Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Wie das Stadtgebiet eine Insel besseren Rechtes, so ist die Bürgerschaft eine privilegierte, enggeschlossene, mit dem Stadtgebiete und den Stadtinteressen verwachsene Genossenschaft von Voll- und Halbbürgern, die ein gemeinsames Vermögen hat, sich in gewissem Sinne als Erwerbsgesellschaft fühlt, durch ihre Organe, hauptsächlich durch den Rat, die mannigfachsten Einrichtungen im wirtschaftlichen Gesamtinteresse der Stadt schafft. Blicken wir auf sie noch einen Moment, und konstatieren wir damit zugleich die Ausbildung der Stadtwirtschaft im obigen weiteren und engeren Sinne.
Das wirtschaftliche Gedeihen der Stadt hängt von einer gewissen Herrschaft über das umgebende Land und von zahlreichen speciellen Abmachungen über Absatz und Handel in der weiteren Umgebung ab. Nicht die Salzjunker in Lüneburg, nicht die Brauer Hamburgs, nicht die Handwerksmeister in allen Städten schaffen den nötigen Absatz, sondern stets ist es ganz oder teilweise der Rat, der, wie der Ausschuß eines großen Stadtkartells, für die Absatzinteressen bemüht erscheint. Freilich leben zumal in den kleinen Städten noch lange die meisten Bürger von ihrer Ackerwirtschaft, haben nicht viel zu verkaufen, auch nicht so sehr viel einzukaufen. Aber das ändert sich eben in dem Maße, wie die Stadt mehr wird als ein Dorf. Der Jahrmarkt, auf dem fremde Hausierer und Händler, städtische Handwerker und Krämer verkaufen, wird zum Wochenmarkte, wo der Bauer der Umgegend Getreide, Vieh, Hühner und Eier verkauft, sein Bier, sein Tuch, seine Werkzeuge einkauft. So entsteht die Stadtgebietswirtschaft, die mit einem Netze enger wirtschaftspolitischer Maschen die nächste ländliche Umgebung überzieht und beherrscht, mit ihren weiteren handelspolitischen Maßnahmen, wenn es gut geht, auf die Umgebung bis zu 10 und 50 Meilen sich ausdehnt.
Der Rat erwirbt das Münzrecht, sucht ein leidliches Geldwesen zu schaffen, die Stadt zum Mittelpunkte einer größeren einheitlichen Münze zu machen, sie damit zu fördern, aus der Naturalwirtschaft herauszuheben, ihre Überlegenheit über die Umgebung zu steigern. Er ordnet den Wochenmarkt, stellt eine öffentliche Wage auf, Marktbeamte an, erläßt eine kluge Wochenmarkts- und Fürkaufsgesetzgebung. Der örtliche Verkehr, der sich zwischen Bauer und Bürger ergiebt, soll ohne Zwischenhand auf dem Markte sich abspielen, der Bauer soll nicht vor den Thoren an Fremde, an Händler, sondern allein oder in erster Linie auf dem Wochenmarkte an den Bürger verkaufen; oft ist dem Landmanne verboten, seine Ware anders wohin als in die nächste Stadt zu bringen; das Handwerk hatte seinen goldenen Boden an diesem sicheren Absatz; ebenso die städtische Braunahrung, der städtische Kaufmann; ihre Kundschaft war ihnen gesichert. Die Stadt- wirtschaft macht aus der tauschlosen Eigenproduktion die Produktion für persönlich bekannte Kunden. Für den Kaufmann werden Kaufhäuser und Markthallen gebaut. Der Marktzoll wird für die Bürger vielfach aufgehoben, für die Nichtbürger beibehalten. Die Pflege des Jahrmarktes soll Gäste von weiter her locken. Durch Straßen- und Stapelrecht zwingt man den Verkehr in die Stadt hinein, durch die komplizierte Ord- nung des Gast- und Fremdenrechtes läßt man von fremder Konkurrenz gerade so viel zu, wie ersprießlich ist, schließt aber den fremden Kaufmann, außer während des Jahrmarktes, vom Detailverkaufe aus, zwingt ihn, an den Stadtbürger zu verkaufen, damit dieser stets den lokalen Absatz, die Vermittelung zwischen Ost und West, Süd und Nord behalte. Jeden Moment verbietet man je nach den Stadtinteressen die Aus- und Einfuhr dieser und jener Waren, stets die Edelmetallausfuhr, oft für Monate allen Verkehr mit dieser oder jener Stadt. Die ganze Zunftverfassung war eine Konkurrenzregulierung im In- teresse der örtlichen Gewerbetreibenden, des lokalen Marktes; sie hatte günstige Folgen, wo sie vom Rate im Gesamtinteresse der Stadt geleitet und je nach den wechselnden Verhältnissen umgebildet wurde. Wenn es im Interesse der maßgebenden Handels- und gewerblichen Kreise nötig schien, zerstörte man eine aufblühende Vorstadt, die den Bürgern das Brot "vor dem Munde wegzunehmen" drohte, wie man mit benachbarten Kon- kurrenzorten Händel anfing, sie belagerte, womöglich aus Handelsneid zerstörte.
