Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Ursachen der Werkzeugschaffung und aller Technik.
ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen
zu erzielen.

Und noch mehr gilt dies, wenn der Mensch beginnt, gemeinsam, zu mehreren
eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Wasserkraft für sich anspannt,
durch Getriebe und Räder feste, gleichmäßige Bewegungen herstellt. Auch die Maschinen,
sagt Reuleaux, seien bewußte oder unbewußte Kopien des menschlichen oder tierischen
Knochen- und Muskelgerüstes, Projektionen des menschlichen Denkens und des menschlichen
Körpers in die Sinnenwelt hinaus.

Es ist eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom ersten Hammer und Stab
bis zur heutigen Dynamomaschine, die durch immer bessere Beobachtung, durch stets
wiederholtes Probieren, Tasten, Versuchen, durch zahllose kleine Verbesserungen, durch
immer komplizierteres Zusammensetzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte.

Viele Entdeckungen und Fortschritte sind gewiß an verschiedenen Orten unabhängig
von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die
Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, so ist es wohl begreiflich,
daß die Axt z. B. immer wieder dieselbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden
des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort entstanden. Aber da
jede Entdeckung ein Ergebnis besonders glücklicher Umstände und hervorragender geistiger
Eigenschaften ist, so wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung
doch außerordentlich befördert. Und so weit wir diese im Anschluß an die uns bekannten
oder wahrscheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, so scheint es, als ob so
ziemlich alle höhere technische Kultur von Vorderasien, vielleicht von jenen mongolisch-
tatarischen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen sei; von
hier können diese technischen Künste durch ostwärts wandernde Mongolen nach China
und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den assyrisch-babylonisch-ägyptischen
Völkern und endlich durch sie wie durch die westlich wandernden Indogermanen zu der
abendländischen Welt gekommen sein. Ebenso zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und
Waffen bei Völkern und Rassen, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden,
daß sie die technischen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht so leicht selbständig
nachholen konnten.

Eine klare und erschöpfende Erkenntnis der Ursachen, warum gewisse technische
Fortschritte zu bestimmter Zeit, an bestimmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent-
standen, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden seien, warum sie sich langsam
oder rasch verbreitet haben, besitzen wir heute nicht, wenigstens nicht für alle fernere
Vergangenheit. Wir müssen zufrieden sein, im folgenden einiges Licht in dieses Dunkel
zu bringen.

So viel aber können wir sagen: äußere Umstände, Klima, Flora und Fauna, Lebens-
lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben stets als Druck und Anstoß gewirkt. Führt doch
z. B. M. Wagner die ersten großen technischen Fortschritte auf die Not der Eiszeit
zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem
Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtausende lang
gewisse Stämme und Rassen auf demselben Standpunkte der Technik verharren, wird
häufig mit der Thatsache zusammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die-
selben blieben, keine Einflüsse höherstehender Völker sie erreichten. Aber der springende
Punkt für die Fortschritte wird doch immer in der geistigen Beschaffenheit der Menschen
liegen. Aller technische Fortschritt kann nur das Ergebnis des Scharfsinnes, der Be-
obachtung, der besonderen Findigkeit sein; auch der einfachste Arbeiter und der Prak-
tiker, welche neue Maschinenteile und Methoden erfinden, sind ausnahmsweise kluge
Menschen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun
dazu in gewissen Zeiten, bei gewissen begabten, auf höherer Kulturstufe stehenden
Völkern oder Klassen eine durch mathematisch-naturwissenschaftliche Fortschritte, durch
Unterricht gesteigerte Atmosphäre, wie seinerzeit bei den ältesten Kulturvölkern des
Euphrat und des Nillandes, im ptolemäischen Zeitalter, in der Renaissancezeit, in den
letzten Jahrhunderten, so werden die großen Geister in der wissenschaftlichen Natur-

Die Urſachen der Werkzeugſchaffung und aller Technik.
ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen
zu erzielen.

Und noch mehr gilt dies, wenn der Menſch beginnt, gemeinſam, zu mehreren
eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Waſſerkraft für ſich anſpannt,
durch Getriebe und Räder feſte, gleichmäßige Bewegungen herſtellt. Auch die Maſchinen,
ſagt Reuleaux, ſeien bewußte oder unbewußte Kopien des menſchlichen oder tieriſchen
Knochen- und Muskelgerüſtes, Projektionen des menſchlichen Denkens und des menſchlichen
Körpers in die Sinnenwelt hinaus.

Es iſt eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom erſten Hammer und Stab
bis zur heutigen Dynamomaſchine, die durch immer beſſere Beobachtung, durch ſtets
wiederholtes Probieren, Taſten, Verſuchen, durch zahlloſe kleine Verbeſſerungen, durch
immer komplizierteres Zuſammenſetzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte.

