Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. vor uns steht, noch daß bei der großen Kompliziertheit der technischen Vorgänge, beider Selbständigkeit der Entwickelung einzelner Teile der Technik ihre fortschreitende Gesamterscheinung ganz übereinstimmende Züge zeigt. Wir haben einleitend die bisherigen Versuche einer Einteilung des historischen Nur darüber möchten wir noch ein Wort sagen, daß natürlich die einzelnen Und nun noch ein letztes Wort über die auch von uns, im Anschluß an den Mit dem sehr allgemeinen Worte "Kultur" hat der Sprachgenius sich einen Begriff Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. vor uns ſteht, noch daß bei der großen Kompliziertheit der techniſchen Vorgänge, beider Selbſtändigkeit der Entwickelung einzelner Teile der Technik ihre fortſchreitende Geſamterſcheinung ganz übereinſtimmende Züge zeigt. Wir haben einleitend die bisherigen Verſuche einer Einteilung des hiſtoriſchen Nur darüber möchten wir noch ein Wort ſagen, daß natürlich die einzelnen Und nun noch ein letztes Wort über die auch von uns, im Anſchluß an den Mit dem ſehr allgemeinen Worte „Kultur“ hat der Sprachgenius ſich einen Begriff <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0244" n="228"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> vor uns ſteht, noch daß bei der großen Kompliziertheit der techniſchen Vorgänge, bei<lb/> der Selbſtändigkeit der Entwickelung einzelner Teile der Technik ihre fortſchreitende<lb/> Geſamterſcheinung ganz übereinſtimmende Züge zeigt.</p><lb/> <p>Wir haben einleitend die bisherigen Verſuche einer Einteilung des hiſtoriſchen<lb/> Entwickelungsganges der Technik erwähnt, ſie dann im einzelnen teilweiſe kritiſiert, teil-<lb/> weiſe werden wir darauf zurückkommen. Wir wollen hier nicht verſuchen, aus unſerem<lb/> Material nun ein neues hiſtoriſch-techniſches Schema der Entwickelung aufzuſtellen; wir<lb/> glauben mit unſerer hiſtoriſchen Erzählung und den von uns gebrauchten Bezeichnungen<lb/> der einzelnen Epochen dem wiſſenſchaftlichen Bedürfniſſe, ſoweit es heute erfüllbar iſt,<lb/> Genüge gethan zu haben. Ohne konſtruierende Gewaltthätigkeit iſt heute nichts mehr<lb/> zu geben.</p><lb/> <p>Nur darüber möchten wir noch ein Wort ſagen, daß natürlich die einzelnen<lb/> Elemente der Technik einer Zeit zwar in Wechſelwirkung ſtehen, daß aber dieſe je nach<lb/> Verkehr und Intelligenz, Volkscharakter und Klaſſenordnung eine ſehr verſchiedene iſt.<lb/> Die Technik der Ernährung, des Hausbaues, der Waffen iſt überall von Klima und<lb/> Boden mit abhängig. Viele Völker machen einzelne techniſche Fortſchritte, ohne die<lb/> entſprechenden, anderwärts hiermit zuſammenhängenden zu vollziehen. Nicht alle Völker<lb/> mit Töpferei, mit Pfeil und Bogen, mit beſtimmtem Hack-, Acker- oder Hausbau haben<lb/> im übrigen die gleiche Technik. Die verſchiedenen Stufen des Ackerbau-, Hirten- und<lb/> Gewerbelebens haben häufig, aber keineswegs immer, die Kriegstechnik in gleicher Weiſe<lb/> beeinflußt. Die Technik des Geldverkehrs hat häufig beſtimmte Folgen durch die ganze<lb/> Volkswirtſchaft hindurch gehabt. Aber alle dieſe Zuſammenhänge ſind ſehr kompliziert,<lb/> in ihrer Wirkſamkeit ſo vielfach beſchränkt, daß die Aufſtellung ſchematiſcher Reihen<lb/> ſehr ſchwierig iſt. Aus einigen bekannten techniſchen Elementen einer Zeit und eines Volkes<lb/> die übrigen unbekannten abzuleiten, iſt immer nur in beſchränktem Maße möglich. Noch<lb/> viel weniger freilich iſt die Ableitung der geiſtig moraliſchen Eigenſchaften der Menſchen<lb/> und der geſamten Inſtitutionen eines Volkes aus ſeiner Technik allein angängig.