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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Begriffe: Hof, Weiler, Dorf, Stadt.
schaftliche Erscheinung, welche in ihrem Entwickelungsprozeß und gegenwärtigen Stande
untersucht und dargestellt sein will, die zugleich die Grundlage bildet für das Verständnis
der Wirtschaften der Gebietskörperschaften, hauptsächlich der Gemeinde und des Staates.

Wie diese Siedlung von den natürlichen Ursachen des Klimas, des Bodens, der
Wasserverteilung etc. abhängig sei, haben wir schon oben (S. 126--139, hpts. S. 133)
zu zeigen gesucht. Hier bleibt die Aufgabe, sie von der historischen, gesellschaftlichen,
volkswirtschaftlichen Seite darzustellen. Das geschichtliche und geographische Material
dazu ist freilich sehr lückenhaft, vielfach auch das vorhandene nicht genügend bearbeitet.
Der Gegenstand ist mit der ganzen Bau-, Gemeindeverfassungs- und Grundeigentums-
geschichte verquickt und soll hier doch ohne diese dargelegt werden; die Darstellung
und Schlußfolgerung muß unter diesen Schwierigkeiten leiden. Ein großes Hülfsmittel
bietet für die neuere Zeit und die Kulturstaaten die Statistik, obwohl auch sie gerade
in diesem Gebiete weniger vollendet ist als auf anderen.

Die Begriffe, welche wir dabei anwenden, Hof, Weiler, Dorf, Stadt, sind an-
scheinend so bekannt, daß ihre Definition kaum nötig scheinen könnte. Doch sind einige
Worte nicht überflüssig, weil in den Begriffen einerseits rein technisch-wirtschaftliche,
andererseits aber auch stets institutionelle, sitten- und rechtsgeschichtliche Elemente ent-
halten sind. Die isoliert liegende Einzelwohnung des Försters, Waldhüters, Eisenbahn-
wärters wird noch nicht als Hof bezeichnet, sondern nur die eines Ackerbauers mit Stall,
Scheune und Umzäunung, wenn dieses Anwesen den Mittelpunkt eines landwirtschaft-
lichen Betriebes bildet; eine Gegend mit Hofsystem ist eine solche, wo eine große oder
überwiegende Zahl der wirtschaftenden Familien so im Mittelpunkte ihrer Felder und
Weiden vereinzelt wohnt. Unter dem Dorfe verstehen wir das engere Zusammenwohnen
von einer Anzahl Ackerbauer, Fischer, ländlicher Tagelöhner etc., die höchstens einige
Handwerker und andere Elemente (Geistliche, Schullehrer, Krämer) unter sich haben;
der Weilen ist eine Zusammensiedlung von wenigen Höfen und Familien, die aber nicht,
wie die Dorfbauern, durch Gemeindeverfassung, Kirche und Ähnliches gleichsam eine
höhere Einheit und Verbindung erlangt haben. Die Stadt ist ein größerer Wohnplatz
als das Dorf, aber zugleich ein solcher, wo Verkehr, Handel, Gewerbe und weitere
Arbeitsteilung Platz gegriffen hat, ein Ort, der auf seiner Gemarkung nicht mehr
genügende Lebensmittel für alle seine Bewohner baut, der den wirtschaftlichen, ver-
waltungsmäßigen und geistigen Mittelpunkt seiner ländlichen Umgebung bildet. Man
denkt aber ebenso sehr daran, daß er mit Straßen und Brücken, mit Marktplatz, mit
Rat- und Kaufhaus und anderen größeren Bauten versehen, daß er durch Wall, Graben
und Mauern besser als das Dorf geschützt sei, wofern ein solcher Schutz überhaupt noch
nötig ist; endlich daran, daß er eine höhere politische und Gemeindeverfassung, gewisse
Rechtsvorzüge besitze. So steigert sich mit der Differenzierung der Wohnplätze ihr
technisch-wirtschaftlicher wie ihr institutioneller Charakter. Die Wohnplätze organisieren
sich und werden organisiert, sie werden, je höher sie stehen, konventionelle, in gewissem
Sinne immer künstlicher geordnete sociale und wirtschaftliche Körper und Gemeinschaften.
Je mehr das geschieht, je älter sie sind, desto mehr greifen neben den technisch natür-
lichen Ursachen Sitte, Recht, Überlieferung, gesellschaftliche Ordnungen in ihre Entwicke-
lung ein.

