61. Ethnographische Einzelbeschreibung: die niedrigsten Rassen. Gehen wir nach dem vorstehenden von der Annahme aus, es gebe verschiedene Rassen- und Völkertypen, welche durch die Vererbung ihrer körperlichen und geistigen Eigen- schaften wie durch die im ganzen vorhandene Überlieferung ihrer Vorstellungen, Sitten und Einrichtungen einen jedenfalls nur sehr langsam sich ändernden Charakter haben, so muß der wissenschaftliche Versuch, diese Typen zu schildern, angezeigt sein, so schwierig die Aufgabe sein mag, so sehr ich gestehe, daß mir viele Kenntnisse und Eigenschaften dazu fehlen. Der Versuch wird doppelt schwierig, wenn man, wie hier, ganz kurz sein muß. Aber ich wage ihn, weil auch der Anfänger volkswirtschaftlicher Studien ein Bild davon bekommen muß, wie der verschiedene Volkscharakter auf die verschiedenen Gesell- schafts- und Wirtschaftszustände wirkt. Die Mittel zu dem Versuche liegen in der heutigen Völkerkunde, der Geschichte, der vergleichenden Psychologie, den Reisebeschrei- bungen, also in weit auseinander liegenden Wissensgebieten. Schon die Heterogenität des Materials wird eine nachsichtige Beurteilung des billigen Lesers herbeiführen.
Ich beginne, hauptsächlich im Anschluß an H. Spencer, mit einigen Strichen, welche sich auf die Australier, Polynesier, Buschmänner, Hottentotten, die niedrigst stehenden Indianer etc. beziehen; sie gehören zwar verschiedenen Rassen an, aber sie gehören zusammen, sofern sie die unentwickeltsten, ältesten Rassentypen darstellen oder durch Ungunst ihres Standortes, Trennung von den Kulturvölkern und andere Miß- stände auf das niedrigste Niveau menschlichen Lebens herabgedrückt sind.
Sie sind von niedriger Statur, haben im allgemeinen als Folge der Wirkung primitiver Lebensweise unentwickeltere Beine als Arme, eine übermäßige Entwickelung der Verdauungsorgane, die der Ungleichmäßigkeit der Ernährung entspricht. Die Busch- männer verfügen über einen Magen, welcher demjenigen der Raubtiere sowohl hinsichtlich der Gefräßigkeit als hinsichtlich des Ertragens von Hunger vergleichbar ist. Damit hängt die Unthätigkeit und Unfähigkeit zur Arbeit zusammen; zeitweise Überfüllung und zeitweiser Mangel hemmen gleichmäßig die zur Arbeit notwendige Lebensenergie. Die Körperkraft ist mäßig, nicht sowohl wegen mangelnder Muskel- als Nerven- ausbildung; das kleinere Gehirn, die geringere Gefühlsthätigkeit lassen es nicht zu erheblichen Kraftansammlungen kommen. Dagegen ist die Anpassung an die Unbilden des Klimas, der Witterung größer, ebenso wie die Fähigkeit, Wunden und Krankheiten zu überwinden. Unempfindlich gegen äußere Einwirkungen, bleiben solche Menschen auch passiv und stumpf; früh geschlechtsreif, altern sie auch früh. Arm an Vorstellungen, welche die nächstliegenden Begierden überschreiten, und unfähig, den unregelmäßigen Lauf seiner Gefühle zu beherrschen, zeigt der primitive Mensch eine außerordentliche Un- beständigkeit, ein impulsives Wesen, ein unbedachtes Handeln, das sich aus den Emo- tionen fast nach der Art instinktiver Reflexbewegungen entladet. Künftige Erfolge werden nicht vorgestellt, bewegen das Gemüt nicht; daher gänzliche Sorglosigkeit um die Zukunft, kein Streben nach Besitz und dessen Erhaltung; Freigiebigkeit und Ver- schwendung, Mitgabe der Waffen und Werkzeuge ins Grab. Lange andauernde Faulheit wechselt mit kurzen, großen Anstrengungen des Spiels, des Tanzes, der Jagd und des Kampfes; meist fehlt noch jede Gewöhnung an stete Arbeit. Die gesellschaftliche Rücksicht- nahme auf andere Menschen wird durch die Leidenschaften des Augenblickes stets wieder zerstört; sie zeigt sich fast nur in der Eitelkeit und Putzsucht, in der Furcht vor Ver- achtung und Hohn, vor Gewalt und Strafe. Die heterogensten Gemütsbewegungen stehen unvermittelt und unausgeglichen nebeneinander, zärtliche Liebe und Milde neben härtestem Egoismus und Grausamkeit. Die geringe Entwickelung der gesellschaftlichen Instinkte hindert jedes Leben in größeren Gemeinschaften; es fehlt das Wohlwollen, das durch die Rücksichtnahme auf andere, ferner stehende Menschen sich bildet, der Gerechtigkeitssinn, der erst eine Folge verwickelter Vorstellungen sein kann. Aber diese Menschen werden viel stärker und unerbittlicher, viel konservativer von den äußeren Gebräuchen des Lebens, von der Sitte beherrscht, die sie in der Jugend gelernt. Ihr Nervensystem verliert überfrüh jede Bildsamkeit, wie sie zur Aufnahme der geringsten Neuerung nötig ist.
