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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Erstes Buch. Land, Leute und Technik.
welche in einer Sekunde 75 kg einen Meter hoch heben. Doch stellen die gewöhnlichen
Angaben über die Maschinen nicht die praktisch übliche, sondern die mögliche Maximal-
leistung dar.

Der Wind ist die billigste, wenn er weht, die fast überall faßbare und vorhandene
Kraft; aber die Windmühle hat nur 77 Normalarbeitstage im Jahre; der Wind ver-
sagt auch dem Segelschiffe immer wieder. Die alte, sehr unvollkommene Bockmühle nahm
in Preußen bis 1861 zu, die verbesserte holländische hat sie heute noch nicht verdrängt.
Die Ausnutzung des Windes im Segel haben erst seit 1850--60 die Segelanweisungen
des Kommodore F. Maury wesentlich verbessert; aber diese enorme Verbesserung hat die
Verdrängung des Segelschiffes durch den Dampf nicht gehindert; 1875 zählte man in der
europäischen Handelsmarine noch 12 Mill. Segel- auf 3 Mill. Dampftonnen, 1893
waren es nur noch 9,2 Mill. Segel- auf 7,4 Dampftonnen. Künftig wird das hölzerne
Segelschiff noch mehr gegen das eiserne Dampfschiff zurücktreten.

Die Wasserkraft leidet, wie der Wind, an der großen Ungleichheit von Wetter
und Jahreszeit; sie war bisher nur recht nutzbar, wo starkes Gefälle zusammentraf mit
den sonstigen Lebensbedingungen der Gewerbe; sie nötigte diese zur Zerstreuung in den
Thälern, am Rande der Gebirge; sie ist zu einem großen Teile an Orten vorhanden,
wo sie für kein Gewerbe nutzbar zu machen war, im Hochgebirge. Sie konnte durch die
alten unterschlächtigen Wasserräder nur bis zu 15--20 % ihrer Kraft ausgenutzt werden.
Die verbesserten oberschlächtigen Räder und die Turbinen, 1800--1850 erfunden, meist
erst später angewandt, steigerten den Nutzeffekt auf 50--80 %. Deutschland hatte 1816
wohl etwa 35000, 1882 53000 und 1895 46000 Hauptgewerbebetriebe mit Wasser-
kraft; solche mit Dampf waren es 1882 34000, 1895 57000; die mit Wasserkraft
hatten 1895 0,6, die mit Dampf schon 2,7 Mill. Pferdekräfte. Durch die neuesten Er-
findungen steht aber der Wasserkraft ein neuer, ungeahnter Fortschritt bevor. Durch
die Elektricität läßt die Kraft sich aufspeichern und auf 100--400 km an die passendsten
Stellen leiten; die Wasserfälle der abgelegenen Gebirge, der Stromschnellen werden
nutzbar und erzeugen in ihrer weiteren Umgebung jetzt große Fabrikdistrikte; so in
Schweden, Norwegen, Rußland, in den Alpen, der Schweiz, am Rheinfall. Außerdem
scheint es, daß man demnächst die Wasserkraft der Gezeiten und der Flußläufe durch neue
technische Methoden dem Menschen dienstbar machen kann; die deutschen Ströme sollen
allein 1,8 Mill. ungenützter Pferdekräfte enthalten.

Daß der Wasserdampf durch seine Ausdehnung und seinen Druck als bewegende
Kraft dienen könne, wußte man seit dem Altertume; erst Professor Papin in Marburg
wandte ihn 1690 im Cylinder auf einen zu bewegenden Kolben an; seit 1702--12
wurde die Dampfmaschine zur Wasserhebung in den englischen Bergwerken benutzt.
James Watt konstruierte dann 1768--92 in endlosen Versuchen seine Dampfmaschine,
die zuerst bei der Wasserhebung in Bergwerken, dann als bewegende Kraft in Spinne-
reien, Mühlen, Walzwerken Anwendung fand. Brachte seine Erfindung schon eine große
Ersparung an Heizmaterial, zu stärkerer, erst recht wirksamer Dampfspannung überzugehen
hatte er wegen ihrer Gefahren nicht gewagt. Die Hochdruckmaschinen (von 1802 an)
mit fünffachem Atmosphärendruck sparten 4/5 der Heizkraft und des Raumes. Weitere
Verbesserungen haben seither nicht aufgehört. Auf Räder gestellte Dampfmaschinen zum
Transporte auf Schienenwegen erfand Georg Stephenson 1821--29, Dampfschiffe Robert
Fulton 1806--7, Schraubendampfschiffe Erikson 1827. Bewegliche Dampfmaschinen,
Lokomobilen, zu allerlei Verwendung, datieren von 1841. Immer bessere, größere,
kohlensparendere Maschinen wurden konstruiert; hatte man bis 1850 meist Dampf-
maschinen von 2--30 Pferdekräften, so stiegen sie später häufig auf 100--500, neuestens
auf 1000 und mehr; die neuesten Seedampfer haben solche bis zu 8--15000 Pferde-
kräften und diese brauchen 1/36 der Kohlen gegen 1850.

