einen Leib zu versorgen. Meine Buß und Bekeh- rung verschob ich von einem Tag zum andern, als ob ich mit dem Tod einen Bund, und mit dem Grab ein Verständniß gemacht hätte, daß ich Methusalems Alter erreichen könnte. Ach GOtt! da es mir wohl gieng, hörte ich zwar manche Predigt, aber mit we- niger Bewegung und Empfindung meiner Seelen; mein Singen, Lesen und Beten, ach! das war schläf- rig; in Summa, ich hatte mehr Lust zur Erden, als zum Himmel. Aber ich dancke dir HErr, daß du mich gedemüthiget hast: Dann nun lerne ich deine Rechte kennen; nun sehe ich, daß nichts schändlichers sey als die Sünde, und nichts nützlichers als ein gott- seliges Leben; nun lerne ich, daß diese läimerne Hüt- te nicht werth gewesen alles des Guten, das ich ihr gethan habe: Und daß alle Güter dieser Erden nichts anders seyn als ein Schatten, Nebel, Rauch und Wind; nun bekenne ich dir meine Sünden: Nun schreye ich zu dir aus der Tieffe meiner Noth: Nun bin ich schon dieser Welt müde, und wünsche ent- bunden zu seyn. Darum küsse ich deine Ruthe, mein Vatter, ich rühme in Trübsalen, und erfreue mich über diese bitter-süsse Artzney meiner Seelen. Ich wußte nicht, warum David sagte, daß sein Hertz zer- schmoltzen wäre wie Wachs: Aber nun verstehe ichs: Dann die Kranckheit macht mich klüger, als meine Gesundheit. Darum, o seliges Creutz, das in mir die Welt creutziget, o liebes Leyd, das mir die Welt zuwider, und den Himmel lieb machet: O angenehme Kranckheit! darinn die
Sün-
S s 5
Gebett in Kranckheit.
einen Leib zu verſorgen. Meine Buß und Bekeh- rung verſchob ich von einem Tag zum andern, als ob ich mit dem Tod einen Bund, und mit dem Grab ein Verſtändniß gemacht hätte, daß ich Methuſalems Alter erreichen könnte. Ach GOtt! da es mir wohl gieng, hörte ich zwar manche Predigt, aber mit we- niger Bewegung und Empfindung meiner Seelen; mein Singen, Leſen und Beten, ach! das war ſchläf- rig; in Summa, ich hatte mehr Luſt zur Erden, als zum Himmel. Aber ich dancke dir HErr, daß du mich gedemüthiget haſt: Dann nun lerne ich deine Rechte kennen; nun ſehe ich, daß nichts ſchändlichers ſey als die Sünde, und nichts nützlichers als ein gott- ſeliges Leben; nun lerne ich, daß dieſe läimerne Hüt- te nicht werth geweſen alles des Guten, das ich ihr gethan habe: Und daß alle Güter dieſer Erden nichts anders ſeyn als ein Schatten, Nebel, Rauch und Wind; nun bekenne ich dir meine Sünden: Nun ſchreye ich zu dir aus der Tieffe meiner Noth: Nun bin ich ſchon dieſer Welt müde, und wünſche ent- bunden zu ſeyn. Darum küſſe ich deine Ruthe, mein Vatter, ich rühme in Trübſalen, und erfreue mich über dieſe bitter-ſüſſe Artzney meiner Seelen. Ich wußte nicht, warum David ſagte, daß ſein Hertz zer- ſchmoltzen wäre wie Wachs: Aber nun verſtehe ichs: Dann die Kranckheit macht mich klüger, als meine Geſundheit. Darum, o ſeliges Creutz, das in mir die Welt creutziget, o liebes Leyd, das mir die Welt zuwider, und den Himmel lieb machet: O angenehme Kranckheit! darinn die
Sün-
S s 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0671"n="649"/><fwplace="top"type="header">Gebett in Kranckheit.</fw><lb/>
einen Leib zu verſorgen. Meine Buß und Bekeh-<lb/>
rung verſchob ich von einem Tag zum andern, als ob<lb/>
ich mit dem Tod einen Bund, und mit dem Grab ein<lb/>
Verſtändniß gemacht hätte, daß ich Methuſalems<lb/>