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
61. Ethnographiſche Einzelbeſchreibung: die niedrigſten Raſſen. Gehen wir nach dem vorſtehenden von der Annahme aus, es gebe verſchiedene Raſſen- und Völkertypen, welche durch die Vererbung ihrer körperlichen und geiſtigen Eigen- ſchaften wie durch die im ganzen vorhandene Überlieferung ihrer Vorſtellungen, Sitten und Einrichtungen einen jedenfalls nur ſehr langſam ſich ändernden Charakter haben, ſo muß der wiſſenſchaftliche Verſuch, dieſe Typen zu ſchildern, angezeigt ſein, ſo ſchwierig die Aufgabe ſein mag, ſo ſehr ich geſtehe, daß mir viele Kenntniſſe und Eigenſchaften dazu fehlen. Der Verſuch wird doppelt ſchwierig, wenn man, wie hier, ganz kurz ſein muß. Aber ich wage ihn, weil auch der Anfänger volkswirtſchaftlicher Studien ein Bild davon bekommen muß, wie der verſchiedene Volkscharakter auf die verſchiedenen Geſell- ſchafts- und Wirtſchaftszuſtände wirkt. Die Mittel zu dem Verſuche liegen in der heutigen Völkerkunde, der Geſchichte, der vergleichenden Pſychologie, den Reiſebeſchrei- bungen, alſo in weit auseinander liegenden Wiſſensgebieten. Schon die Heterogenität des Materials wird eine nachſichtige Beurteilung des billigen Leſers herbeiführen.
Ich beginne, hauptſächlich im Anſchluß an H. Spencer, mit einigen Strichen, welche ſich auf die Auſtralier, Polyneſier, Buſchmänner, Hottentotten, die niedrigſt ſtehenden Indianer ꝛc. beziehen; ſie gehören zwar verſchiedenen Raſſen an, aber ſie gehören zuſammen, ſofern ſie die unentwickeltſten, älteſten Raſſentypen darſtellen oder durch Ungunſt ihres Standortes, Trennung von den Kulturvölkern und andere Miß- ſtände auf das niedrigſte Niveau menſchlichen Lebens herabgedrückt ſind.