Bis zum Jahre 1850 war die Verbreitung der Dampfmaschine noch mäßig: in
Frankreich waren damals etwa 5000, in Deutschland etwa 3600 stehende Maschinen.
Im Jahre 1895 waren bei uns 58530 Dampfgewerbebetriebe (darunter 57245 Haupt-
betriebe) mit 2,7 Mill. Pferdekräften; die Gesamtzahl der Dampfpferdekräfte einschließlich

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
welche in einer Sekunde 75 kg einen Meter hoch heben. Doch ſtellen die gewöhnlichen
Angaben über die Maſchinen nicht die praktiſch übliche, ſondern die mögliche Maximal-
leiſtung dar.

Der Wind iſt die billigſte, wenn er weht, die faſt überall faßbare und vorhandene
Kraft; aber die Windmühle hat nur 77 Normalarbeitstage im Jahre; der Wind ver-
ſagt auch dem Segelſchiffe immer wieder. Die alte, ſehr unvollkommene Bockmühle nahm
in Preußen bis 1861 zu, die verbeſſerte holländiſche hat ſie heute noch nicht verdrängt.
Die Ausnutzung des Windes im Segel haben erſt ſeit 1850—60 die Segelanweiſungen
des Kommodore F. Maury weſentlich verbeſſert; aber dieſe enorme Verbeſſerung hat die
Verdrängung des Segelſchiffes durch den Dampf nicht gehindert; 1875 zählte man in der
europäiſchen Handelsmarine noch 12 Mill. Segel- auf 3 Mill. Dampftonnen, 1893
waren es nur noch 9,2 Mill. Segel- auf 7,4 Dampftonnen. Künftig wird das hölzerne
Segelſchiff noch mehr gegen das eiſerne Dampfſchiff zurücktreten.

Die Waſſerkraft leidet, wie der Wind, an der großen Ungleichheit von Wetter
und Jahreszeit; ſie war bisher nur recht nutzbar, wo ſtarkes Gefälle zuſammentraf mit
den ſonſtigen Lebensbedingungen der Gewerbe; ſie nötigte dieſe zur Zerſtreuung in den
Thälern, am Rande der Gebirge; ſie iſt zu einem großen Teile an Orten vorhanden,
wo ſie für kein Gewerbe nutzbar zu machen war, im Hochgebirge. Sie konnte durch die
alten unterſchlächtigen Waſſerräder nur bis zu 15—20 % ihrer Kraft ausgenutzt werden.
Die verbeſſerten oberſchlächtigen Räder und die Turbinen, 1800—1850 erfunden, meiſt
erſt ſpäter angewandt, ſteigerten den Nutzeffekt auf 50—80 %. Deutſchland hatte 1816
wohl etwa 35000, 1882 53000 und 1895 46000 Hauptgewerbebetriebe mit Waſſer-
kraft; ſolche mit Dampf waren es 1882 34000, 1895 57000; die mit Waſſerkraft
hatten 1895 0,6, die mit Dampf ſchon 2,7 Mill. Pferdekräfte. Durch die neueſten Er-
findungen ſteht aber der Waſſerkraft ein neuer, ungeahnter Fortſchritt bevor. Durch
die Elektricität läßt die Kraft ſich aufſpeichern und auf 100—400 km an die paſſendſten
Stellen leiten; die Waſſerfälle der abgelegenen Gebirge, der Stromſchnellen werden
nutzbar und erzeugen in ihrer weiteren Umgebung jetzt große Fabrikdiſtrikte; ſo in
Schweden, Norwegen, Rußland, in den Alpen, der Schweiz, am Rheinfall. Außerdem
ſcheint es, daß man demnächſt die Waſſerkraft der Gezeiten und der Flußläufe durch neue
techniſche Methoden dem Menſchen dienſtbar machen kann; die deutſchen Ströme ſollen
allein 1,8 Mill. ungenützter Pferdekräfte enthalten.

