Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Ursachen der Werkzeugschaffung und aller Technik. ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungenzu erzielen. Und noch mehr gilt dies, wenn der Mensch beginnt, gemeinsam, zu mehreren Es ist eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom ersten Hammer und Stab Viele Entdeckungen und Fortschritte sind gewiß an verschiedenen Orten unabhängig Eine klare und erschöpfende Erkenntnis der Ursachen, warum gewisse technische So viel aber können wir sagen: äußere Umstände, Klima, Flora und Fauna, Lebens- Die Urſachen der Werkzeugſchaffung und aller Technik. ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungenzu erzielen. Und noch mehr gilt dies, wenn der Menſch beginnt, gemeinſam, zu mehreren Es iſt eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom erſten Hammer und Stab Viele Entdeckungen und Fortſchritte ſind gewiß an verſchiedenen Orten unabhängig Eine klare und erſchöpfende Erkenntnis der Urſachen, warum gewiſſe techniſche So viel aber können wir ſagen: äußere Umſtände, Klima, Flora und Fauna, Lebens- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0207" n="191"/><fw place="top" type="header">Die Urſachen der Werkzeugſchaffung und aller Technik.</fw><lb/> ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen<lb/> zu erzielen.</p><lb/> <p>Und noch mehr gilt dies, wenn der Menſch beginnt, gemeinſam, zu mehreren<lb/> eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Waſſerkraft für ſich anſpannt,<lb/> durch Getriebe und Räder feſte, gleichmäßige Bewegungen herſtellt. Auch die Maſchinen,<lb/> ſagt Reuleaux, ſeien bewußte oder unbewußte Kopien des menſchlichen oder tieriſchen<lb/> Knochen- und Muskelgerüſtes, Projektionen des menſchlichen Denkens und des menſchlichen<lb/> Körpers in die Sinnenwelt hinaus.</p><lb/> <p>Es iſt eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom erſten Hammer und Stab<lb/> bis zur heutigen Dynamomaſchine, die durch immer beſſere Beobachtung, durch ſtets<lb/> wiederholtes Probieren, Taſten, Verſuchen, durch zahlloſe kleine Verbeſſerungen, durch<lb/> immer komplizierteres Zuſammenſetzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte.</p><lb/> <p>Viele Entdeckungen und Fortſchritte ſind gewiß an verſchiedenen Orten unabhängig<lb/> von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die<lb/> Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, ſo iſt es wohl begreiflich,<lb/> daß die Axt z. B. immer wieder dieſelbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden<lb/> des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort entſtanden. Aber da<lb/> jede Entdeckung ein Ergebnis beſonders glücklicher Umſtände und hervorragender geiſtiger<lb/> Eigenſchaften iſt, ſo wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung<lb/> doch außerordentlich befördert. Und ſo weit wir dieſe im Anſchluß an die uns bekannten<lb/> oder wahrſcheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, ſo ſcheint es, als ob ſo<lb/> ziemlich alle höhere techniſche Kultur von Vorderaſien, vielleicht von jenen mongoliſch-<lb/> tatariſchen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen ſei; von<lb/> hier können dieſe techniſchen Künſte durch oſtwärts wandernde Mongolen nach China<lb/> und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den aſſyriſch-babyloniſch-ägyptiſchen<lb/> Völkern und endlich durch ſie wie durch die weſtlich wandernden Indogermanen zu der<lb/> abendländiſchen Welt gekommen ſein. Ebenſo zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und<lb/> Waffen bei Völkern und Raſſen, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden,<lb/> daß ſie die techniſchen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht ſo leicht ſelbſtändig<lb/> nachholen konnten.</p><lb/> <p>Eine klare und erſchöpfende Erkenntnis der Urſachen, warum gewiſſe techniſche<lb/> Fortſchritte zu beſtimmter Zeit, an beſtimmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent-<lb/> ſtanden, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden ſeien, warum ſie ſich langſam<lb/> oder raſch verbreitet haben, beſitzen wir heute nicht, wenigſtens nicht für alle fernere<lb/> Vergangenheit. Wir müſſen zufrieden ſein, im folgenden einiges Licht in dieſes Dunkel<lb/> zu bringen.</p><lb/> <p>So viel aber können wir ſagen: äußere Umſtände, Klima, Flora und Fauna, Lebens-<lb/> lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben ſtets als Druck und Anſtoß gewirkt. Führt doch<lb/> z. B. M. Wagner die erſten großen techniſchen Fortſchritte auf die Not der Eiszeit<lb/> zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem<lb/> Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtauſende lang<lb/> gewiſſe Stämme und Raſſen auf demſelben Standpunkte der Technik verharren, wird<lb/> häufig mit der Thatſache zuſammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die-<lb/> ſelben blieben, keine Einflüſſe höherſtehender Völker ſie erreichten. Aber der ſpringende<lb/> Punkt für die Fortſchritte wird doch immer in der geiſtigen Beſchaffenheit der Menſchen<lb/> liegen. Aller techniſche Fortſchritt kann nur das Ergebnis des Scharfſinnes, der Be-<lb/> obachtung, der beſonderen Findigkeit ſein; auch der einfachſte Arbeiter und der Prak-<lb/> tiker, welche neue Maſchinenteile und Methoden erfinden, ſind ausnahmsweiſe kluge<lb/> Menſchen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun<lb/> dazu in gewiſſen Zeiten, bei gewiſſen begabten, auf höherer Kulturſtufe ſtehenden<lb/> Völkern oder Klaſſen eine durch mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Fortſchritte, durch<lb/> Unterricht geſteigerte Atmoſphäre, wie ſeinerzeit bei den älteſten Kulturvölkern des<lb/> Euphrat und des Nillandes, im ptolemäiſchen Zeitalter, in der Renaiſſancezeit, in den<lb/> letzten Jahrhunderten, ſo werden die großen Geiſter in der wiſſenſchaftlichen Natur-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0207]
Die Urſachen der Werkzeugſchaffung und aller Technik.
ins äußere Leben verlegt werden, um feinere, zweckmäßigere, konzentriertere Wirkungen
zu erzielen.