</p><lb/> <p>Und nun noch ein letztes Wort über die auch von uns, im Anſchluß an den<lb/> gewöhnlichen wiſſenſchaftlichen Sprachgebrauch benutzten Begriffe der Halb- und Ganz-<lb/> kulturvölker, welche in Gegenſatz zu den primitiven, den Naturvölkern, wilden und<lb/> Barbarenvölkern geſtellt werden.</p><lb/> <p>Mit dem ſehr allgemeinen Worte „Kultur“ hat der Sprachgenius ſich einen Begriff<lb/> gebildet, der ganz abſichtlich halb techniſch und wirtſchaftlich, halb moraliſch und politiſch<lb/> iſt. Mit dem Wort „Kulturvolk“ wollen wir einerſeits eine Stufe der Technik und der<lb/> durch ſie bedingten Wirtſchaft, andererſeits eine gewiſſe Höhe des geiſtig-moraliſchen<lb/> Lebens und der politiſchen Inſtitutionen bezeichnen. Nur ſeßhaften Völkern von einer<lb/> gewiſſen Größe, mit Ackerbau, Städten und Gewerben, mit einer ausgebildeten Haus-<lb/> wirtſchaft und einer bereits ſelbſtändig gewordenen Gemeinde- oder Staatswirtſchaft,<lb/> geben wir das auszeichnende Prädikat der Kultur; aber auch nur, wenn ihnen die geiſtigen<lb/> Vorausſetzungen dieſer techniſchen Erfolge, die Anfänge der Schrift, der Zahlen, des Maß-<lb/> und Gewichtsweſens in Fleiſch und Blut übergegangen ſind, und wenn ſie zugleich durch<lb/> höhere Religionsſyſteme, durch Sitte und Recht, durch eine ausgebildete Regierung zu einem<lb/> geordneten komplizierten Geſellſchaftszuſtand gekommen ſind. Wir teilen ſie in Halb-<lb/> und Ganzkulturvölker ein und verſtehen unter den erſteren die kleineren, älteren Völker<lb/> dieſer Art, deren geiſtig-moraliſches Leben noch tiefer ſteht, die noch despotiſchen Gewalten<lb/> unterworfen ſind, keine feſte Sphäre perſönlicher Freiheit kennen. Die Griechen mit<lb/> ihren Werkzeugen, wie die heutigen Europäer mit ihren Maſchinen rechnen wir zu den<lb/> Kulturvölkern und im Gegenſatz hiezu die Völker des aſiatiſchen Altertums, die heutigen<lb/> Japaner, die Peruaner und Mexikaner des 16. Jahrhunderts zu den Halbkulturvölkern.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [228/0244]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
vor uns ſteht, noch daß bei der großen Kompliziertheit der techniſchen Vorgänge, bei
der Selbſtändigkeit der Entwickelung einzelner Teile der Technik ihre fortſchreitende
Geſamterſcheinung ganz übereinſtimmende Züge zeigt.
Wir haben einleitend die bisherigen Verſuche einer Einteilung des hiſtoriſchen
Entwickelungsganges der Technik erwähnt, ſie dann im einzelnen teilweiſe kritiſiert, teil-
weiſe werden wir darauf zurückkommen. Wir wollen hier nicht verſuchen, aus unſerem
Material nun ein neues hiſtoriſch-techniſches Schema der Entwickelung aufzuſtellen; wir
glauben mit unſerer hiſtoriſchen Erzählung und den von uns gebrauchten Bezeichnungen
der einzelnen Epochen dem wiſſenſchaftlichen Bedürfniſſe, ſoweit es heute erfüllbar iſt,
Genüge gethan zu haben. Ohne konſtruierende Gewaltthätigkeit iſt heute nichts mehr
zu geben.
