſcheint, bei den Kelten die Herrſchaft der Druiden durch die römiſche Eroberung gebrochen wird, bei Slaven und Germanen eine abſchließende Sonderbildung der Prieſter noch nicht vollzogen war, als das Chriſtentum eindrang. Die chriſtliche Kirche des Mittelalters ruht auf einer internationalen Prieſterzunft, die zwölf Jahr- hunderte lang an der Spitze der europäiſchen Menſchheit ſteht. Die ganze Entwickelung iſt in ihrem Höhepunkte ebenſo ſehr Ständebildung wie Indem die Prieſter mit Orakeln, Kultvorſchriften und Geſetzen die Menge bändigten Die Prieſter lebten urſprünglich von Bettel, Geſchenk und Gaben, teilweiſe blieben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="330"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> ſich unter Aufzeichnung der Geſchlechtsregiſter einheitlich organiſierte, die Abſtammung<lb/> aller ſeiner Glieder von einem Stammvater lehrte, die prieſterlichen Satzungen definitiv<lb/> fixierte. 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Kein ſpäterer Schritt der Arbeitsteilung und Ständebildung<lb/> hat tiefer eingegriffen als dieſer: die Geiſterfurcht des Naturmenſchen und das unklare<lb/> Gefühl der Abhängigkeit von den dahingegangenen Geſchlechtern wird das große In-<lb/> ſtrument, die Millionen für Jahrhunderte und Jahrtauſende in eine faſt ſklaviſche<lb/> Abhängigkeit von einer kleinen Prieſterſchar zu bringen; die Erfüllung der endloſen,<lb/> alles Leben auf Schritt und Tritt begleitenden, teilweiſe tiefſinnigen und wohldurch-<lb/> dachten, teilweiſe aber auch ſinnloſen Kulthandlungen wird eine pſychiſche und wirtſchaft-<lb/> liche Laſt, die auf die Individuen und die Geſellſchaft mit nie ruhender Qual drückt.<lb/> Ein Drittel und mehr alles Bodenertrages und aller Arbeitskraft nimmt die Prieſter-<lb/> ariſtokratie und der Kult in den alten Prieſterſtaaten und im Mittelalter in Anſpruch,<lb/> als Gegengabe geiſtigen Troſt ſpendend und auf das Leben im Jenſeits verweiſend.<lb/> Furchtbare Mißbräuche, roher Betrug, gemeine Übervorteilung knüpfen ſich da und dort<lb/> an die Prieſterherrſchaft, zumal in ihren ſpäteren Stadien. Aber ſie war, beſonders in<lb/> ihrer erſten Hälfte, doch für alle Kulturvölker die Bedingung ihrer Erhebung; nicht<lb/> umſonſt ſind Jahrhunderte lang die Prieſterſtaaten die Träger des Fortſchrittes, die<lb/> reichſten und gebildetſten Gemeinweſen. Die Arbeitsteilung, die in ihnen ſtattfand, war<lb/> eben in der Hauptſache doch nichts anderes als ein Sieg der edleren und klügeren<lb/> Elemente über die rohe Kraft der Maſſe. Das Vertrauen der großen Menge auf die<lb/> ſcheinbar übernatürliche Kräfte beſitzenden Prieſter bezeichnet H. Spencer als unentbehr-<lb/> liches Hülfsmittel des geſellſchaftlichen Zuſammenfaſſens der Kräfte auf primitiver<lb/> Kulturſtufe.</p><lb/> <p>Indem die Prieſter mit Orakeln, Kultvorſchriften und Geſetzen die Menge bändigten<lb/> und ordneten, ſchoben ſie allmählich in die rohen Vorſtellungen über Befriedigung der<lb/> Toten und der Geiſter die ſittlichen Gebote eines höheren ſocialen Daſeins ein. 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Sie waren für Jahrhunderte die<lb/> politiſchen und wirtſchaftlichen Organiſatoren, die erſten Sammler großer Schätze, die<lb/> erſten Bankiers, die erſten Techniker und Leiter großer gemeinnütziger Waſſer- und<lb/> Strombauten.</p><lb/> <p>Die Prieſter lebten urſprünglich von Bettel, Geſchenk und Gaben, teilweiſe blieben<lb/> ſie auch Hauswirte und Ackerbauer; bald aber waren ſie, wie erwähnt, mit Vermögen<lb/> und Einkommen aller Art ausgeſtattet. Sie vereinigten in älterer Zeit alle höhere<lb/> geiſtige Bildung, ſie ſind zu gleicher Zeit die Ärzte, die Kenner des Rechtes, die Jugend-<lb/> erzieher und Lehrer; ſie ſind Aſtronomen, alle feinere Kunſt und Technik liegt in ihren<lb/> Händen. Auf dem Höhepunkte ihrer Herrſchaft haben ſie ſich ſelbſt in eine Hierarchie<lb/> höherer und niederer, arbeitsgeteilter Berufe und Beſchäftigungen geſchieden. Die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0346]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſich unter Aufzeichnung der Geſchlechtsregiſter einheitlich organiſierte, die Abſtammung
aller ſeiner Glieder von einem Stammvater lehrte, die prieſterlichen Satzungen definitiv
fixierte. Ähnlich wird es anderwärts, in Ägypten, Indien, Mexiko und Peru gegangen
ſein, während bei den Griechen und Römern das Prieſtertum mehr als Nebenwürde des
weltlichen Adels erſcheint, bei den Kelten die Herrſchaft der Druiden durch die römiſche
Eroberung gebrochen wird, bei Slaven und Germanen eine abſchließende Sonderbildung
der Prieſter noch nicht vollzogen war, als das Chriſtentum eindrang. Die chriſtliche
Kirche des Mittelalters ruht auf einer internationalen Prieſterzunft, die zwölf Jahr-
hunderte lang an der Spitze der europäiſchen Menſchheit ſteht.