94. Die ältesten Siedlungen, die der heutigen Barbaren- und
asiatischen Halbkulturvölker
. Wir haben gesehen, daß wir uns die ältesten
Menschen in Horden von 25 bis zu 100 Personen, ihre späteren Nachkommen in
Stämmen und Sippenverbänden gegliedert zu denken haben. Auf den Wanderungen und
bei den erst vorübergehenden, später dauernden Siedlungen werden sie des Schutzes und
der Verteidigung, der Geselligkeit und des Zusammenwirkens wegen immer möglichst
bei einander oder in der Nähe geblieben sein; nur wo die Ernährung eine größere Zer-
streuung nötig machte, werden sie sich in kleine Gruppen geteilt haben, die dann aber
doch in der Nähe blieben. Erst die Versprengung und Verdrängung in kalte, unwirt-
liche Gebiete und Klimate hat auf solcher Wirtschaftsstufe das Vorkommen vereinzelt
lebender Familiengruppen erzeugt.

Die Begriffe: Hof, Weiler, Dorf, Stadt.
ſchaftliche Erſcheinung, welche in ihrem Entwickelungsprozeß und gegenwärtigen Stande
unterſucht und dargeſtellt ſein will, die zugleich die Grundlage bildet für das Verſtändnis
der Wirtſchaften der Gebietskörperſchaften, hauptſächlich der Gemeinde und des Staates.

Wie dieſe Siedlung von den natürlichen Urſachen des Klimas, des Bodens, der
Waſſerverteilung ꝛc. abhängig ſei, haben wir ſchon oben (S. 126—139, hptſ. S. 133)
zu zeigen geſucht. Hier bleibt die Aufgabe, ſie von der hiſtoriſchen, geſellſchaftlichen,
volkswirtſchaftlichen Seite darzuſtellen. Das geſchichtliche und geographiſche Material
dazu iſt freilich ſehr lückenhaft, vielfach auch das vorhandene nicht genügend bearbeitet.
Der Gegenſtand iſt mit der ganzen Bau-, Gemeindeverfaſſungs- und Grundeigentums-
geſchichte verquickt und ſoll hier doch ohne dieſe dargelegt werden; die Darſtellung
und Schlußfolgerung muß unter dieſen Schwierigkeiten leiden. Ein großes Hülfsmittel
bietet für die neuere Zeit und die Kulturſtaaten die Statiſtik, obwohl auch ſie gerade
in dieſem Gebiete weniger vollendet iſt als auf anderen.