Viele Entdeckungen und Fortſchritte ſind gewiß an verſchiedenen Orten unabhängig
von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die
Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, ſo iſt es wohl begreiflich,
daß die Axt z. B. immer wieder dieſelbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden
des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort entſtanden. Aber da
jede Entdeckung ein Ergebnis beſonders glücklicher Umſtände und hervorragender geiſtiger
Eigenſchaften iſt, ſo wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung
doch außerordentlich befördert. Und ſo weit wir dieſe im Anſchluß an die uns bekannten
oder wahrſcheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, ſo ſcheint es, als ob ſo
ziemlich alle höhere techniſche Kultur von Vorderaſien, vielleicht von jenen mongoliſch-
tatariſchen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen ſei; von
hier können dieſe techniſchen Künſte durch oſtwärts wandernde Mongolen nach China
und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den aſſyriſch-babyloniſch-ägyptiſchen
Völkern und endlich durch ſie wie durch die weſtlich wandernden Indogermanen zu der
abendländiſchen Welt gekommen ſein. Ebenſo zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und
Waffen bei Völkern und Raſſen, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden,
daß ſie die techniſchen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht ſo leicht ſelbſtändig
nachholen konnten.

Eine klare und erſchöpfende Erkenntnis der Urſachen, warum gewiſſe techniſche
Fortſchritte zu beſtimmter Zeit, an beſtimmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent-
ſtanden, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden ſeien, warum ſie ſich langſam
oder raſch verbreitet haben, beſitzen wir heute nicht, wenigſtens nicht für alle fernere
Vergangenheit. Wir müſſen zufrieden ſein, im folgenden einiges Licht in dieſes Dunkel
zu bringen.