Sie ſind von niedriger Statur, haben im allgemeinen als Folge der Wirkung primitiver Lebensweiſe unentwickeltere Beine als Arme, eine übermäßige Entwickelung der Verdauungsorgane, die der Ungleichmäßigkeit der Ernährung entſpricht. Die Buſch- männer verfügen über einen Magen, welcher demjenigen der Raubtiere ſowohl hinſichtlich der Gefräßigkeit als hinſichtlich des Ertragens von Hunger vergleichbar iſt. Damit hängt die Unthätigkeit und Unfähigkeit zur Arbeit zuſammen; zeitweiſe Überfüllung und zeitweiſer Mangel hemmen gleichmäßig die zur Arbeit notwendige Lebensenergie. Die Körperkraft iſt mäßig, nicht ſowohl wegen mangelnder Muskel- als Nerven- ausbildung; das kleinere Gehirn, die geringere Gefühlsthätigkeit laſſen es nicht zu erheblichen Kraftanſammlungen kommen. Dagegen iſt die Anpaſſung an die Unbilden des Klimas, der Witterung größer, ebenſo wie die Fähigkeit, Wunden und Krankheiten zu überwinden. Unempfindlich gegen äußere Einwirkungen, bleiben ſolche Menſchen auch paſſiv und ſtumpf; früh geſchlechtsreif, altern ſie auch früh. Arm an Vorſtellungen, welche die nächſtliegenden Begierden überſchreiten, und unfähig, den unregelmäßigen Lauf ſeiner Gefühle zu beherrſchen, zeigt der primitive Menſch eine außerordentliche Un- beſtändigkeit, ein impulſives Weſen, ein unbedachtes Handeln, das ſich aus den Emo- tionen faſt nach der Art inſtinktiver Reflexbewegungen entladet. Künftige Erfolge werden nicht vorgeſtellt, bewegen das Gemüt nicht; daher gänzliche Sorgloſigkeit um die Zukunft, kein Streben nach Beſitz und deſſen Erhaltung; Freigiebigkeit und Ver- ſchwendung, Mitgabe der Waffen und Werkzeuge ins Grab. Lange andauernde Faulheit wechſelt mit kurzen, großen Anſtrengungen des Spiels, des Tanzes, der Jagd und des Kampfes; meiſt fehlt noch jede Gewöhnung an ſtete Arbeit. Die geſellſchaftliche Rückſicht- nahme auf andere Menſchen wird durch die Leidenſchaften des Augenblickes ſtets wieder zerſtört; ſie zeigt ſich faſt nur in der Eitelkeit und Putzſucht, in der Furcht vor Ver- achtung und Hohn, vor Gewalt und Strafe. Die heterogenſten Gemütsbewegungen ſtehen unvermittelt und unausgeglichen nebeneinander, zärtliche Liebe und Milde neben härteſtem Egoismus und Grauſamkeit. Die geringe Entwickelung der geſellſchaftlichen Inſtinkte hindert jedes Leben in größeren Gemeinſchaften; es fehlt das Wohlwollen, das durch die Rückſichtnahme auf andere, ferner ſtehende Menſchen ſich bildet, der Gerechtigkeitsſinn, der erſt eine Folge verwickelter Vorſtellungen ſein kann. Aber dieſe Menſchen werden viel ſtärker und unerbittlicher, viel konſervativer von den äußeren Gebräuchen des Lebens, von der Sitte beherrſcht, die ſie in der Jugend gelernt. Ihr Nervenſyſtem verliert überfrüh jede Bildſamkeit, wie ſie zur Aufnahme der geringſten Neuerung nötig iſt.
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[148/0164]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
61. Ethnographiſche Einzelbeſchreibung: die niedrigſten Raſſen.
Gehen wir nach dem vorſtehenden von der Annahme aus, es gebe verſchiedene Raſſen-
und Völkertypen, welche durch die Vererbung ihrer körperlichen und geiſtigen Eigen-
ſchaften wie durch die im ganzen vorhandene Überlieferung ihrer Vorſtellungen, Sitten
und Einrichtungen einen jedenfalls nur ſehr langſam ſich ändernden Charakter haben,
ſo muß der wiſſenſchaftliche Verſuch, dieſe Typen zu ſchildern, angezeigt ſein, ſo ſchwierig
die Aufgabe ſein mag, ſo ſehr ich geſtehe, daß mir viele Kenntniſſe und Eigenſchaften
dazu fehlen. Der Verſuch wird doppelt ſchwierig, wenn man, wie hier, ganz kurz ſein
muß. Aber ich wage ihn, weil auch der Anfänger volkswirtſchaftlicher Studien ein Bild
davon bekommen muß, wie der verſchiedene Volkscharakter auf die verſchiedenen Geſell-
ſchafts- und Wirtſchaftszuſtände wirkt. Die Mittel zu dem Verſuche liegen in der
heutigen Völkerkunde, der Geſchichte, der vergleichenden Pſychologie, den Reiſebeſchrei-
bungen, alſo in weit auseinander liegenden Wiſſensgebieten. Schon die Heterogenität
des Materials wird eine nachſichtige Beurteilung des billigen Leſers herbeiführen.
