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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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auf welchem die Trojaner einen grossen Eulenkopf aus-
geschnitten haben. Ferner fanden sich in 3, 4, 6, 7, 8,
9 und 14 Meter Tiefe zwölf Idole von Terracotta, und
sind, nur mit einer Ausnahme, auf allen Eulengesichter;
die meisten haben auch zwei Frauenbrüste und auf der
Rückseite angedeutetes langes Frauenhaar. Eins dieser
eulenköpfigen Idole ist in Form eines Gefässes und hat
an jeder Seite einen Schlauch in Gestalt eines kleinern
Gefässes; der vordere Körper der Göttin bis zum Halse
ist bedeckt mit einem langen Schilde, und auf der Rück-
seite sieht man das Frauenhaar, auf Art der Karyatiden
in der Akropolis in Athen, lang herunterhängen. Auch
auf mehrern dieser Idole von Terracotta sind Flügel
angedeutet.

Diese auf Bechern, Vasen und Idolen vielfältig vor-
kommenden Eulengesichter mit Frauengestalt können
nur eine Göttin darstellen, und diese Göttin kann nur
Minerva, die Schutzgöttin Trojas, sein um so mehr
als sie Homer fortwährend "thea glaukopis Athene" nennt;
denn "glaukopis" ist von den Gelehrten aller Jahrhun-
derte falsch übersetzt, und bedeutet nicht "mit feurigen
oder funkelnden Augen", sondern es bedeutet "mit
Eulengesicht
". Die natürliche Schlussfolgerung ist,
erstens, dass es dem Homer vollkommen bekannt war,
dass Minerva mit dem Eulengesicht Iliums Schutzgöttin
war; zweitens, dass der Ort, in dessen Tiefen ich seit
drei Jahren wühle, die Stätte sein muss "ubi Troja fuit";
und drittens, dass bei fortschreitender Civilisation Pallas
Athene ein menschliches Gesicht erhielt und aus ihrem
frühern Eulenkopf ihr Lieblingsvogel, die Eule, gemacht

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auf welchem die Trojaner einen grossen Eulenkopf aus-
geschnitten haben. Ferner fanden sich in 3, 4, 6, 7, 8,
9 und 14 Meter Tiefe zwölf Idole von Terracotta, und
sind, nur mit einer Ausnahme, auf allen Eulengesichter;
die meisten haben auch zwei Frauenbrüste und auf der
Rückseite angedeutetes langes Frauenhaar. Eins dieser
eulenköpfigen Idole ist in Form eines Gefässes und hat
an jeder Seite einen Schlauch in Gestalt eines kleinern
Gefässes; der vordere Körper der Göttin bis zum Halse
ist bedeckt mit einem langen Schilde, und auf der Rück-
seite sieht man das Frauenhaar, auf Art der Karyatiden
in der Akropolis in Athen, lang herunterhängen. Auch
auf mehrern dieser Idole von Terracotta sind Flügel
angedeutet.

Diese auf Bechern, Vasen und Idolen vielfältig vor-
kommenden Eulengesichter mit Frauengestalt können
nur eine Göttin darstellen, und diese Göttin kann nur
Minerva, die Schutzgöttin Trojas, sein um so mehr
als sie Homer fortwährend „ϑεα γλαυκῶπις Ἀϑήνη“ nennt;
denn „γλαυκῶπις“ ist von den Gelehrten aller Jahrhun-
derte falsch übersetzt, und bedeutet nicht „mit feurigen
oder funkelnden Augen“, sondern es bedeutet „mit
Eulengesicht
“. Die natürliche Schlussfolgerung ist,
erstens, dass es dem Homer vollkommen bekannt war,
dass Minerva mit dem Eulengesicht Iliums Schutzgöttin
war; zweitens, dass der Ort, in dessen Tiefen ich seit
drei Jahren wühle, die Stätte sein muss „ubi Troja fuit“;
und drittens, dass bei fortschreitender Civilisation Pallas
Athene ein menschliches Gesicht erhielt und aus ihrem
frühern Eulenkopf ihr Lieblingsvogel, die Eule, gemacht

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[XXXV/0041] einleitung. auf welchem die Trojaner einen grossen Eulenkopf aus- geschnitten haben. Ferner fanden sich in 3, 4, 6, 7, 8, 9 und 14 Meter Tiefe zwölf Idole von Terracotta, und sind, nur mit einer Ausnahme, auf allen Eulengesichter; die meisten haben auch zwei Frauenbrüste und auf der Rückseite angedeutetes langes Frauenhaar. Eins dieser eulenköpfigen Idole ist in Form eines Gefässes und hat an jeder Seite einen Schlauch in Gestalt eines kleinern Gefässes; der vordere Körper der Göttin bis zum Halse ist bedeckt mit einem langen Schilde, und auf der Rück- seite sieht man das Frauenhaar, auf Art der Karyatiden in der Akropolis in Athen, lang herunterhängen. Auch auf mehrern dieser Idole von Terracotta sind Flügel angedeutet. Diese auf Bechern, Vasen und Idolen vielfältig vor- kommenden Eulengesichter mit Frauengestalt können nur eine Göttin darstellen, und diese Göttin kann nur Minerva, die Schutzgöttin Trojas, sein um so mehr als sie Homer fortwährend „ϑεα γλαυκῶπις Ἀϑήνη“ nennt; denn „γλαυκῶπις“ ist von den Gelehrten aller Jahrhun- derte falsch übersetzt, und bedeutet nicht „mit feurigen oder funkelnden Augen“, sondern es bedeutet „mit Eulengesicht“. Die natürliche Schlussfolgerung ist, erstens, dass es dem Homer vollkommen bekannt war, dass Minerva mit dem Eulengesicht Iliums Schutzgöttin war; zweitens, dass der Ort, in dessen Tiefen ich seit drei Jahren wühle, die Stätte sein muss „ubi Troja fuit“; und drittens, dass bei fortschreitender Civilisation Pallas Athene ein menschliches Gesicht erhielt und aus ihrem frühern Eulenkopf ihr Lieblingsvogel, die Eule, gemacht c*

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. XXXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/41>, abgerufen am 19.04.2024.