Die ganze Entwickelung iſt in ihrem Höhepunkte ebenſo ſehr Ständebildung wie
Arbeitsteilung, aber ihre Kraft ruht ausſchließlich auf der ſpeciellen Ausbildung der
ſittlichen und geiſtigen Kräfte bei den Zauberern und Prieſtern und den hiedurch ihnen
allein möglichen Leiſtungen. Kein ſpäterer Schritt der Arbeitsteilung und Ständebildung
hat tiefer eingegriffen als dieſer: die Geiſterfurcht des Naturmenſchen und das unklare
Gefühl der Abhängigkeit von den dahingegangenen Geſchlechtern wird das große In-
ſtrument, die Millionen für Jahrhunderte und Jahrtauſende in eine faſt ſklaviſche
Abhängigkeit von einer kleinen Prieſterſchar zu bringen; die Erfüllung der endloſen,
alles Leben auf Schritt und Tritt begleitenden, teilweiſe tiefſinnigen und wohldurch-
dachten, teilweiſe aber auch ſinnloſen Kulthandlungen wird eine pſychiſche und wirtſchaft-
liche Laſt, die auf die Individuen und die Geſellſchaft mit nie ruhender Qual drückt.
Ein Drittel und mehr alles Bodenertrages und aller Arbeitskraft nimmt die Prieſter-
ariſtokratie und der Kult in den alten Prieſterſtaaten und im Mittelalter in Anſpruch,
als Gegengabe geiſtigen Troſt ſpendend und auf das Leben im Jenſeits verweiſend.
Furchtbare Mißbräuche, roher Betrug, gemeine Übervorteilung knüpfen ſich da und dort
an die Prieſterherrſchaft, zumal in ihren ſpäteren Stadien. Aber ſie war, beſonders in
ihrer erſten Hälfte, doch für alle Kulturvölker die Bedingung ihrer Erhebung; nicht
umſonſt ſind Jahrhunderte lang die Prieſterſtaaten die Träger des Fortſchrittes, die
reichſten und gebildetſten Gemeinweſen. Die Arbeitsteilung, die in ihnen ſtattfand, war
eben in der Hauptſache doch nichts anderes als ein Sieg der edleren und klügeren
Elemente über die rohe Kraft der Maſſe. Das Vertrauen der großen Menge auf die
ſcheinbar übernatürliche Kräfte beſitzenden Prieſter bezeichnet H. Spencer als unentbehr-
liches Hülfsmittel des geſellſchaftlichen Zuſammenfaſſens der Kräfte auf primitiver
Kulturſtufe.
Indem die Prieſter mit Orakeln, Kultvorſchriften und Geſetzen die Menge bändigten
und ordneten, ſchoben ſie allmählich in die rohen Vorſtellungen über Befriedigung der
Toten und der Geiſter die ſittlichen Gebote eines höheren ſocialen Daſeins ein. Aus
der Vorſtellung, daß Opfer, Faſten und Geſchenke die Götter beſchwichtigen, wurde die
edlere, daß die Zauberformel des heiligen Wortes und das Gebet die Hauptſache ſei;
aus der Vorſtellung, daß gerecht ſei, wer viel Kühe den Prieſtern darbringe, wurde die
edlere, daß gerecht ſei, wer ſeine Eltern ehre, nicht ſtehle, nicht lüge, nicht ehebreche,
den Witwen und Waiſen beiſtehe. Die Prieſter waren für unendlich lange Zeiträume
die Pfadfinder und Bahnbrecher auf den Wegen der ſocialen Zucht und der ſteigenden
ſittlichen Erkenntnis, des Tempel- und Hausbaues, der Zeit- und Kalenderbeſtimmung,
der Schriftkunde und unzähliger anderer Fortſchritte. Sie waren für Jahrhunderte die
politiſchen und wirtſchaftlichen Organiſatoren, die erſten Sammler großer Schätze, die
erſten Bankiers, die erſten Techniker und Leiter großer gemeinnütziger Waſſer- und
Strombauten.
Die Prieſter lebten urſprünglich von Bettel, Geſchenk und Gaben, teilweiſe blieben
ſie auch Hauswirte und Ackerbauer; bald aber waren ſie, wie erwähnt, mit Vermögen
und Einkommen aller Art ausgeſtattet. Sie vereinigten in älterer Zeit alle höhere
geiſtige Bildung, ſie ſind zu gleicher Zeit die Ärzte, die Kenner des Rechtes, die Jugend-
erzieher und Lehrer; ſie ſind Aſtronomen, alle feinere Kunſt und Technik liegt in ihren
Händen. Auf dem Höhepunkte ihrer Herrſchaft haben ſie ſich ſelbſt in eine Hierarchie
höherer und niederer, arbeitsgeteilter Berufe und Beſchäftigungen geſchieden. Die
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