So viel aber können wir ſagen: äußere Umſtände, Klima, Flora und Fauna, Lebens-
lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben ſtets als Druck und Anſtoß gewirkt. Führt doch
z. B. M. Wagner die erſten großen techniſchen Fortſchritte auf die Not der Eiszeit
zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem
Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtauſende lang
gewiſſe Stämme und Raſſen auf demſelben Standpunkte der Technik verharren, wird
häufig mit der Thatſache zuſammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die-
ſelben blieben, keine Einflüſſe höherſtehender Völker ſie erreichten. Aber der ſpringende
Punkt für die Fortſchritte wird doch immer in der geiſtigen Beſchaffenheit der Menſchen
liegen. Aller techniſche Fortſchritt kann nur das Ergebnis des Scharfſinnes, der Be-
obachtung, der beſonderen Findigkeit ſein; auch der einfachſte Arbeiter und der Prak-
tiker, welche neue Maſchinenteile und Methoden erfinden, ſind ausnahmsweiſe kluge
Menſchen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun
dazu in gewiſſen Zeiten, bei gewiſſen begabten, auf höherer Kulturſtufe ſtehenden
Völkern oder Klaſſen eine durch mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Fortſchritte, durch
Unterricht geſteigerte Atmoſphäre, wie ſeinerzeit bei den älteſten Kulturvölkern des
Euphrat und des Nillandes, im ptolemäiſchen Zeitalter, in der Renaiſſancezeit, in den
letzten Jahrhunderten, ſo werden die großen Geiſter in der wiſſenſchaftlichen Natur-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="191"/><fw place="top" type="header">Die Ur&#x017F;achen der Werkzeug&#x017F;chaffung und aller Technik.</fw><lb/>
ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen<lb/>
zu erzielen.</p><lb/>
          <p>Und noch mehr gilt dies, wenn der Men&#x017F;ch beginnt, gemein&#x017F;am, zu mehreren<lb/>
eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Wa&#x017F;&#x017F;erkraft für &#x017F;ich an&#x017F;pannt,<lb/>
durch Getriebe und Räder fe&#x017F;te, gleichmäßige Bewegungen her&#x017F;tellt. Auch die Ma&#x017F;chinen,<lb/>
&#x017F;agt Reuleaux, &#x017F;eien bewußte oder unbewußte Kopien des men&#x017F;chlichen oder tieri&#x017F;chen<lb/>
Knochen- und Muskelgerü&#x017F;tes, Projektionen des men&#x017F;chlichen Denkens und des men&#x017F;chlichen<lb/>
Körpers in die Sinnenwelt hinaus.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom er&#x017F;ten Hammer und Stab<lb/>
bis zur heutigen Dynamoma&#x017F;chine, die durch immer be&#x017F;&#x017F;ere Beobachtung, durch &#x017F;tets<lb/>
wiederholtes Probieren, Ta&#x017F;ten, Ver&#x017F;uchen, durch zahllo&#x017F;e kleine Verbe&#x017F;&#x017F;erungen, durch<lb/>
immer komplizierteres Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte.</p><lb/>
          <p>Viele Entdeckungen und Fort&#x017F;chritte &#x017F;ind gewiß an ver&#x017F;chiedenen Orten unabhängig<lb/>
von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die<lb/>
Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, &#x017F;o i&#x017F;t es wohl begreiflich,<lb/>
daß die Axt z. B. immer wieder die&#x017F;elbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden<lb/>
des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort ent&#x017F;tanden. Aber da<lb/>
jede Entdeckung ein Ergebnis be&#x017F;onders glücklicher Um&#x017F;tände und hervorragender gei&#x017F;tiger<lb/>
Eigen&#x017F;chaften i&#x017F;t, &#x017F;o wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung<lb/>
doch außerordentlich befördert. Und &#x017F;o weit wir die&#x017F;e im An&#x017F;chluß an die uns bekannten<lb/>
oder wahr&#x017F;cheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, &#x017F;o &#x017F;cheint es, als ob &#x017F;o<lb/>
ziemlich alle höhere techni&#x017F;che Kultur von Vordera&#x017F;ien, vielleicht von jenen mongoli&#x017F;ch-<lb/>
tatari&#x017F;chen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen &#x017F;ei; von<lb/>
hier können die&#x017F;e techni&#x017F;chen Kün&#x017F;te durch o&#x017F;twärts wandernde Mongolen nach China<lb/>
und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;ch-babyloni&#x017F;ch-ägypti&#x017F;chen<lb/>
Völkern und endlich durch &#x017F;ie wie durch die we&#x017F;tlich wandernden Indogermanen zu der<lb/>
abendländi&#x017F;chen Welt gekommen &#x017F;ein. Eben&#x017F;o zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und<lb/>
Waffen bei Völkern und Ra&#x017F;&#x017F;en, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden,<lb/>
daß &#x017F;ie die techni&#x017F;chen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht &#x017F;o leicht &#x017F;elb&#x017F;tändig<lb/>
nachholen konnten.</p><lb/>
          <p>Eine klare und er&#x017F;chöpfende Erkenntnis der Ur&#x017F;achen, warum gewi&#x017F;&#x017F;e techni&#x017F;che<lb/>
Fort&#x017F;chritte zu be&#x017F;timmter Zeit, an be&#x017F;timmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent-<lb/>
&#x017F;tanden, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden &#x017F;eien, warum &#x017F;ie &#x017F;ich lang&#x017F;am<lb/>
oder ra&#x017F;ch verbreitet haben, be&#x017F;itzen wir heute nicht, wenig&#x017F;tens nicht für alle fernere<lb/>
Vergangenheit. Wir mü&#x017F;&#x017F;en zufrieden &#x017F;ein, im folgenden einiges Licht in die&#x017F;es Dunkel<lb/>
zu bringen.</p><lb/>
          <p>So viel aber können wir &#x017F;agen: äußere Um&#x017F;tände, Klima, Flora und Fauna, Lebens-<lb/>
lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben &#x017F;tets als Druck und An&#x017F;toß gewirkt. Führt doch<lb/>
z. B. M. Wagner die er&#x017F;ten großen techni&#x017F;chen Fort&#x017F;chritte auf die Not der Eiszeit<lb/>
zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem<lb/>
Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtau&#x017F;ende lang<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Stämme und Ra&#x017F;&#x017F;en auf dem&#x017F;elben Standpunkte der Technik verharren, wird<lb/>