Die Begriffe, welche wir dabei anwenden, Hof, Weiler, Dorf, Stadt, ſind an-
ſcheinend ſo bekannt, daß ihre Definition kaum nötig ſcheinen könnte. Doch ſind einige
Worte nicht überflüſſig, weil in den Begriffen einerſeits rein techniſch-wirtſchaftliche,
andererſeits aber auch ſtets inſtitutionelle, ſitten- und rechtsgeſchichtliche Elemente ent-
halten ſind. Die iſoliert liegende Einzelwohnung des Förſters, Waldhüters, Eiſenbahn-
wärters wird noch nicht als Hof bezeichnet, ſondern nur die eines Ackerbauers mit Stall,
Scheune und Umzäunung, wenn dieſes Anweſen den Mittelpunkt eines landwirtſchaft-
lichen Betriebes bildet; eine Gegend mit Hofſyſtem iſt eine ſolche, wo eine große oder
überwiegende Zahl der wirtſchaftenden Familien ſo im Mittelpunkte ihrer Felder und
Weiden vereinzelt wohnt. Unter dem Dorfe verſtehen wir das engere Zuſammenwohnen
von einer Anzahl Ackerbauer, Fiſcher, ländlicher Tagelöhner ꝛc., die höchſtens einige
Handwerker und andere Elemente (Geiſtliche, Schullehrer, Krämer) unter ſich haben;
der Weilen iſt eine Zuſammenſiedlung von wenigen Höfen und Familien, die aber nicht,
wie die Dorfbauern, durch Gemeindeverfaſſung, Kirche und Ähnliches gleichſam eine
höhere Einheit und Verbindung erlangt haben. Die Stadt iſt ein größerer Wohnplatz
als das Dorf, aber zugleich ein ſolcher, wo Verkehr, Handel, Gewerbe und weitere
Arbeitsteilung Platz gegriffen hat, ein Ort, der auf ſeiner Gemarkung nicht mehr
genügende Lebensmittel für alle ſeine Bewohner baut, der den wirtſchaftlichen, ver-
waltungsmäßigen und geiſtigen Mittelpunkt ſeiner ländlichen Umgebung bildet. Man
denkt aber ebenſo ſehr daran, daß er mit Straßen und Brücken, mit Marktplatz, mit
Rat- und Kaufhaus und anderen größeren Bauten verſehen, daß er durch Wall, Graben
und Mauern beſſer als das Dorf geſchützt ſei, wofern ein ſolcher Schutz überhaupt noch
nötig iſt; endlich daran, daß er eine höhere politiſche und Gemeindeverfaſſung, gewiſſe
Rechtsvorzüge beſitze. So ſteigert ſich mit der Differenzierung der Wohnplätze ihr
techniſch-wirtſchaftlicher wie ihr inſtitutioneller Charakter. Die Wohnplätze organiſieren
ſich und werden organiſiert, ſie werden, je höher ſie ſtehen, konventionelle, in gewiſſem
Sinne immer künſtlicher geordnete ſociale und wirtſchaftliche Körper und Gemeinſchaften.
Je mehr das geſchieht, je älter ſie ſind, deſto mehr greifen neben den techniſch natür-
lichen Urſachen Sitte, Recht, Überlieferung, geſellſchaftliche Ordnungen in ihre Entwicke-
lung ein.

94. Die älteſten Siedlungen, die der heutigen Barbaren- und
aſiatiſchen Halbkulturvölker
. Wir haben geſehen, daß wir uns die älteſten
Menſchen in Horden von 25 bis zu 100 Perſonen, ihre ſpäteren Nachkommen in
Stämmen und Sippenverbänden gegliedert zu denken haben. Auf den Wanderungen und
bei den erſt vorübergehenden, ſpäter dauernden Siedlungen werden ſie des Schutzes und
der Verteidigung, der Geſelligkeit und des Zuſammenwirkens wegen immer möglichſt
bei einander oder in der Nähe geblieben ſein; nur wo die Ernährung eine größere Zer-
ſtreuung nötig machte, werden ſie ſich in kleine Gruppen geteilt haben, die dann aber
doch in der Nähe blieben. Erſt die Verſprengung und Verdrängung in kalte, unwirt-
liche Gebiete und Klimate hat auf ſolcher Wirtſchaftsſtufe das Vorkommen vereinzelt
lebender Familiengruppen erzeugt.

