Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

angestellt, und somit fehlt uns beiderseitig denn doch der richtige
Schätzungsmasstab. Aber wir geben Ihnen aus freien Stücken zu:
wir empfinden selbst die Lücken und Mängel unserer nicht (gleich
der Ihren) systematischen Ausbildung, wir blicken vielfach mit
einem gewissen Neid auf die höhere Wissensstufe, die Sie z. B.
unzweifelhaft auf dem Gebiete der alten Sprachen, dem Gebiete der
Mathematik vor uns voraushaben. Zwar auch wir können uns einzelner
Colleginnen rühmen, die vertraut sind sowohl mit lateinischer als
griechischer Sprache; aber - dies ist immerhin kennzeichnend
- wir sind stolz auf Etwas, was bei Ihnen die Geltung des
Selbstverständlichen besitzt. - Also zugegeben, unsere Ausbil-
dung steht im Allgemeinen hinter der Ihrigen zurück; Sie sind
eigentlich besser vorbereitet für die Aufnahme und das Ver-
ständniss der an der Hochschule vorgetragenen Wissenschaft.
Allein ob wir desshalb so sehr viel weniger als Sie, oder über-
haupt eigentlich gar nicht, von den gehaltenen Vorlesungen
profitiren, das ist denn doch noch eine andere Frage. Sind wir
uns einer gewissen Mangelhaftigkeit unserer Ausrüstung bewusst,
so sind wir uns damit auch zugleich bewusst, eben aus diesem
Grunde uns um so mehr anspannen und zusammennehmen zu
müssen, erhöhten Fleisses und erhöhter Aufmerksamkeit benöthigt
zu sein. Ja, wir fühlen, dass wir, was uns an Vorbildung abgeht,
durch doppelten Eifer und doppelte Hingebung ersetzen müssen.
- Und glauben Sie, wir haben im Allgemeinen doch durchaus
das Bewusstsein, das uns Mitgetheilte sei nicht an uns verschwendet
worden: Dankbarkeit, wie sie gegenüber dem Spender werthvoller
Gaben Derjenige empfindet, der sich in der That bereichert fühlt,
Dankbarkeit empfinden wir für die würdigen Männer, in denen
wir unsere Lehrer verehren. - Aber Sie haben Recht, wenn Sie
mir auf diese ganze Ausführung erwidern: Im einzelnen, im Aus-
nahme-Falle, mag allerdings, wenn auch nicht direct aus dem
Mangel, sondern aus dem lebendigen Bewusstsein desselben, ein
eigenthümlicher Vorzug erwachsen; doch wollte man darum nun im
Allgemeinen dem Mangel Berechtigung zugestehen, so würde es
eigentlich folgerichtig sein, noch gleich einen Schritt weiter zu
gehen, und ihn zur Bedingung zu machen. - Sie haben Recht in
dem was Sie da sagen, in dem was hierauf fussend Sie von uns
gefordert wissen wollen. Drängen wir uns gleich Ihnen in die
Heiligthümer der Wissenschaft, so sollen wir auch gleich Ihnen
beweisen, dass wir keine unberechtigten Eindringlinge, keine unbe-

angestellt, und somit fehlt uns beiderseitig denn doch der richtige
Schätzungsmasstab. Aber wir geben Ihnen aus freien Stücken zu:
wir empfinden selbst die Lücken und Mängel unserer nicht (gleich
der Ihren) systematischen Ausbildung, wir blicken vielfach mit
einem gewissen Neid auf die höhere Wissensstufe, die Sie z. B.
unzweifelhaft auf dem Gebiete der alten Sprachen, dem Gebiete der
Mathematik vor uns voraushaben. Zwar auch wir können uns einzelner
Colleginnen rühmen, die vertraut sind sowohl mit lateinischer als
griechischer Sprache; aber – dies ist immerhin kennzeichnend
– wir sind stolz auf Etwas, was bei Ihnen die Geltung des
Selbstverständlichen besitzt. – Also zugegeben, unsere Ausbil-
dung steht im Allgemeinen hinter der Ihrigen zurück; Sie sind
eigentlich besser vorbereitet für die Aufnahme und das Ver-
ständniss der an der Hochschule vorgetragenen Wissenschaft.
Allein ob wir desshalb so sehr viel weniger als Sie, oder über-
haupt eigentlich gar nicht, von den gehaltenen Vorlesungen
profitiren, das ist denn doch noch eine andere Frage. Sind wir
uns einer gewissen Mangelhaftigkeit unserer Ausrüstung bewusst,
so sind wir uns damit auch zugleich bewusst, eben aus diesem
Grunde uns um so mehr anspannen und zusammennehmen zu
müssen, erhöhten Fleisses und erhöhter Aufmerksamkeit benöthigt
zu sein. Ja, wir fühlen, dass wir, was uns an Vorbildung abgeht,
durch doppelten Eifer und doppelte Hingebung ersetzen müssen.