All' diese energische Stadtwirtschaftspolitik war nicht möglich ohne erhebliche wirtschaftliche Mittel in den Händen des Stadtrates; sehen wir, woher sie stammten, wie sie gesteigert wurden, wozu sie dienten.
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Wie das Stadtgebiet eine Inſel beſſeren Rechtes, ſo iſt die Bürgerſchaft eine privilegierte, enggeſchloſſene, mit dem Stadtgebiete und den Stadtintereſſen verwachſene Genoſſenſchaft von Voll- und Halbbürgern, die ein gemeinſames Vermögen hat, ſich in gewiſſem Sinne als Erwerbsgeſellſchaft fühlt, durch ihre Organe, hauptſächlich durch den Rat, die mannigfachſten Einrichtungen im wirtſchaftlichen Geſamtintereſſe der Stadt ſchafft. Blicken wir auf ſie noch einen Moment, und konſtatieren wir damit zugleich die Ausbildung der Stadtwirtſchaft im obigen weiteren und engeren Sinne.
Das wirtſchaftliche Gedeihen der Stadt hängt von einer gewiſſen Herrſchaft über das umgebende Land und von zahlreichen ſpeciellen Abmachungen über Abſatz und Handel in der weiteren Umgebung ab. Nicht die Salzjunker in Lüneburg, nicht die Brauer Hamburgs, nicht die Handwerksmeiſter in allen Städten ſchaffen den nötigen Abſatz, ſondern ſtets iſt es ganz oder teilweiſe der Rat, der, wie der Ausſchuß eines großen Stadtkartells, für die Abſatzintereſſen bemüht erſcheint. Freilich leben zumal in den kleinen Städten noch lange die meiſten Bürger von ihrer Ackerwirtſchaft, haben nicht viel zu verkaufen, auch nicht ſo ſehr viel einzukaufen. Aber das ändert ſich eben in dem Maße, wie die Stadt mehr wird als ein Dorf. Der Jahrmarkt, auf dem fremde Hauſierer und Händler, ſtädtiſche Handwerker und Krämer verkaufen, wird zum Wochenmarkte, wo der Bauer der Umgegend Getreide, Vieh, Hühner und Eier verkauft, ſein Bier, ſein Tuch, ſeine Werkzeuge einkauft. So entſteht die Stadtgebietswirtſchaft, die mit einem Netze enger wirtſchaftspolitiſcher Maſchen die nächſte ländliche Umgebung überzieht und beherrſcht, mit ihren weiteren handelspolitiſchen Maßnahmen, wenn es gut geht, auf die Umgebung bis zu 10 und 50 Meilen ſich ausdehnt.