Nur darüber möchten wir noch ein Wort ſagen, daß natürlich die einzelnen
Elemente der Technik einer Zeit zwar in Wechſelwirkung ſtehen, daß aber dieſe je nach
Verkehr und Intelligenz, Volkscharakter und Klaſſenordnung eine ſehr verſchiedene iſt.
Die Technik der Ernährung, des Hausbaues, der Waffen iſt überall von Klima und
Boden mit abhängig. Viele Völker machen einzelne techniſche Fortſchritte, ohne die
entſprechenden, anderwärts hiermit zuſammenhängenden zu vollziehen. Nicht alle Völker
mit Töpferei, mit Pfeil und Bogen, mit beſtimmtem Hack-, Acker- oder Hausbau haben
im übrigen die gleiche Technik. Die verſchiedenen Stufen des Ackerbau-, Hirten- und
Gewerbelebens haben häufig, aber keineswegs immer, die Kriegstechnik in gleicher Weiſe
beeinflußt. Die Technik des Geldverkehrs hat häufig beſtimmte Folgen durch die ganze
Volkswirtſchaft hindurch gehabt. Aber alle dieſe Zuſammenhänge ſind ſehr kompliziert,
in ihrer Wirkſamkeit ſo vielfach beſchränkt, daß die Aufſtellung ſchematiſcher Reihen
ſehr ſchwierig iſt. Aus einigen bekannten techniſchen Elementen einer Zeit und eines Volkes
die übrigen unbekannten abzuleiten, iſt immer nur in beſchränktem Maße möglich. Noch
viel weniger freilich iſt die Ableitung der geiſtig moraliſchen Eigenſchaften der Menſchen
und der geſamten Inſtitutionen eines Volkes aus ſeiner Technik allein angängig.
Und nun noch ein letztes Wort über die auch von uns, im Anſchluß an den
gewöhnlichen wiſſenſchaftlichen Sprachgebrauch benutzten Begriffe der Halb- und Ganz-
kulturvölker, welche in Gegenſatz zu den primitiven, den Naturvölkern, wilden und
Barbarenvölkern geſtellt werden.
Mit dem ſehr allgemeinen Worte „Kultur“ hat der Sprachgenius ſich einen Begriff
gebildet, der ganz abſichtlich halb techniſch und wirtſchaftlich, halb moraliſch und politiſch
iſt. Mit dem Wort „Kulturvolk“ wollen wir einerſeits eine Stufe der Technik und der
durch ſie bedingten Wirtſchaft, andererſeits eine gewiſſe Höhe des geiſtig-moraliſchen
Lebens und der politiſchen Inſtitutionen bezeichnen. Nur ſeßhaften Völkern von einer
gewiſſen Größe, mit Ackerbau, Städten und Gewerben, mit einer ausgebildeten Haus-
wirtſchaft und einer bereits ſelbſtändig gewordenen Gemeinde- oder Staatswirtſchaft,
geben wir das auszeichnende Prädikat der Kultur; aber auch nur, wenn ihnen die geiſtigen
Vorausſetzungen dieſer techniſchen Erfolge, die Anfänge der Schrift, der Zahlen, des Maß-
und Gewichtsweſens in Fleiſch und Blut übergegangen ſind, und wenn ſie zugleich durch
höhere Religionsſyſteme, durch Sitte und Recht, durch eine ausgebildete Regierung zu einem
geordneten komplizierten Geſellſchaftszuſtand gekommen ſind. Wir teilen ſie in Halb-
und Ganzkulturvölker ein und verſtehen unter den erſteren die kleineren, älteren Völker
dieſer Art, deren geiſtig-moraliſches Leben noch tiefer ſteht, die noch despotiſchen Gewalten
unterworfen ſind, keine feſte Sphäre perſönlicher Freiheit kennen. Die Griechen mit
ihren Werkzeugen, wie die heutigen Europäer mit ihren Maſchinen rechnen wir zu den
Kulturvölkern und im Gegenſatz hiezu die Völker des aſiatiſchen Altertums, die heutigen
Japaner, die Peruaner und Mexikaner des 16. Jahrhunderts zu den Halbkulturvölkern.
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