häufig mit der That&#x017F;ache zu&#x017F;ammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die-<lb/>
&#x017F;elben blieben, keine Einflü&#x017F;&#x017F;e höher&#x017F;tehender Völker &#x017F;ie erreichten. Aber der &#x017F;pringende<lb/>
Punkt für die Fort&#x017F;chritte wird doch immer in der gei&#x017F;tigen Be&#x017F;chaffenheit der Men&#x017F;chen<lb/>
liegen. Aller techni&#x017F;che Fort&#x017F;chritt kann nur das Ergebnis des Scharf&#x017F;innes, der Be-<lb/>
obachtung, der be&#x017F;onderen Findigkeit &#x017F;ein; auch der einfach&#x017F;te Arbeiter und der Prak-<lb/>
tiker, welche neue Ma&#x017F;chinenteile und Methoden erfinden, &#x017F;ind ausnahmswei&#x017F;e kluge<lb/>
Men&#x017F;chen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun<lb/>
dazu in gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten, bei gewi&#x017F;&#x017F;en begabten, auf höherer Kultur&#x017F;tufe &#x017F;tehenden<lb/>
Völkern oder Kla&#x017F;&#x017F;en eine durch mathemati&#x017F;ch-naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Fort&#x017F;chritte, durch<lb/>
Unterricht ge&#x017F;teigerte Atmo&#x017F;phäre, wie &#x017F;einerzeit bei den älte&#x017F;ten Kulturvölkern des<lb/>
Euphrat und des Nillandes, im ptolemäi&#x017F;chen Zeitalter, in der Renai&#x017F;&#x017F;ancezeit, in den<lb/>
letzten Jahrhunderten, &#x017F;o werden die großen Gei&#x017F;ter in der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Natur-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0207] Die Urſachen der Werkzeugſchaffung und aller Technik. ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen zu erzielen. Und noch mehr gilt dies, wenn der Menſch beginnt, gemeinſam, zu mehreren eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Waſſerkraft für ſich anſpannt, durch Getriebe und Räder feſte, gleichmäßige Bewegungen herſtellt. Auch die Maſchinen, ſagt Reuleaux, ſeien bewußte oder unbewußte Kopien des menſchlichen oder tieriſchen Knochen- und Muskelgerüſtes, Projektionen des menſchlichen Denkens und des menſchlichen Körpers in die Sinnenwelt hinaus. Es iſt eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom erſten Hammer und Stab bis zur heutigen Dynamomaſchine, die durch immer beſſere Beobachtung, durch ſtets wiederholtes Probieren, Taſten, Verſuchen, durch zahlloſe kleine Verbeſſerungen, durch immer komplizierteres Zuſammenſetzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte. Viele Entdeckungen und Fortſchritte ſind gewiß an verſchiedenen Orten unabhängig von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, ſo iſt es wohl begreiflich, daß die Axt z. B. immer wieder dieſelbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort entſtanden. Aber da jede Entdeckung ein Ergebnis beſonders glücklicher Umſtände und hervorragender geiſtiger Eigenſchaften iſt, ſo wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung doch außerordentlich befördert. Und ſo weit wir dieſe im Anſchluß an die uns bekannten oder wahrſcheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, ſo ſcheint es, als ob ſo ziemlich alle höhere techniſche Kultur von Vorderaſien, vielleicht von jenen mongoliſch- tatariſchen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen ſei; von hier können dieſe techniſchen Künſte durch oſtwärts wandernde Mongolen nach China und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den aſſyriſch-babyloniſch-ägyptiſchen Völkern und endlich durch ſie wie durch die weſtlich wandernden Indogermanen zu der abendländiſchen Welt gekommen ſein. Ebenſo zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und Waffen bei Völkern und Raſſen, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden, daß ſie die techniſchen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht ſo leicht ſelbſtändig nachholen konnten. Eine klare und erſchöpfende Erkenntnis der Urſachen, warum gewiſſe techniſche Fortſchritte zu beſtimmter Zeit, an beſtimmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent- ſtanden, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden ſeien, warum ſie ſich langſam oder raſch verbreitet haben, beſitzen wir heute nicht, wenigſtens nicht für alle fernere Vergangenheit. Wir müſſen zufrieden ſein, im folgenden einiges Licht in dieſes Dunkel zu bringen. So viel aber können wir ſagen: äußere Umſtände, Klima, Flora und Fauna, Lebens- lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben ſtets als Druck und Anſtoß gewirkt. Führt doch z. B. M. Wagner die erſten großen techniſchen Fortſchritte auf die Not der Eiszeit zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtauſende lang gewiſſe Stämme und Raſſen auf demſelben Standpunkte der Technik verharren, wird häufig mit der Thatſache zuſammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die- ſelben blieben, keine Einflüſſe höherſtehender Völker ſie erreichten. Aber der ſpringende Punkt für die Fortſchritte wird doch immer in der geiſtigen Beſchaffenheit der Menſchen liegen. Aller techniſche Fortſchritt kann nur das Ergebnis des Scharfſinnes, der Be- obachtung, der beſonderen Findigkeit ſein; auch der einfachſte Arbeiter und der Prak- tiker, welche neue Maſchinenteile und Methoden erfinden, ſind ausnahmsweiſe kluge Menſchen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun dazu in gewiſſen Zeiten, bei gewiſſen begabten, auf höherer Kulturſtufe ſtehenden Völkern oder Klaſſen eine durch mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Fortſchritte, durch Unterricht geſteigerte Atmoſphäre, wie ſeinerzeit bei den älteſten Kulturvölkern des Euphrat und des Nillandes, im ptolemäiſchen Zeitalter, in der Renaiſſancezeit, in den letzten Jahrhunderten, ſo werden die großen Geiſter in der wiſſenſchaftlichen Natur-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/207
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/207>, abgerufen am 27.04.2024.