Der Rat erwirbt das Münzrecht, ſucht ein leidliches Geldweſen zu ſchaffen, die Stadt zum Mittelpunkte einer größeren einheitlichen Münze zu machen, ſie damit zu fördern, aus der Naturalwirtſchaft herauszuheben, ihre Überlegenheit über die Umgebung zu ſteigern. Er ordnet den Wochenmarkt, ſtellt eine öffentliche Wage auf, Marktbeamte an, erläßt eine kluge Wochenmarkts- und Fürkaufsgeſetzgebung. Der örtliche Verkehr, der ſich zwiſchen Bauer und Bürger ergiebt, ſoll ohne Zwiſchenhand auf dem Markte ſich abſpielen, der Bauer ſoll nicht vor den Thoren an Fremde, an Händler, ſondern allein oder in erſter Linie auf dem Wochenmarkte an den Bürger verkaufen; oft iſt dem Landmanne verboten, ſeine Ware anders wohin als in die nächſte Stadt zu bringen; das Handwerk hatte ſeinen goldenen Boden an dieſem ſicheren Abſatz; ebenſo die ſtädtiſche Braunahrung, der ſtädtiſche Kaufmann; ihre Kundſchaft war ihnen geſichert. Die Stadt- wirtſchaft macht aus der tauſchloſen Eigenproduktion die Produktion für perſönlich bekannte Kunden. Für den Kaufmann werden Kaufhäuſer und Markthallen gebaut. Der Marktzoll wird für die Bürger vielfach aufgehoben, für die Nichtbürger beibehalten. Die Pflege des Jahrmarktes ſoll Gäſte von weiter her locken. Durch Straßen- und Stapelrecht zwingt man den Verkehr in die Stadt hinein, durch die komplizierte Ord- nung des Gaſt- und Fremdenrechtes läßt man von fremder Konkurrenz gerade ſo viel zu, wie erſprießlich iſt, ſchließt aber den fremden Kaufmann, außer während des Jahrmarktes, vom Detailverkaufe aus, zwingt ihn, an den Stadtbürger zu verkaufen, damit dieſer ſtets den lokalen Abſatz, die Vermittelung zwiſchen Oſt und Weſt, Süd und Nord behalte. Jeden Moment verbietet man je nach den Stadtintereſſen die Aus- und Einfuhr dieſer und jener Waren, ſtets die Edelmetallausfuhr, oft für Monate allen Verkehr mit dieſer oder jener Stadt. Die ganze Zunftverfaſſung war eine Konkurrenzregulierung im In- tereſſe der örtlichen Gewerbetreibenden, des lokalen Marktes; ſie hatte günſtige Folgen, wo ſie vom Rate im Geſamtintereſſe der Stadt geleitet und je nach den wechſelnden Verhältniſſen umgebildet wurde. Wenn es im Intereſſe der maßgebenden Handels- und gewerblichen Kreiſe nötig ſchien, zerſtörte man eine aufblühende Vorſtadt, die den Bürgern das Brot „vor dem Munde wegzunehmen“ drohte, wie man mit benachbarten Kon- kurrenzorten Händel anfing, ſie belagerte, womöglich aus Handelsneid zerſtörte.