Und noch mehr gilt dies, wenn der Menſch beginnt, gemeinſam, zu mehreren
eine Arbeit zu verrichten, wenn er Tier-, Wind- und Waſſerkraft für ſich anſpannt,
durch Getriebe und Räder feſte, gleichmäßige Bewegungen herſtellt. Auch die Maſchinen,
ſagt Reuleaux, ſeien bewußte oder unbewußte Kopien des menſchlichen oder tieriſchen
Knochen- und Muskelgerüſtes, Projektionen des menſchlichen Denkens und des menſchlichen
Körpers in die Sinnenwelt hinaus.
Es iſt eine einzige einheitliche Entwickelungsreihe vom erſten Hammer und Stab
bis zur heutigen Dynamomaſchine, die durch immer beſſere Beobachtung, durch ſtets
wiederholtes Probieren, Taſten, Verſuchen, durch zahlloſe kleine Verbeſſerungen, durch
immer komplizierteres Zuſammenſetzen bekannter Mittel immer größere Erfolge erzielte.
Viele Entdeckungen und Fortſchritte ſind gewiß an verſchiedenen Orten unabhängig
von einander gemacht worden. Da die Zwecke und die Mittel, die Körperkräfte und die
Maße von Hand, Arm und Fuß immer die gleichen waren, ſo iſt es wohl begreiflich,
daß die Axt z. B. immer wieder dieſelbe Form und Größe erhielt, daß gleiche Methoden
des Haus-, Schiffs-, Ackerbaues ohne Nachahmung da und dort entſtanden. Aber da
jede Entdeckung ein Ergebnis beſonders glücklicher Umſtände und hervorragender geiſtiger
Eigenſchaften iſt, ſo wurde die Entwickelung durch die Berührung und Nachahmung
doch außerordentlich befördert. Und ſo weit wir dieſe im Anſchluß an die uns bekannten
oder wahrſcheinlich gemachten Wanderungen verfolgen können, ſo ſcheint es, als ob ſo
ziemlich alle höhere techniſche Kultur von Vorderaſien, vielleicht von jenen mongoliſch-
tatariſchen Völkern der Sumerier und Akkadier im Euphratthal ausgegangen ſei; von
hier können dieſe techniſchen Künſte durch oſtwärts wandernde Mongolen nach China
und Amerika, nördlich zu den Indogermanen, direkt zu den aſſyriſch-babyloniſch-ägyptiſchen
Völkern und endlich durch ſie wie durch die weſtlich wandernden Indogermanen zu der
abendländiſchen Welt gekommen ſein. Ebenſo zeigt das Fehlen mancher Werkzeuge und
Waffen bei Völkern und Raſſen, die früh in abgelegene Winkel der Erde gedrängt wurden,
daß ſie die techniſchen Erfindungen der höheren Kulturvölker nicht ſo leicht ſelbſtändig
nachholen konnten.
Eine klare und erſchöpfende Erkenntnis der Urſachen, warum gewiſſe techniſche
Fortſchritte zu beſtimmter Zeit, an beſtimmtem Orte, bei dem und jenem Volke ent-
ſtanden, durch Praktiker oder Gelehrte herbeigeführt worden ſeien, warum ſie ſich langſam
oder raſch verbreitet haben, beſitzen wir heute nicht, wenigſtens nicht für alle fernere
Vergangenheit. Wir müſſen zufrieden ſein, im folgenden einiges Licht in dieſes Dunkel
zu bringen.
So viel aber können wir ſagen: äußere Umſtände, Klima, Flora und Fauna, Lebens-
lage, Not, Bevölkerungszuwachs haben ſtets als Druck und Anſtoß gewirkt. Führt doch
z. B. M. Wagner die erſten großen techniſchen Fortſchritte auf die Not der Eiszeit
zurück; andere leiten das Lernen des Aufrechtgehens und Waffenbenutzens aus dem
Kampfe mit den wilden Tieren ab. Auch daß Jahrhunderte und Jahrtauſende lang
gewiſſe Stämme und Raſſen auf demſelben Standpunkte der Technik verharren, wird
häufig mit der Thatſache zuſammenhängen, daß ihre äußeren Lebensbedingungen die-
ſelben blieben, keine Einflüſſe höherſtehender Völker ſie erreichten. Aber der ſpringende
Punkt für die Fortſchritte wird doch immer in der geiſtigen Beſchaffenheit der Menſchen
liegen. Aller techniſche Fortſchritt kann nur das Ergebnis des Scharfſinnes, der Be-
obachtung, der beſonderen Findigkeit ſein; auch der einfachſte Arbeiter und der Prak-
tiker, welche neue Maſchinenteile und Methoden erfinden, ſind ausnahmsweiſe kluge
Menſchen, die mehr gelernt und mehr nachgedacht haben als andere. Kommt nun
dazu in gewiſſen Zeiten, bei gewiſſen begabten, auf höherer Kulturſtufe ſtehenden
Völkern oder Klaſſen eine durch mathematiſch-naturwiſſenſchaftliche Fortſchritte, durch
Unterricht geſteigerte Atmoſphäre, wie ſeinerzeit bei den älteſten Kulturvölkern des
Euphrat und des Nillandes, im ptolemäiſchen Zeitalter, in der Renaiſſancezeit, in den
letzten Jahrhunderten, ſo werden die großen Geiſter in der wiſſenſchaftlichen Natur-
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