Alter erreichen könnte. Ach GOtt! da es mir wohl<lb/>
gieng, hörte ich zwar manche Predigt, aber mit we-<lb/>
niger Bewegung und Empfindung meiner Seelen;<lb/>
mein Singen, Leſen und Beten, ach! das war ſchläf-<lb/>
rig; in Summa, ich hatte mehr Luſt zur Erden, als<lb/>
zum Himmel. Aber ich dancke dir HErr, daß du<lb/>
mich gedemüthiget haſt: Dann nun lerne ich deine<lb/>
Rechte kennen; nun ſehe ich, daß nichts ſchändlichers<lb/>ſey als die Sünde, und nichts nützlichers als ein gott-<lb/>ſeliges Leben; nun lerne ich, daß dieſe läimerne Hüt-<lb/>
te nicht werth geweſen alles des Guten, das ich ihr<lb/>
gethan habe: Und daß alle Güter dieſer Erden nichts<lb/>
anders ſeyn als ein Schatten, Nebel, Rauch und<lb/>
Wind; nun bekenne ich dir meine Sünden: Nun<lb/>ſchreye ich zu dir aus der Tieffe meiner Noth: Nun<lb/>
bin ich ſchon dieſer Welt müde, und wünſche ent-<lb/>
bunden zu ſeyn. Darum küſſe ich deine Ruthe, mein<lb/>
Vatter, ich rühme in Trübſalen, und erfreue mich<lb/>
über dieſe bitter-ſüſſe Artzney meiner Seelen. Ich<lb/>
wußte nicht, warum David ſagte, daß ſein Hertz zer-<lb/>ſchmoltzen wäre wie Wachs: Aber nun verſtehe ichs:<lb/>
Dann die Kranckheit macht mich klüger, als<lb/>
meine Geſundheit. Darum, o ſeliges Creutz,<lb/>
das in mir die Welt creutziget, o liebes Leyd, das<lb/>
mir die Welt zuwider, und den Himmel lieb<lb/>
machet: O angenehme Kranckheit! darinn die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S s 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Sün-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[649/0671]
Gebett in Kranckheit.
einen Leib zu verſorgen. Meine Buß und Bekeh-
rung verſchob ich von einem Tag zum andern, als ob
ich mit dem Tod einen Bund, und mit dem Grab ein
Verſtändniß gemacht hätte, daß ich Methuſalems
Alter erreichen könnte. Ach GOtt! da es mir wohl
gieng, hörte ich zwar manche Predigt, aber mit we-
niger Bewegung und Empfindung meiner Seelen;
mein Singen, Leſen und Beten, ach! das war ſchläf-
rig; in Summa, ich hatte mehr Luſt zur Erden, als
zum Himmel. Aber ich dancke dir HErr, daß du
mich gedemüthiget haſt: Dann nun lerne ich deine
Rechte kennen; nun ſehe ich, daß nichts ſchändlichers
ſey als die Sünde, und nichts nützlichers als ein gott-
ſeliges Leben; nun lerne ich, daß dieſe läimerne Hüt-
te nicht werth geweſen alles des Guten, das ich ihr
gethan habe: Und daß alle Güter dieſer Erden nichts
anders ſeyn als ein Schatten, Nebel, Rauch und
Wind; nun bekenne ich dir meine Sünden: Nun
ſchreye ich zu dir aus der Tieffe meiner Noth: Nun
bin ich ſchon dieſer Welt müde, und wünſche ent-
bunden zu ſeyn. Darum küſſe ich deine Ruthe, mein
Vatter, ich rühme in Trübſalen, und erfreue mich
über dieſe bitter-ſüſſe Artzney meiner Seelen. Ich
wußte nicht, warum David ſagte, daß ſein Hertz zer-
ſchmoltzen wäre wie Wachs: Aber nun verſtehe ichs:
Dann die Kranckheit macht mich klüger, als
meine Geſundheit. Darum, o ſeliges Creutz,
das in mir die Welt creutziget, o liebes Leyd, das
mir die Welt zuwider, und den Himmel lieb
machet: O angenehme Kranckheit! darinn die
Sün-
S s 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Schmolck, Benjamin: Das Himmlische Vergnügen in Gott, oder vollständiges Gebett-Buch. Neue Aufl. Basel, 1753, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmolck_vergnuegen_1753/671>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.