All’ dieſe energiſche Stadtwirtſchaftspolitik war nicht möglich ohne erhebliche wirtſchaftliche Mittel in den Händen des Stadtrates; ſehen wir, woher ſie ſtammten, wie ſie geſteigert wurden, wozu ſie dienten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0312"n="296"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/><p>Wie das Stadtgebiet eine Inſel beſſeren Rechtes, ſo iſt die Bürgerſchaft eine<lb/>
privilegierte, enggeſchloſſene, mit dem Stadtgebiete und den Stadtintereſſen verwachſene<lb/>
Genoſſenſchaft von Voll- und Halbbürgern, die ein gemeinſames Vermögen hat, ſich in<lb/>
gewiſſem Sinne als Erwerbsgeſellſchaft fühlt, durch ihre Organe, hauptſächlich durch<lb/>
den Rat, die mannigfachſten Einrichtungen im wirtſchaftlichen Geſamtintereſſe der Stadt<lb/>ſchafft. Blicken wir auf ſie noch einen Moment, und konſtatieren wir damit zugleich die<lb/>
Ausbildung der Stadtwirtſchaft im obigen weiteren und engeren Sinne.</p><lb/><p>Das wirtſchaftliche Gedeihen der Stadt hängt von einer gewiſſen Herrſchaft über<lb/>
das umgebende Land und von zahlreichen ſpeciellen Abmachungen über Abſatz und<lb/>
Handel in der weiteren Umgebung ab. Nicht die Salzjunker in Lüneburg, nicht die<lb/>
Brauer Hamburgs, nicht die Handwerksmeiſter in allen Städten ſchaffen den nötigen<lb/>
Abſatz, ſondern ſtets iſt es ganz oder teilweiſe der Rat, der, wie der Ausſchuß eines<lb/>
großen Stadtkartells, für die Abſatzintereſſen bemüht erſcheint. Freilich leben zumal in<lb/>
den kleinen Städten noch lange die meiſten Bürger von ihrer Ackerwirtſchaft, haben<lb/>
nicht viel zu verkaufen, auch nicht ſo ſehr viel einzukaufen. Aber das ändert ſich eben<lb/>
in dem Maße, wie die Stadt mehr wird als ein Dorf. Der Jahrmarkt, auf dem<lb/>
fremde Hauſierer und Händler, ſtädtiſche Handwerker und Krämer verkaufen, wird zum<lb/>
Wochenmarkte, wo der Bauer der Umgegend Getreide, Vieh, Hühner und Eier verkauft,<lb/>ſein Bier, ſein Tuch, ſeine Werkzeuge einkauft. So entſteht die Stadtgebietswirtſchaft,<lb/>
die mit einem Netze enger wirtſchaftspolitiſcher Maſchen die nächſte ländliche Umgebung<lb/>
überzieht und beherrſcht, mit ihren weiteren handelspolitiſchen Maßnahmen, wenn es<lb/>
gut geht, auf die Umgebung bis zu 10 und 50 Meilen ſich ausdehnt.</p><lb/><p>Der Rat erwirbt das Münzrecht, ſucht ein leidliches Geldweſen zu ſchaffen, die<lb/>
Stadt zum Mittelpunkte einer größeren einheitlichen Münze zu machen, ſie damit zu<lb/>
fördern, aus der Naturalwirtſchaft herauszuheben, ihre Überlegenheit über die Umgebung<lb/>
zu ſteigern. Er ordnet den Wochenmarkt, ſtellt eine öffentliche Wage auf, Marktbeamte<lb/>
an, erläßt eine kluge Wochenmarkts- und Fürkaufsgeſetzgebung. Der örtliche Verkehr,<lb/>
der ſich zwiſchen Bauer und Bürger ergiebt, ſoll ohne Zwiſchenhand auf dem Markte<lb/>ſich abſpielen, der Bauer ſoll nicht vor den Thoren an Fremde, an Händler, ſondern<lb/>
allein oder in erſter Linie auf dem Wochenmarkte an den Bürger verkaufen; oft iſt dem<lb/>
Landmanne verboten, ſeine Ware anders wohin als in die nächſte Stadt zu bringen;<lb/>
das Handwerk hatte ſeinen goldenen Boden an dieſem ſicheren Abſatz; ebenſo die ſtädtiſche<lb/>
Braunahrung, der ſtädtiſche Kaufmann; ihre Kundſchaft war ihnen geſichert. Die Stadt-<lb/>
wirtſchaft macht aus der tauſchloſen Eigenproduktion die Produktion für perſönlich<lb/>
bekannte Kunden. Für den Kaufmann werden Kaufhäuſer und Markthallen gebaut.<lb/>
Der Marktzoll wird für die Bürger vielfach aufgehoben, für die Nichtbürger beibehalten.<lb/>
