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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Entstehung und das Wesen der Steuern.
Steuern schieben sich nun auch noch mannigfach die älteren Vorstellungen eines Preises,
einer Gebühr, eines Beitrages ein, aber im ganzen überwiegt der Gesichtspunkt, daß
jeder zahlen soll nach seiner Kraft. Die Austeilung, Anlegung und Abmessung der
Steuern ist zuerst und lange eine sehr rohe, ungleiche, und deshalb eben führen die Bürger
gegen sie einen langen Kampf. Erst in neuerer Zeit hat man sie nach Reinertrag, Ein-
kommen und Vermögen, sowie nach der Art des Einkommens (Arbeits- und Vermögens-
einkommen), nach der Kinderzahl und anderen Merkmalen abgestuft, hat man die älteren
Befreiungen der Geistlichen und der Ritter, der Beamten, oft auch einzelner Landesteile
beseitigt, den Grundsatz gleicher Steuerpflicht durchgeführt.

Es ist natürlich, daß die Steuer sich schwerer einbürgern konnte als die direkte
Bezahlung einer Leistung, als Gebühren. Unvollkommen, oft ungerecht angelegt, erschien
sie dem gering entwickelten Staatsbewußtsein nur als ein Raub an der Privatwirtschaft,
als ein erzwungener Beitrag für die fürstlichen Zwecke, für die Sonderinteressen der
herrschenden. Sie bestand Jahrhunderte lang in einem Erpressungssystem; ihre Ver-
wendung erfolgte ohne Kontrolle. Die Einsicht in ihre Notwendigkeit, in ihren Nutzen,
in die Vorteile, die aus ihrer Verwendung durch die Macht- und Rechtsorganisation
generell für alle entspringen, kann nur bei ganz hochstehenden Menschen in gut regierten
Staaten entstehen. Deshalb ist es so schwer, auch heute noch meist unmöglich, alle
Staatsausgaben auf Steuern zu basieren.

Die ständische Steuerbewilligung beseitigte die alten gröbsten Mißbräuche, schuf
ein Paktieren von Regierung und Steuerzahlern über die "generelle Entgeltlichkeit";
aber sie erschwerte bald auch die Ausbildung und Reform der Steuern, so daß der
absolute Staat doch wieder nach einem möglichst unbeschränkten Steuerhoheitsrechte
strebte, das aber durch die konstitutionelle Regierungsform und das Budgetrecht wieder
in die Bahn von Verhandlungen zwischen Regierung und Steuerzahlern zurücklenkte.

Das Problem, staatliche Steuern ohne zu viel Ungerechtigkeit und Druck, Mißbehagen
und Betrug umzulegen, war schon technisch so schwierig, daß Steuerreformen auch in den
bestorganisierten Staaten nur in Zeiten der größten Not oder des größten nationalen
Aufschwunges den fähigsten Staatsmännern glückten. Es war schon ein Großes, wenn
statt der städtischen Vermögenssteuern oder statt der gleichen Heranziehung jeder Hufe
des platten Landes es endlich gelang, ein Verzeichnis des steuerbaren Vermögens und
Einkommens in Geldeswert für ein ganzes Land zu machen, wie solche in Deutschland
im 15.--16. Jahrhundert doch mannigfach zustande kamen; aber die unveränderten
Verzeichnisse blieben dann viele Menschenalter hindurch die Grundlage der Besteuerung,
man war nicht fähig, sie immer neu zu revidieren; man besteuerte zuletzt, weil die
Kataster zu schlecht waren, wieder die Kopf- oder Viehzahl, die Hufenzahl, die Zahl
der Schornsteine. Jahrhunderte lang hat so England beispiellos schlechte direkte Steuern
gehabt, bis Pitt und Peel 1798 und 1842 die Einkommensteuer durchführten. Und
unter fast noch ungerechterer Umlegung der sogenannten taille, einer allgemeinen direkten
Vermögens- und Erwerbssteuer, hat Frankreich geseufzt, bis die Revolution und Napoleon I.
das Ertragssteuersystem schufen, das heute noch besteht. In Preußen hat die Staats-
gewalt 1713--1861 mit den widerstrebenden Provinzial- und Adelsinteressen ringen
müssen, um endlich die Hufen- und Schoßkataster des 16. Jahrhunderts zu einer gerechten
Grundsteuer umzubilden; von 1820--1891 hat es gedauert, bis die rohe Klassensteuer
zu einer halbwegs brauchbaren Einkommensteuer wurde.

