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Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773.

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Geistern geben, und nichts lernen mögen, so
verächtlich von aller Historie denken, und be-
reit sind, einen Roman jeder Geschichte, und
wäre diese auch eben so niedlich, wie ein Ro-
man, geschrieben und gedruckt, vorzuziehen.
Der Romanschreiber nämlich, denken sie,
ist ein schöpferisches Genie, das erschafft
seinen Stoff aus nichts: der Historiker hin-
gegen erschaffet nichts, man nimmt es ihm so
gar übel, wenn er erschafft; er ist nur ein
compilirendes Wesen, und trägt alles,
was er sagt, gibeonitisch aus andern Bü-
chern zusammen. -- Nun begreife ich auch,
warum wir mer schöne Romane als schöne
Geschichtsbücher zu lesen kriegen. Ehe der
Historiker Eine Seite durch Aufschlagung
von 10 Folianten berichtiget, macht der Ro-
manschreiber, ohne sich vom Lehnstule zu er-
heben, einen ganzen Bogen von der Faust
weg, fertig. Jst jener einmal im Fluge, so
wird er alle Augenblicke durch das immer
nötige Nachschlagen unterbrochen. Sein Ge-
nie ermattet unter den Fesseln der Kritik oder
historischen Warheit; sein Styl wird holpe-
richt, und dem ganzen Vortrage geht Ein-
heit und Leichtigkeit verloren: denn die ewi-
ge bange Rücksicht auf die Warheit jedes

Bei-
Q 3



Geiſtern geben, und nichts lernen moͤgen, ſo
veraͤchtlich von aller Hiſtorie denken, und be-
reit ſind, einen Roman jeder Geſchichte, und
waͤre dieſe auch eben ſo niedlich, wie ein Ro-
man, geſchrieben und gedruckt, vorzuziehen.
Der Romanſchreiber naͤmlich, denken ſie,
iſt ein ſchoͤpferiſches Genie, das erſchafft
ſeinen Stoff aus nichts: der Hiſtoriker hin-
gegen erſchaffet nichts, man nimmt es ihm ſo
gar uͤbel, wenn er erſchafft; er iſt nur ein
compilirendes Weſen, und traͤgt alles,
was er ſagt, gibeonitiſch aus andern Buͤ-
chern zuſammen. — Nun begreife ich auch,
warum wir mer ſchoͤne Romane als ſchoͤne
Geſchichtsbuͤcher zu leſen kriegen. Ehe der
Hiſtoriker Eine Seite durch Aufſchlagung
von 10 Folianten berichtiget, macht der Ro-
manſchreiber, ohne ſich vom Lehnſtule zu er-
heben, einen ganzen Bogen von der Fauſt
weg, fertig. Jſt jener einmal im Fluge, ſo
wird er alle Augenblicke durch das immer
noͤtige Nachſchlagen unterbrochen. Sein Ge-
nie ermattet unter den Feſſeln der Kritik oder
hiſtoriſchen Warheit; ſein Styl wird holpe-
richt, und dem ganzen Vortrage geht Ein-
heit und Leichtigkeit verloren: denn die ewi-
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Q 3
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[245[21]/0041] Geiſtern geben, und nichts lernen moͤgen, ſo veraͤchtlich von aller Hiſtorie denken, und be- reit ſind, einen Roman jeder Geſchichte, und waͤre dieſe auch eben ſo niedlich, wie ein Ro- man, geſchrieben und gedruckt, vorzuziehen. Der Romanſchreiber naͤmlich, denken ſie, iſt ein ſchoͤpferiſches Genie, das erſchafft ſeinen Stoff aus nichts: der Hiſtoriker hin- gegen erſchaffet nichts, man nimmt es ihm ſo gar uͤbel, wenn er erſchafft; er iſt nur ein compilirendes Weſen, und traͤgt alles, was er ſagt, gibeonitiſch aus andern Buͤ- chern zuſammen. — Nun begreife ich auch, warum wir mer ſchoͤne Romane als ſchoͤne Geſchichtsbuͤcher zu leſen kriegen. Ehe der Hiſtoriker Eine Seite durch Aufſchlagung von 10 Folianten berichtiget, macht der Ro- manſchreiber, ohne ſich vom Lehnſtule zu er- heben, einen ganzen Bogen von der Fauſt weg, fertig. Jſt jener einmal im Fluge, ſo wird er alle Augenblicke durch das immer noͤtige Nachſchlagen unterbrochen. Sein Ge- nie ermattet unter den Feſſeln der Kritik oder hiſtoriſchen Warheit; ſein Styl wird holpe- richt, und dem ganzen Vortrage geht Ein- heit und Leichtigkeit verloren: denn die ewi- ge bange Ruͤckſicht auf die Warheit jedes Bei- Q 3

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Zitationshilfe: Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773, S. 245[21]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/41>, abgerufen am 24.11.2024.