Die Pflege des Jahrmarktes ſoll Gäſte von weiter her locken. Durch Straßen- und<lb/>
Stapelrecht zwingt man den Verkehr in die Stadt hinein, durch die komplizierte Ord-<lb/>
nung des Gaſt- und Fremdenrechtes läßt man von fremder Konkurrenz gerade ſo viel zu,<lb/>
wie erſprießlich iſt, ſchließt aber den fremden Kaufmann, außer während des Jahrmarktes,<lb/>
vom Detailverkaufe aus, zwingt ihn, an den Stadtbürger zu verkaufen, damit dieſer ſtets<lb/>
den lokalen Abſatz, die Vermittelung zwiſchen Oſt und Weſt, Süd und Nord behalte.<lb/>
Jeden Moment verbietet man je nach den Stadtintereſſen die Aus- und Einfuhr dieſer<lb/>
und jener Waren, ſtets die Edelmetallausfuhr, oft für Monate allen Verkehr mit dieſer<lb/>
oder jener Stadt. Die ganze Zunftverfaſſung war eine Konkurrenzregulierung im In-<lb/>
tereſſe der örtlichen Gewerbetreibenden, des lokalen Marktes; ſie hatte günſtige Folgen,<lb/>
wo ſie vom Rate im Geſamtintereſſe der Stadt geleitet und je nach den wechſelnden<lb/>
Verhältniſſen umgebildet wurde. Wenn es im Intereſſe der maßgebenden Handels- und<lb/>
gewerblichen Kreiſe nötig ſchien, zerſtörte man eine aufblühende Vorſtadt, die den Bürgern<lb/>
das Brot „vor dem Munde wegzunehmen“ drohte, wie man mit benachbarten Kon-<lb/>
kurrenzorten Händel anfing, ſie belagerte, womöglich aus Handelsneid zerſtörte.</p><lb/><p>All’ dieſe energiſche Stadtwirtſchaftspolitik war nicht möglich ohne erhebliche<lb/>
wirtſchaftliche Mittel in den Händen des Stadtrates; ſehen wir, woher ſie ſtammten,<lb/>
wie ſie geſteigert wurden, wozu ſie dienten.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[296/0312]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Wie das Stadtgebiet eine Inſel beſſeren Rechtes, ſo iſt die Bürgerſchaft eine
privilegierte, enggeſchloſſene, mit dem Stadtgebiete und den Stadtintereſſen verwachſene
Genoſſenſchaft von Voll- und Halbbürgern, die ein gemeinſames Vermögen hat, ſich in
gewiſſem Sinne als Erwerbsgeſellſchaft fühlt, durch ihre Organe, hauptſächlich durch
den Rat, die mannigfachſten Einrichtungen im wirtſchaftlichen Geſamtintereſſe der Stadt
ſchafft. Blicken wir auf ſie noch einen Moment, und konſtatieren wir damit zugleich die
Ausbildung der Stadtwirtſchaft im obigen weiteren und engeren Sinne.
Das wirtſchaftliche Gedeihen der Stadt hängt von einer gewiſſen Herrſchaft über
das umgebende Land und von zahlreichen ſpeciellen Abmachungen über Abſatz und
Handel in der weiteren Umgebung ab. Nicht die Salzjunker in Lüneburg, nicht die
Brauer Hamburgs, nicht die Handwerksmeiſter in allen Städten ſchaffen den nötigen
Abſatz, ſondern ſtets iſt es ganz oder teilweiſe der Rat, der, wie der Ausſchuß eines
großen Stadtkartells, für die Abſatzintereſſen bemüht erſcheint. Freilich leben zumal in
den kleinen Städten noch lange die meiſten Bürger von ihrer Ackerwirtſchaft, haben
nicht viel zu verkaufen, auch nicht ſo ſehr viel einzukaufen. Aber das ändert ſich eben
in dem Maße, wie die Stadt mehr wird als ein Dorf. Der Jahrmarkt, auf dem
fremde Hauſierer und Händler, ſtädtiſche Handwerker und Krämer verkaufen, wird zum
Wochenmarkte, wo der Bauer der Umgegend Getreide, Vieh, Hühner und Eier verkauft,
ſein Bier, ſein Tuch, ſeine Werkzeuge einkauft. So entſteht die Stadtgebietswirtſchaft,
die mit einem Netze enger wirtſchaftspolitiſcher Maſchen die nächſte ländliche Umgebung
überzieht und beherrſcht, mit ihren weiteren handelspolitiſchen Maßnahmen, wenn es
gut geht, auf die Umgebung bis zu 10 und 50 Meilen ſich ausdehnt.