Auch die Mahl-, Schlacht-, Bier-, Weinsteuern, die einst in einer kleinen Stadt
nicht so schwer umzulegen waren, boten, auf ganze Länder, auf das platte Land erstreckt,
unsägliche Schwierigkeiten. Auch sie haben in Deutschland gegen 1500 ihre erste Aus-
bildung für ganze Territorien erhalten, sind dann im 17. Jahrhundert fast in ganz
Europa rasch fiskalisch vermehrt worden, haben im 18. Jahrhundert aber kaum eine
wesentliche Reform erfahren; sie haben erst nach den Freiheitskriegen und in den letzten
zwei bis drei Menschenaltern eine etwas bessere Gestaltung in den meisten Staaten
erhalten. Auch das Zollwesen ist vollständig rationell erst in den letzten hundert
Jahren ausgebildet worden.

20*

Die Entſtehung und das Weſen der Steuern.
Steuern ſchieben ſich nun auch noch mannigfach die älteren Vorſtellungen eines Preiſes,
einer Gebühr, eines Beitrages ein, aber im ganzen überwiegt der Geſichtspunkt, daß
jeder zahlen ſoll nach ſeiner Kraft. Die Austeilung, Anlegung und Abmeſſung der
Steuern iſt zuerſt und lange eine ſehr rohe, ungleiche, und deshalb eben führen die Bürger
gegen ſie einen langen Kampf. Erſt in neuerer Zeit hat man ſie nach Reinertrag, Ein-
kommen und Vermögen, ſowie nach der Art des Einkommens (Arbeits- und Vermögens-
einkommen), nach der Kinderzahl und anderen Merkmalen abgeſtuft, hat man die älteren
Befreiungen der Geiſtlichen und der Ritter, der Beamten, oft auch einzelner Landesteile
beſeitigt, den Grundſatz gleicher Steuerpflicht durchgeführt.

Es iſt natürlich, daß die Steuer ſich ſchwerer einbürgern konnte als die direkte
Bezahlung einer Leiſtung, als Gebühren. Unvollkommen, oft ungerecht angelegt, erſchien
ſie dem gering entwickelten Staatsbewußtſein nur als ein Raub an der Privatwirtſchaft,
als ein erzwungener Beitrag für die fürſtlichen Zwecke, für die Sonderintereſſen der
herrſchenden. Sie beſtand Jahrhunderte lang in einem Erpreſſungsſyſtem; ihre Ver-
wendung erfolgte ohne Kontrolle. Die Einſicht in ihre Notwendigkeit, in ihren Nutzen,
in die Vorteile, die aus ihrer Verwendung durch die Macht- und Rechtsorganiſation
generell für alle entſpringen, kann nur bei ganz hochſtehenden Menſchen in gut regierten
Staaten entſtehen. Deshalb iſt es ſo ſchwer, auch heute noch meiſt unmöglich, alle
Staatsausgaben auf Steuern zu baſieren.

Die ſtändiſche Steuerbewilligung beſeitigte die alten gröbſten Mißbräuche, ſchuf
ein Paktieren von Regierung und Steuerzahlern über die „generelle Entgeltlichkeit“;
aber ſie erſchwerte bald auch die Ausbildung und Reform der Steuern, ſo daß der
abſolute Staat doch wieder nach einem möglichſt unbeſchränkten Steuerhoheitsrechte
ſtrebte, das aber durch die konſtitutionelle Regierungsform und das Budgetrecht wieder
in die Bahn von Verhandlungen zwiſchen Regierung und Steuerzahlern zurücklenkte.