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[255/0271] Die Begriffe: Hof, Weiler, Dorf, Stadt. ſchaftliche Erſcheinung, welche in ihrem Entwickelungsprozeß und gegenwärtigen Stande unterſucht und dargeſtellt ſein will, die zugleich die Grundlage bildet für das Verſtändnis der Wirtſchaften der Gebietskörperſchaften, hauptſächlich der Gemeinde und des Staates. Wie dieſe Siedlung von den natürlichen Urſachen des Klimas, des Bodens, der Waſſerverteilung ꝛc. abhängig ſei, haben wir ſchon oben (S. 126—139, hptſ. S. 133) zu zeigen geſucht. Hier bleibt die Aufgabe, ſie von der hiſtoriſchen, geſellſchaftlichen, volkswirtſchaftlichen Seite darzuſtellen. Das geſchichtliche und geographiſche Material dazu iſt freilich ſehr lückenhaft, vielfach auch das vorhandene nicht genügend bearbeitet. Der Gegenſtand iſt mit der ganzen Bau-, Gemeindeverfaſſungs- und Grundeigentums- geſchichte verquickt und ſoll hier doch ohne dieſe dargelegt werden; die Darſtellung und Schlußfolgerung muß unter dieſen Schwierigkeiten leiden. Ein großes Hülfsmittel bietet für die neuere Zeit und die Kulturſtaaten die Statiſtik, obwohl auch ſie gerade in dieſem Gebiete weniger vollendet iſt als auf anderen. Die Begriffe, welche wir dabei anwenden, Hof, Weiler, Dorf, Stadt, ſind an- ſcheinend ſo bekannt, daß ihre Definition kaum nötig ſcheinen könnte. Doch ſind einige Worte nicht überflüſſig, weil in den Begriffen einerſeits rein techniſch-wirtſchaftliche, andererſeits aber auch ſtets inſtitutionelle, ſitten- und rechtsgeſchichtliche Elemente ent- halten ſind. Die iſoliert liegende Einzelwohnung des Förſters, Waldhüters, Eiſenbahn- wärters wird noch nicht als Hof bezeichnet, ſondern nur die eines Ackerbauers mit Stall, Scheune und Umzäunung, wenn dieſes Anweſen den Mittelpunkt eines landwirtſchaft- lichen Betriebes bildet; eine Gegend mit Hofſyſtem iſt eine ſolche, wo eine große oder überwiegende Zahl der wirtſchaftenden Familien ſo im Mittelpunkte ihrer Felder und Weiden vereinzelt wohnt. Unter dem Dorfe verſtehen wir das engere Zuſammenwohnen von einer Anzahl Ackerbauer, Fiſcher, ländlicher Tagelöhner ꝛc., die höchſtens einige Handwerker und andere Elemente (Geiſtliche, Schullehrer, Krämer) unter ſich haben; der Weilen iſt eine Zuſammenſiedlung von wenigen Höfen und Familien, die aber nicht, wie die Dorfbauern, durch Gemeindeverfaſſung, Kirche und Ähnliches gleichſam eine höhere Einheit und Verbindung erlangt haben. Die Stadt iſt ein größerer Wohnplatz als das Dorf, aber zugleich ein ſolcher, wo Verkehr, Handel, Gewerbe und weitere Arbeitsteilung Platz gegriffen hat, ein Ort, der auf ſeiner Gemarkung nicht mehr genügende Lebensmittel für alle ſeine Bewohner baut, der den wirtſchaftlichen, ver- waltungsmäßigen und geiſtigen Mittelpunkt ſeiner ländlichen Umgebung bildet. Man denkt aber ebenſo ſehr daran, daß er mit Straßen und Brücken, mit Marktplatz, mit Rat- und Kaufhaus und anderen größeren Bauten verſehen, daß er durch Wall, Graben und Mauern beſſer als das Dorf geſchützt ſei, wofern ein ſolcher Schutz überhaupt noch nötig iſt; endlich daran, daß er eine höhere politiſche und Gemeindeverfaſſung, gewiſſe Rechtsvorzüge beſitze. So ſteigert ſich mit der Differenzierung der Wohnplätze ihr techniſch-wirtſchaftlicher wie ihr inſtitutioneller Charakter. Die Wohnplätze organiſieren ſich und werden organiſiert, ſie werden, je höher ſie ſtehen, konventionelle, in gewiſſem Sinne immer künſtlicher geordnete ſociale und wirtſchaftliche Körper und Gemeinſchaften. Je mehr das geſchieht, je älter ſie ſind, deſto mehr greifen neben den techniſch natür- lichen Urſachen Sitte, Recht, Überlieferung, geſellſchaftliche Ordnungen in ihre Entwicke- lung ein. 94. Die älteſten Siedlungen, die der heutigen Barbaren- und aſiatiſchen Halbkulturvölker. Wir haben geſehen, daß wir uns die älteſten Menſchen in Horden von 25 bis zu 100 Perſonen, ihre ſpäteren Nachkommen in Stämmen und Sippenverbänden gegliedert zu denken haben. Auf den Wanderungen und bei den erſt vorübergehenden, ſpäter dauernden Siedlungen werden ſie des Schutzes und der Verteidigung, der Geſelligkeit und des Zuſammenwirkens wegen immer möglichſt bei einander oder in der Nähe geblieben ſein; nur wo die Ernährung eine größere Zer- ſtreuung nötig machte, werden ſie ſich in kleine Gruppen geteilt haben, die dann aber doch in der Nähe blieben. Erſt die Verſprengung und Verdrängung in kalte, unwirt- liche Gebiete und Klimate hat auf ſolcher Wirtſchaftsſtufe das Vorkommen vereinzelt lebender Familiengruppen erzeugt.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/271>, abgerufen am 25.11.2024.