Der Rat erwirbt das Münzrecht, ſucht ein leidliches Geldweſen zu ſchaffen, die
Stadt zum Mittelpunkte einer größeren einheitlichen Münze zu machen, ſie damit zu
fördern, aus der Naturalwirtſchaft herauszuheben, ihre Überlegenheit über die Umgebung
zu ſteigern. Er ordnet den Wochenmarkt, ſtellt eine öffentliche Wage auf, Marktbeamte
an, erläßt eine kluge Wochenmarkts- und Fürkaufsgeſetzgebung. Der örtliche Verkehr,
der ſich zwiſchen Bauer und Bürger ergiebt, ſoll ohne Zwiſchenhand auf dem Markte
ſich abſpielen, der Bauer ſoll nicht vor den Thoren an Fremde, an Händler, ſondern
allein oder in erſter Linie auf dem Wochenmarkte an den Bürger verkaufen; oft iſt dem
Landmanne verboten, ſeine Ware anders wohin als in die nächſte Stadt zu bringen;
das Handwerk hatte ſeinen goldenen Boden an dieſem ſicheren Abſatz; ebenſo die ſtädtiſche
Braunahrung, der ſtädtiſche Kaufmann; ihre Kundſchaft war ihnen geſichert. Die Stadt-
wirtſchaft macht aus der tauſchloſen Eigenproduktion die Produktion für perſönlich
bekannte Kunden. Für den Kaufmann werden Kaufhäuſer und Markthallen gebaut.
Der Marktzoll wird für die Bürger vielfach aufgehoben, für die Nichtbürger beibehalten.
Die Pflege des Jahrmarktes ſoll Gäſte von weiter her locken. Durch Straßen- und
Stapelrecht zwingt man den Verkehr in die Stadt hinein, durch die komplizierte Ord-
nung des Gaſt- und Fremdenrechtes läßt man von fremder Konkurrenz gerade ſo viel zu,
wie erſprießlich iſt, ſchließt aber den fremden Kaufmann, außer während des Jahrmarktes,
vom Detailverkaufe aus, zwingt ihn, an den Stadtbürger zu verkaufen, damit dieſer ſtets
den lokalen Abſatz, die Vermittelung zwiſchen Oſt und Weſt, Süd und Nord behalte.
Jeden Moment verbietet man je nach den Stadtintereſſen die Aus- und Einfuhr dieſer
und jener Waren, ſtets die Edelmetallausfuhr, oft für Monate allen Verkehr mit dieſer
oder jener Stadt. Die ganze Zunftverfaſſung war eine Konkurrenzregulierung im In-
tereſſe der örtlichen Gewerbetreibenden, des lokalen Marktes; ſie hatte günſtige Folgen,
wo ſie vom Rate im Geſamtintereſſe der Stadt geleitet und je nach den wechſelnden
Verhältniſſen umgebildet wurde. Wenn es im Intereſſe der maßgebenden Handels- und
gewerblichen Kreiſe nötig ſchien, zerſtörte man eine aufblühende Vorſtadt, die den Bürgern
das Brot „vor dem Munde wegzunehmen“ drohte, wie man mit benachbarten Kon-
kurrenzorten Händel anfing, ſie belagerte, womöglich aus Handelsneid zerſtörte.
All’ dieſe energiſche Stadtwirtſchaftspolitik war nicht möglich ohne erhebliche
wirtſchaftliche Mittel in den Händen des Stadtrates; ſehen wir, woher ſie ſtammten,
wie ſie geſteigert wurden, wozu ſie dienten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/312>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.