Daß der Waſſerdampf durch ſeine Ausdehnung und ſeinen Druck als bewegende
Kraft dienen könne, wußte man ſeit dem Altertume; erſt Profeſſor Papin in Marburg
wandte ihn 1690 im Cylinder auf einen zu bewegenden Kolben an; ſeit 1702—12
wurde die Dampfmaſchine zur Waſſerhebung in den engliſchen Bergwerken benutzt.
James Watt konſtruierte dann 1768—92 in endloſen Verſuchen ſeine Dampfmaſchine,
die zuerſt bei der Waſſerhebung in Bergwerken, dann als bewegende Kraft in Spinne-
reien, Mühlen, Walzwerken Anwendung fand. Brachte ſeine Erfindung ſchon eine große
Erſparung an Heizmaterial, zu ſtärkerer, erſt recht wirkſamer Dampfſpannung überzugehen
hatte er wegen ihrer Gefahren nicht gewagt. Die Hochdruckmaſchinen (von 1802 an)
mit fünffachem Atmoſphärendruck ſparten ⅘ der Heizkraft und des Raumes. Weitere
Verbeſſerungen haben ſeither nicht aufgehört. Auf Räder geſtellte Dampfmaſchinen zum
Transporte auf Schienenwegen erfand Georg Stephenſon 1821—29, Dampfſchiffe Robert
Fulton 1806—7, Schraubendampfſchiffe Erikſon 1827. Bewegliche Dampfmaſchinen,
Lokomobilen, zu allerlei Verwendung, datieren von 1841. Immer beſſere, größere,
kohlenſparendere Maſchinen wurden konſtruiert; hatte man bis 1850 meiſt Dampf-
maſchinen von 2—30 Pferdekräften, ſo ſtiegen ſie ſpäter häufig auf 100—500, neueſtens
auf 1000 und mehr; die neueſten Seedampfer haben ſolche bis zu 8—15000 Pferde-
kräften und dieſe brauchen 1/36 der Kohlen gegen 1850.

Bis zum Jahre 1850 war die Verbreitung der Dampfmaſchine noch mäßig: in
Frankreich waren damals etwa 5000, in Deutſchland etwa 3600 ſtehende Maſchinen.
Im Jahre 1895 waren bei uns 58530 Dampfgewerbebetriebe (darunter 57245 Haupt-
betriebe) mit 2,7 Mill. Pferdekräften; die Geſamtzahl der Dampfpferdekräfte einſchließlich