Das Problem, ſtaatliche Steuern ohne zu viel Ungerechtigkeit und Druck, Mißbehagen
und Betrug umzulegen, war ſchon techniſch ſo ſchwierig, daß Steuerreformen auch in den
beſtorganiſierten Staaten nur in Zeiten der größten Not oder des größten nationalen
Aufſchwunges den fähigſten Staatsmännern glückten. Es war ſchon ein Großes, wenn
ſtatt der ſtädtiſchen Vermögensſteuern oder ſtatt der gleichen Heranziehung jeder Hufe
des platten Landes es endlich gelang, ein Verzeichnis des ſteuerbaren Vermögens und
Einkommens in Geldeswert für ein ganzes Land zu machen, wie ſolche in Deutſchland
im 15.—16. Jahrhundert doch mannigfach zuſtande kamen; aber die unveränderten
Verzeichniſſe blieben dann viele Menſchenalter hindurch die Grundlage der Beſteuerung,
man war nicht fähig, ſie immer neu zu revidieren; man beſteuerte zuletzt, weil die
Kataſter zu ſchlecht waren, wieder die Kopf- oder Viehzahl, die Hufenzahl, die Zahl
der Schornſteine. Jahrhunderte lang hat ſo England beiſpiellos ſchlechte direkte Steuern
gehabt, bis Pitt und Peel 1798 und 1842 die Einkommenſteuer durchführten. Und
unter faſt noch ungerechterer Umlegung der ſogenannten taille, einer allgemeinen direkten
Vermögens- und Erwerbsſteuer, hat Frankreich geſeufzt, bis die Revolution und Napoleon I.
das Ertragsſteuerſyſtem ſchufen, das heute noch beſteht. In Preußen hat die Staats-
gewalt 1713—1861 mit den widerſtrebenden Provinzial- und Adelsintereſſen ringen
müſſen, um endlich die Hufen- und Schoßkataſter des 16. Jahrhunderts zu einer gerechten
Grundſteuer umzubilden; von 1820—1891 hat es gedauert, bis die rohe Klaſſenſteuer
zu einer halbwegs brauchbaren Einkommenſteuer wurde.

Auch die Mahl-, Schlacht-, Bier-, Weinſteuern, die einſt in einer kleinen Stadt
nicht ſo ſchwer umzulegen waren, boten, auf ganze Länder, auf das platte Land erſtreckt,
unſägliche Schwierigkeiten. Auch ſie haben in Deutſchland gegen 1500 ihre erſte Aus-
bildung für ganze Territorien erhalten, ſind dann im 17. Jahrhundert faſt in ganz
Europa raſch fiskaliſch vermehrt worden, haben im 18. Jahrhundert aber kaum eine
weſentliche Reform erfahren; ſie haben erſt nach den Freiheitskriegen und in den letzten
zwei bis drei Menſchenaltern eine etwas beſſere Geſtaltung in den meiſten Staaten
erhalten. Auch das Zollweſen iſt vollſtändig rationell erſt in den letzten hundert
Jahren ausgebildet worden.

