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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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etymologie des namens ILIOS.
der an den Berg grenzende Theil derselben, seit 31 Jahr-
hunderten bedeutend gestiegen. Aber selbst wäre dies
nicht der Fall, so würde dennoch das auf diesem weit
in die Ebene hinauslaufenden Hügel erbaute Troja durch
seine imposante hohe Lage die homerischen Beiwörter
ophruoessa, aipeine und enemoessa verdienen, und beson-
ders das letztere; denn mein grösstes Leiden hier ist
der fortwährende Sturm, und kann es zu Homer's Zeit
unmöglich anders gewesen sein. Es wird wahrlich Zeit,
dass die so ganz und gar mit allen Angaben der Ilias
in vollkommenem Widerspruch stehende Bunarbaschi-
Theorie jetzt endlich einmal aufhört; sie würde auch
niemals aufgekommen sein, wenn ihre Verfechter an-
statt eine Stunde einen ganzen Tag lang auf den
Höhen von Bunarbaschi zugebracht und, wenn auch nur
mit einem einzigen Arbeiter, dort Ausgrabungen ange-
stellt hätten. Wie ich bereits in meinem letzten Auf-
satz bemerkte, finde ich hier die Sonne im Mittelpunkt
aller der unzähligen, mit Verzierungen versehenen,
runden Stücke von Terracotta in der Form des Vulkans
und des Carrousels dargestellt, und fand ich gestern
sogar eins, worauf die im Centrum befindliche Sonne
von fünf andern Sonnen, jede mit zwölf Strahlen, um-
geben ist.

Ich weiss sehr wohl, dass man den Stadtnamen Ilium
(Ilios oder Ilion) vom Sanskritworte veilu, Festung, und
Elios von einem verlorenen Masculinum zu Selene,
vielleicht von Seirios, ableiten will, und doch drängt
sich beim Anblick des vorerwähnten Stücks Terracotta
mit den fünf Sonnen im Kreise um die Centralsonne
unwillkürlich der Gedanke mir auf, dass hier tausend

etymologie des namens ΙΛΙΟΣ.
der an den Berg grenzende Theil derselben, seit 31 Jahr-
hunderten bedeutend gestiegen. Aber selbst wäre dies
nicht der Fall, so würde dennoch das auf diesem weit
in die Ebene hinauslaufenden Hügel erbaute Troja durch
seine imposante hohe Lage die homerischen Beiwörter
ὀφρυόεσσα, αἰπεινή und ἠνεμόεσσα verdienen, und beson-
ders das letztere; denn mein grösstes Leiden hier ist
der fortwährende Sturm, und kann es zu Homer’s Zeit
unmöglich anders gewesen sein. Es wird wahrlich Zeit,
dass die so ganz und gar mit allen Angaben der Ilias
in vollkommenem Widerspruch stehende Bunarbaschi-
Theorie jetzt endlich einmal aufhört; sie würde auch
niemals aufgekommen sein, wenn ihre Verfechter an-
statt eine Stunde einen ganzen Tag lang auf den
Höhen von Bunarbaschi zugebracht und, wenn auch nur
mit einem einzigen Arbeiter, dort Ausgrabungen ange-
stellt hätten. Wie ich bereits in meinem letzten Auf-
satz bemerkte, finde ich hier die Sonne im Mittelpunkt
aller der unzähligen, mit Verzierungen versehenen,
runden Stücke von Terracotta in der Form des Vulkans
und des Carrousels dargestellt, und fand ich gestern
sogar eins, worauf die im Centrum befindliche Sonne
von fünf andern Sonnen, jede mit zwölf Strahlen, um-
geben ist.

Ich weiss sehr wohl, dass man den Stadtnamen Ilium
(Ἴλιος oder Ἴλιον) vom Sanskritworte vîlu, Festung, und
Ἥλιος von einem verlorenen Masculinum zu Σελήνη,
vielleicht von Σείριος, ableiten will, und doch drängt
sich beim Anblick des vorerwähnten Stücks Terracotta
mit den fünf Sonnen im Kreise um die Centralsonne
unwillkürlich der Gedanke mir auf, dass hier tausend

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[79/0145] etymologie des namens ΙΛΙΟΣ. der an den Berg grenzende Theil derselben, seit 31 Jahr- hunderten bedeutend gestiegen. Aber selbst wäre dies nicht der Fall, so würde dennoch das auf diesem weit in die Ebene hinauslaufenden Hügel erbaute Troja durch seine imposante hohe Lage die homerischen Beiwörter ὀφρυόεσσα, αἰπεινή und ἠνεμόεσσα verdienen, und beson- ders das letztere; denn mein grösstes Leiden hier ist der fortwährende Sturm, und kann es zu Homer’s Zeit unmöglich anders gewesen sein. Es wird wahrlich Zeit, dass die so ganz und gar mit allen Angaben der Ilias in vollkommenem Widerspruch stehende Bunarbaschi- Theorie jetzt endlich einmal aufhört; sie würde auch niemals aufgekommen sein, wenn ihre Verfechter an- statt eine Stunde einen ganzen Tag lang auf den Höhen von Bunarbaschi zugebracht und, wenn auch nur mit einem einzigen Arbeiter, dort Ausgrabungen ange- stellt hätten. Wie ich bereits in meinem letzten Auf- satz bemerkte, finde ich hier die Sonne im Mittelpunkt aller der unzähligen, mit Verzierungen versehenen, runden Stücke von Terracotta in der Form des Vulkans und des Carrousels dargestellt, und fand ich gestern sogar eins, worauf die im Centrum befindliche Sonne von fünf andern Sonnen, jede mit zwölf Strahlen, um- geben ist. Ich weiss sehr wohl, dass man den Stadtnamen Ilium (Ἴλιος oder Ἴλιον) vom Sanskritworte vîlu, Festung, und Ἥλιος von einem verlorenen Masculinum zu Σελήνη, vielleicht von Σείριος, ableiten will, und doch drängt sich beim Anblick des vorerwähnten Stücks Terracotta mit den fünf Sonnen im Kreise um die Centralsonne unwillkürlich der Gedanke mir auf, dass hier tausend

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/145>, abgerufen am 02.05.2024.