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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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nun einmal kein Historiker, sondern ein epischer Dichter,
und muss man ihm die Uebertreibungen zugute halten.

Da Homer die Topographie und die Witterungsver-
hältnisse der Troade so genau kennt, so leidet es wol
keinen Zweifel, dass er selbst Troja besucht hat; da er
aber lange nach dessen Untergang kam und die Bau-
stelle Trojas sogleich bei der Katastrophe durch die
Trümmer der zerstörten Stadt tief im Schutt begraben
und seit Jahrhunderten durch eine neue Stadt überbaut
worden war, so konnte er weder Iliums grossen Thurm,
noch das Skaeische Thor, noch die grosse Ringmauer,
noch den Palast des Priamos sehen, denn, wie jeder
Besucher der Troade sich in meinen Excavationen über-
zeugen kann, lastete auf allen diesen Denkmälern un-
sterblichen Ruhms, schon allein von Trojas Trümmern und
rother Asche, eine Decke von 11/2 bis 3 Meter oder 5 bis 10
Fuss Dicke, und diese Schuttaufhäufung muss bis Homer's
Besuch noch sehr bedeutend zugenommen haben. Homer
stellte keine Excavationen an, um jene Denkmäler ans Licht
zu bringen; er kannte sie aber aus der Ueberlieferung,
denn seit Jahrhunderten war Trojas tragisches Ende im
Munde aller Sänger, und das Interesse, was sich daran
knüpfte, war so gross, dass, wie meine Ausgrabungen
erwiesen haben, die Tradition selbst in vielen Einzel-
heiten genau die Wahrheit berichtete; so z. B. das Vor-
handensein des Skaeischen Thors in Iliums grossem
Thurm; der stete Gebrauch des Skaeischen Thors im
Plural, weil dasselbe als doppelt geschildert worden sein
muss, und in der That hat es sich als doppelt heraus-
gestellt. Nach den Versen der Ilias, XX, 307--308
scheint es mir jetzt höchst wahrscheinlich, dass der

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nun einmal kein Historiker, sondern ein epischer Dichter,
und muss man ihm die Uebertreibungen zugute halten.

Da Homer die Topographie und die Witterungsver-
hältnisse der Troade so genau kennt, so leidet es wol
keinen Zweifel, dass er selbst Troja besucht hat; da er
aber lange nach dessen Untergang kam und die Bau-
stelle Trojas sogleich bei der Katastrophe durch die
Trümmer der zerstörten Stadt tief im Schutt begraben
und seit Jahrhunderten durch eine neue Stadt überbaut
worden war, so konnte er weder Iliums grossen Thurm,
noch das Skaeische Thor, noch die grosse Ringmauer,
noch den Palast des Priamos sehen, denn, wie jeder
Besucher der Troade sich in meinen Excavationen über-
zeugen kann, lastete auf allen diesen Denkmälern un-
sterblichen Ruhms, schon allein von Trojas Trümmern und
rother Asche, eine Decke von 1½ bis 3 Meter oder 5 bis 10
Fuss Dicke, und diese Schuttaufhäufung muss bis Homer’s
Besuch noch sehr bedeutend zugenommen haben. Homer
stellte keine Excavationen an, um jene Denkmäler ans Licht
zu bringen; er kannte sie aber aus der Ueberlieferung,
denn seit Jahrhunderten war Trojas tragisches Ende im
Munde aller Sänger, und das Interesse, was sich daran
knüpfte, war so gross, dass, wie meine Ausgrabungen
erwiesen haben, die Tradition selbst in vielen Einzel-
heiten genau die Wahrheit berichtete; so z. B. das Vor-
handensein des Skaeischen Thors in Iliums grossem
Thurm; der stete Gebrauch des Skaeischen Thors im
Plural, weil dasselbe als doppelt geschildert worden sein
muss, und in der That hat es sich als doppelt heraus-
gestellt. Nach den Versen der Ilias, XX, 307—308
scheint es mir jetzt höchst wahrscheinlich, dass der

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[XIII/0019] einleitung. nun einmal kein Historiker, sondern ein epischer Dichter, und muss man ihm die Uebertreibungen zugute halten. Da Homer die Topographie und die Witterungsver- hältnisse der Troade so genau kennt, so leidet es wol keinen Zweifel, dass er selbst Troja besucht hat; da er aber lange nach dessen Untergang kam und die Bau- stelle Trojas sogleich bei der Katastrophe durch die Trümmer der zerstörten Stadt tief im Schutt begraben und seit Jahrhunderten durch eine neue Stadt überbaut worden war, so konnte er weder Iliums grossen Thurm, noch das Skaeische Thor, noch die grosse Ringmauer, noch den Palast des Priamos sehen, denn, wie jeder Besucher der Troade sich in meinen Excavationen über- zeugen kann, lastete auf allen diesen Denkmälern un- sterblichen Ruhms, schon allein von Trojas Trümmern und rother Asche, eine Decke von 1½ bis 3 Meter oder 5 bis 10 Fuss Dicke, und diese Schuttaufhäufung muss bis Homer’s Besuch noch sehr bedeutend zugenommen haben. Homer stellte keine Excavationen an, um jene Denkmäler ans Licht zu bringen; er kannte sie aber aus der Ueberlieferung, denn seit Jahrhunderten war Trojas tragisches Ende im Munde aller Sänger, und das Interesse, was sich daran knüpfte, war so gross, dass, wie meine Ausgrabungen erwiesen haben, die Tradition selbst in vielen Einzel- heiten genau die Wahrheit berichtete; so z. B. das Vor- handensein des Skaeischen Thors in Iliums grossem Thurm; der stete Gebrauch des Skaeischen Thors im Plural, weil dasselbe als doppelt geschildert worden sein muss, und in der That hat es sich als doppelt heraus- gestellt. Nach den Versen der Ilias, XX, 307—308 scheint es mir jetzt höchst wahrscheinlich, dass der

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/19>, abgerufen am 19.04.2024.