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[307/0323] Die Entſtehung und das Weſen der Steuern. Steuern ſchieben ſich nun auch noch mannigfach die älteren Vorſtellungen eines Preiſes, einer Gebühr, eines Beitrages ein, aber im ganzen überwiegt der Geſichtspunkt, daß jeder zahlen ſoll nach ſeiner Kraft. Die Austeilung, Anlegung und Abmeſſung der Steuern iſt zuerſt und lange eine ſehr rohe, ungleiche, und deshalb eben führen die Bürger gegen ſie einen langen Kampf. Erſt in neuerer Zeit hat man ſie nach Reinertrag, Ein- kommen und Vermögen, ſowie nach der Art des Einkommens (Arbeits- und Vermögens- einkommen), nach der Kinderzahl und anderen Merkmalen abgeſtuft, hat man die älteren Befreiungen der Geiſtlichen und der Ritter, der Beamten, oft auch einzelner Landesteile beſeitigt, den Grundſatz gleicher Steuerpflicht durchgeführt. Es iſt natürlich, daß die Steuer ſich ſchwerer einbürgern konnte als die direkte Bezahlung einer Leiſtung, als Gebühren. Unvollkommen, oft ungerecht angelegt, erſchien ſie dem gering entwickelten Staatsbewußtſein nur als ein Raub an der Privatwirtſchaft, als ein erzwungener Beitrag für die fürſtlichen Zwecke, für die Sonderintereſſen der herrſchenden. Sie beſtand Jahrhunderte lang in einem Erpreſſungsſyſtem; ihre Ver- wendung erfolgte ohne Kontrolle. Die Einſicht in ihre Notwendigkeit, in ihren Nutzen, in die Vorteile, die aus ihrer Verwendung durch die Macht- und Rechtsorganiſation generell für alle entſpringen, kann nur bei ganz hochſtehenden Menſchen in gut regierten Staaten entſtehen. Deshalb iſt es ſo ſchwer, auch heute noch meiſt unmöglich, alle Staatsausgaben auf Steuern zu baſieren. Die ſtändiſche Steuerbewilligung beſeitigte die alten gröbſten Mißbräuche, ſchuf ein Paktieren von Regierung und Steuerzahlern über die „generelle Entgeltlichkeit“; aber ſie erſchwerte bald auch die Ausbildung und Reform der Steuern, ſo daß der abſolute Staat doch wieder nach einem möglichſt unbeſchränkten Steuerhoheitsrechte ſtrebte, das aber durch die konſtitutionelle Regierungsform und das Budgetrecht wieder in die Bahn von Verhandlungen zwiſchen Regierung und Steuerzahlern zurücklenkte. Das Problem, ſtaatliche Steuern ohne zu viel Ungerechtigkeit und Druck, Mißbehagen und Betrug umzulegen, war ſchon techniſch ſo ſchwierig, daß Steuerreformen auch in den beſtorganiſierten Staaten nur in Zeiten der größten Not oder des größten nationalen Aufſchwunges den fähigſten Staatsmännern glückten. Es war ſchon ein Großes, wenn ſtatt der ſtädtiſchen Vermögensſteuern oder ſtatt der gleichen Heranziehung jeder Hufe des platten Landes es endlich gelang, ein Verzeichnis des ſteuerbaren Vermögens und Einkommens in Geldeswert für ein ganzes Land zu machen, wie ſolche in Deutſchland im 15.—16. Jahrhundert doch mannigfach zuſtande kamen; aber die unveränderten Verzeichniſſe blieben dann viele Menſchenalter hindurch die Grundlage der Beſteuerung, man war nicht fähig, ſie immer neu zu revidieren; man beſteuerte zuletzt, weil die Kataſter zu ſchlecht waren, wieder die Kopf- oder Viehzahl, die Hufenzahl, die Zahl der Schornſteine. Jahrhunderte lang hat ſo England beiſpiellos ſchlechte direkte Steuern gehabt, bis Pitt und Peel 1798 und 1842 die Einkommenſteuer durchführten. Und unter faſt noch ungerechterer Umlegung der ſogenannten taille, einer allgemeinen direkten Vermögens- und Erwerbsſteuer, hat Frankreich geſeufzt, bis die Revolution und Napoleon I. das Ertragsſteuerſyſtem ſchufen, das heute noch beſteht. In Preußen hat die Staats- gewalt 1713—1861 mit den widerſtrebenden Provinzial- und Adelsintereſſen ringen müſſen, um endlich die Hufen- und Schoßkataſter des 16. Jahrhunderts zu einer gerechten Grundſteuer umzubilden; von 1820—1891 hat es gedauert, bis die rohe Klaſſenſteuer zu einer halbwegs brauchbaren Einkommenſteuer wurde. Auch die Mahl-, Schlacht-, Bier-, Weinſteuern, die einſt in einer kleinen Stadt nicht ſo ſchwer umzulegen waren, boten, auf ganze Länder, auf das platte Land erſtreckt, unſägliche Schwierigkeiten. Auch ſie haben in Deutſchland gegen 1500 ihre erſte Aus- bildung für ganze Territorien erhalten, ſind dann im 17. Jahrhundert faſt in ganz Europa raſch fiskaliſch vermehrt worden, haben im 18. Jahrhundert aber kaum eine weſentliche Reform erfahren; ſie haben erſt nach den Freiheitskriegen und in den letzten zwei bis drei Menſchenaltern eine etwas beſſere Geſtaltung in den meiſten Staaten erhalten. Auch das Zollweſen iſt vollſtändig rationell erſt in den letzten hundert Jahren ausgebildet worden. 20*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/323>, abgerufen am 22.11.2024.