Ich beginne, hauptſächlich im Anſchluß an H. Spencer, mit einigen Strichen,
welche ſich auf die Auſtralier, Polyneſier, Buſchmänner, Hottentotten, die niedrigſt
ſtehenden Indianer ꝛc. beziehen; ſie gehören zwar verſchiedenen Raſſen an, aber ſie
gehören zuſammen, ſofern ſie die unentwickeltſten, älteſten Raſſentypen darſtellen oder
durch Ungunſt ihres Standortes, Trennung von den Kulturvölkern und andere Miß-
ſtände auf das niedrigſte Niveau menſchlichen Lebens herabgedrückt ſind.
Sie ſind von niedriger Statur, haben im allgemeinen als Folge der Wirkung
primitiver Lebensweiſe unentwickeltere Beine als Arme, eine übermäßige Entwickelung
der Verdauungsorgane, die der Ungleichmäßigkeit der Ernährung entſpricht. Die Buſch-
männer verfügen über einen Magen, welcher demjenigen der Raubtiere ſowohl hinſichtlich
der Gefräßigkeit als hinſichtlich des Ertragens von Hunger vergleichbar iſt. Damit
hängt die Unthätigkeit und Unfähigkeit zur Arbeit zuſammen; zeitweiſe Überfüllung
und zeitweiſer Mangel hemmen gleichmäßig die zur Arbeit notwendige Lebensenergie.
Die Körperkraft iſt mäßig, nicht ſowohl wegen mangelnder Muskel- als Nerven-
ausbildung; das kleinere Gehirn, die geringere Gefühlsthätigkeit laſſen es nicht zu
erheblichen Kraftanſammlungen kommen. Dagegen iſt die Anpaſſung an die Unbilden
des Klimas, der Witterung größer, ebenſo wie die Fähigkeit, Wunden und Krankheiten
zu überwinden. Unempfindlich gegen äußere Einwirkungen, bleiben ſolche Menſchen
auch paſſiv und ſtumpf; früh geſchlechtsreif, altern ſie auch früh. Arm an Vorſtellungen,
welche die nächſtliegenden Begierden überſchreiten, und unfähig, den unregelmäßigen Lauf
ſeiner Gefühle zu beherrſchen, zeigt der primitive Menſch eine außerordentliche Un-
beſtändigkeit, ein impulſives Weſen, ein unbedachtes Handeln, das ſich aus den Emo-
tionen faſt nach der Art inſtinktiver Reflexbewegungen entladet. Künftige Erfolge
werden nicht vorgeſtellt, bewegen das Gemüt nicht; daher gänzliche Sorgloſigkeit um
die Zukunft, kein Streben nach Beſitz und deſſen Erhaltung; Freigiebigkeit und Ver-
ſchwendung, Mitgabe der Waffen und Werkzeuge ins Grab. Lange andauernde Faulheit
wechſelt mit kurzen, großen Anſtrengungen des Spiels, des Tanzes, der Jagd und des
Kampfes; meiſt fehlt noch jede Gewöhnung an ſtete Arbeit. Die geſellſchaftliche Rückſicht-
nahme auf andere Menſchen wird durch die Leidenſchaften des Augenblickes ſtets wieder
zerſtört; ſie zeigt ſich faſt nur in der Eitelkeit und Putzſucht, in der Furcht vor Ver-
achtung und Hohn, vor Gewalt und Strafe. Die heterogenſten Gemütsbewegungen
ſtehen unvermittelt und unausgeglichen nebeneinander, zärtliche Liebe und Milde neben
härteſtem Egoismus und Grauſamkeit. Die geringe Entwickelung der geſellſchaftlichen
Inſtinkte hindert jedes Leben in größeren Gemeinſchaften; es fehlt das Wohlwollen,
das durch die Rückſichtnahme auf andere, ferner ſtehende Menſchen ſich bildet, der
Gerechtigkeitsſinn, der erſt eine Folge verwickelter Vorſtellungen ſein kann. Aber dieſe
Menſchen werden viel ſtärker und unerbittlicher, viel konſervativer von den äußeren
Gebräuchen des Lebens, von der Sitte beherrſcht, die ſie in der Jugend gelernt. Ihr
Nervenſyſtem verliert überfrüh jede Bildſamkeit, wie ſie zur Aufnahme der geringſten
Neuerung nötig iſt.
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/164>, abgerufen am 05.12.2024.
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