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[212/0228] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. welche in einer Sekunde 75 kg einen Meter hoch heben. Doch ſtellen die gewöhnlichen Angaben über die Maſchinen nicht die praktiſch übliche, ſondern die mögliche Maximal- leiſtung dar. Der Wind iſt die billigſte, wenn er weht, die faſt überall faßbare und vorhandene Kraft; aber die Windmühle hat nur 77 Normalarbeitstage im Jahre; der Wind ver- ſagt auch dem Segelſchiffe immer wieder. Die alte, ſehr unvollkommene Bockmühle nahm in Preußen bis 1861 zu, die verbeſſerte holländiſche hat ſie heute noch nicht verdrängt. Die Ausnutzung des Windes im Segel haben erſt ſeit 1850—60 die Segelanweiſungen des Kommodore F. Maury weſentlich verbeſſert; aber dieſe enorme Verbeſſerung hat die Verdrängung des Segelſchiffes durch den Dampf nicht gehindert; 1875 zählte man in der europäiſchen Handelsmarine noch 12 Mill. Segel- auf 3 Mill. Dampftonnen, 1893 waren es nur noch 9,2 Mill. Segel- auf 7,4 Dampftonnen. Künftig wird das hölzerne Segelſchiff noch mehr gegen das eiſerne Dampfſchiff zurücktreten. Die Waſſerkraft leidet, wie der Wind, an der großen Ungleichheit von Wetter und Jahreszeit; ſie war bisher nur recht nutzbar, wo ſtarkes Gefälle zuſammentraf mit den ſonſtigen Lebensbedingungen der Gewerbe; ſie nötigte dieſe zur Zerſtreuung in den Thälern, am Rande der Gebirge; ſie iſt zu einem großen Teile an Orten vorhanden, wo ſie für kein Gewerbe nutzbar zu machen war, im Hochgebirge. Sie konnte durch die alten unterſchlächtigen Waſſerräder nur bis zu 15—20 % ihrer Kraft ausgenutzt werden. Die verbeſſerten oberſchlächtigen Räder und die Turbinen, 1800—1850 erfunden, meiſt erſt ſpäter angewandt, ſteigerten den Nutzeffekt auf 50—80 %. Deutſchland hatte 1816 wohl etwa 35000, 1882 53000 und 1895 46000 Hauptgewerbebetriebe mit Waſſer- kraft; ſolche mit Dampf waren es 1882 34000, 1895 57000; die mit Waſſerkraft hatten 1895 0,6, die mit Dampf ſchon 2,7 Mill. Pferdekräfte. Durch die neueſten Er- findungen ſteht aber der Waſſerkraft ein neuer, ungeahnter Fortſchritt bevor. Durch die Elektricität läßt die Kraft ſich aufſpeichern und auf 100—400 km an die paſſendſten Stellen leiten; die Waſſerfälle der abgelegenen Gebirge, der Stromſchnellen werden nutzbar und erzeugen in ihrer weiteren Umgebung jetzt große Fabrikdiſtrikte; ſo in Schweden, Norwegen, Rußland, in den Alpen, der Schweiz, am Rheinfall. Außerdem ſcheint es, daß man demnächſt die Waſſerkraft der Gezeiten und der Flußläufe durch neue techniſche Methoden dem Menſchen dienſtbar machen kann; die deutſchen Ströme ſollen allein 1,8 Mill. ungenützter Pferdekräfte enthalten. Daß der Waſſerdampf durch ſeine Ausdehnung und ſeinen Druck als bewegende Kraft dienen könne, wußte man ſeit dem Altertume; erſt Profeſſor Papin in Marburg wandte ihn 1690 im Cylinder auf einen zu bewegenden Kolben an; ſeit 1702—12 wurde die Dampfmaſchine zur Waſſerhebung in den engliſchen Bergwerken benutzt. James Watt konſtruierte dann 1768—92 in endloſen Verſuchen ſeine Dampfmaſchine, die zuerſt bei der Waſſerhebung in Bergwerken, dann als bewegende Kraft in Spinne- reien, Mühlen, Walzwerken Anwendung fand. Brachte ſeine Erfindung ſchon eine große Erſparung an Heizmaterial, zu ſtärkerer, erſt recht wirkſamer Dampfſpannung überzugehen hatte er wegen ihrer Gefahren nicht gewagt. Die Hochdruckmaſchinen (von 1802 an) mit fünffachem Atmoſphärendruck ſparten ⅘ der Heizkraft und des Raumes. Weitere Verbeſſerungen haben ſeither nicht aufgehört. Auf Räder geſtellte Dampfmaſchinen zum Transporte auf Schienenwegen erfand Georg Stephenſon 1821—29, Dampfſchiffe Robert Fulton 1806—7, Schraubendampfſchiffe Erikſon 1827. Bewegliche Dampfmaſchinen, Lokomobilen, zu allerlei Verwendung, datieren von 1841. Immer beſſere, größere, kohlenſparendere Maſchinen wurden konſtruiert; hatte man bis 1850 meiſt Dampf- maſchinen von 2—30 Pferdekräften, ſo ſtiegen ſie ſpäter häufig auf 100—500, neueſtens auf 1000 und mehr; die neueſten Seedampfer haben ſolche bis zu 8—15000 Pferde- kräften und dieſe brauchen 1/36 der Kohlen gegen 1850. Bis zum Jahre 1850 war die Verbreitung der Dampfmaſchine noch mäßig: in Frankreich waren damals etwa 5000, in Deutſchland etwa 3600 ſtehende Maſchinen. Im Jahre 1895 waren bei uns 58530 Dampfgewerbebetriebe (darunter 57245 Haupt- betriebe) mit 2,7 Mill. Pferdekräften; die Geſamtzahl der Dampfpferdekräfte einſchließlich

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/228>, abgerufen am 05.12.2024.