– Und glauben Sie, wir haben im Allgemeinen doch durchaus
das Bewusstsein, das uns Mitgetheilte sei nicht an uns verschwendet
worden: Dankbarkeit, wie sie gegenüber dem Spender werthvoller
Gaben Derjenige empfindet, der sich in der That bereichert fühlt,
Dankbarkeit empfinden wir für die würdigen Männer, in denen
wir unsere Lehrer verehren. – Aber Sie haben Recht, wenn Sie
mir auf diese ganze Ausführung erwidern: Im einzelnen, im Aus-
nahme-Falle, mag allerdings, wenn auch nicht direct aus dem
Mangel, sondern aus dem lebendigen Bewusstsein desselben, ein
eigenthümlicher Vorzug erwachsen; doch wollte man darum nun im
Allgemeinen dem Mangel Berechtigung zugestehen, so würde es
eigentlich folgerichtig sein, noch gleich einen Schritt weiter zu
gehen, und ihn zur Bedingung zu machen. – Sie haben Recht in
dem was Sie da sagen, in dem was hierauf fussend Sie von uns
gefordert wissen wollen. Drängen wir uns gleich Ihnen in die
Heiligthümer der Wissenschaft, so sollen wir auch gleich Ihnen
beweisen, dass wir keine unberechtigten Eindringlinge, keine unbe-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="10"/>
angestellt, und somit fehlt uns beiderseitig denn doch der richtige<lb/>
Schätzungsmasstab. Aber wir geben Ihnen aus freien Stücken zu:<lb/>
wir empfinden selbst die Lücken und Mängel unserer nicht (gleich<lb/>
der Ihren) systematischen Ausbildung, wir blicken vielfach mit<lb/>
einem gewissen Neid auf die höhere Wissensstufe, die Sie z. B.<lb/>
unzweifelhaft auf dem Gebiete der alten Sprachen, dem Gebiete der<lb/>
Mathematik vor uns voraushaben. Zwar auch wir können uns einzelner<lb/>
Colleginnen rühmen, die vertraut sind sowohl mit lateinischer als<lb/>
griechischer Sprache; aber &#x2013; dies ist immerhin kennzeichnend<lb/>
&#x2013; wir sind stolz auf Etwas, was bei Ihnen die Geltung des<lb/>
Selbstverständlichen besitzt. &#x2013; Also zugegeben, unsere Ausbil-<lb/>
dung steht im Allgemeinen hinter der Ihrigen zurück; Sie sind<lb/>
eigentlich besser vorbereitet für die Aufnahme und das Ver-<lb/>
ständniss der an der Hochschule vorgetragenen Wissenschaft.<lb/>
Allein ob wir desshalb so sehr viel weniger als Sie, oder über-<lb/>
haupt eigentlich gar nicht, von den gehaltenen Vorlesungen<lb/>
profitiren, das ist denn doch noch eine andere Frage. Sind wir<lb/>
uns einer gewissen Mangelhaftigkeit unserer Ausrüstung bewusst,<lb/>
so sind wir uns damit auch zugleich bewusst, eben aus diesem<lb/>
Grunde uns um so mehr anspannen und zusammennehmen zu<lb/>
müssen, erhöhten Fleisses und erhöhter Aufmerksamkeit benöthigt<lb/>
zu sein. Ja, wir fühlen, dass wir, was uns an Vorbildung abgeht,<lb/>
durch doppelten Eifer und doppelte Hingebung ersetzen müssen.<lb/>
&#x2013; Und glauben Sie, wir haben im Allgemeinen doch durchaus<lb/>
das Bewusstsein, das uns Mitgetheilte sei nicht an uns verschwendet<lb/>
worden: Dankbarkeit, wie sie gegenüber dem Spender werthvoller<lb/>
Gaben Derjenige empfindet, der sich in der That bereichert fühlt,<lb/>
Dankbarkeit empfinden wir für die würdigen Männer, in denen<lb/>
wir unsere Lehrer verehren. &#x2013; Aber Sie haben Recht, wenn Sie<lb/>
mir auf diese ganze Ausführung erwidern: Im einzelnen, im Aus-<lb/>
nahme-Falle, mag allerdings, wenn auch nicht direct aus dem<lb/>
Mangel, sondern aus dem lebendigen Bewusstsein desselben, ein<lb/>
eigenthümlicher Vorzug erwachsen; doch wollte man darum nun im<lb/>
Allgemeinen dem Mangel Berechtigung zugestehen, so würde es<lb/>
eigentlich folgerichtig sein, noch gleich einen Schritt weiter zu<lb/>
gehen, und ihn zur Bedingung zu machen. &#x2013; Sie haben Recht in<lb/>
dem was Sie da sagen, in dem was hierauf fussend Sie von uns<lb/>
gefordert wissen wollen. Drängen wir uns gleich Ihnen in die<lb/>
Heiligthümer der Wissenschaft, so sollen wir auch gleich Ihnen<lb/>
beweisen, dass wir keine unberechtigten Eindringlinge, keine unbe-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0010] angestellt, und somit fehlt uns beiderseitig denn doch der richtige Schätzungsmasstab. Aber wir geben Ihnen aus freien Stücken zu: wir empfinden selbst die Lücken und Mängel unserer nicht (gleich der Ihren) systematischen Ausbildung, wir blicken vielfach mit einem gewissen Neid auf die höhere Wissensstufe, die Sie z. B. unzweifelhaft auf dem Gebiete der alten Sprachen, dem Gebiete der Mathematik vor uns voraushaben. Zwar auch wir können uns einzelner Colleginnen rühmen, die vertraut sind sowohl mit lateinischer als griechischer Sprache; aber – dies ist immerhin kennzeichnend – wir sind stolz auf Etwas, was bei Ihnen die Geltung des Selbstverständlichen besitzt. – Also zugegeben, unsere Ausbil- dung steht im Allgemeinen hinter der Ihrigen zurück; Sie sind eigentlich besser vorbereitet für die Aufnahme und das Ver- ständniss der an der Hochschule vorgetragenen Wissenschaft. Allein ob wir desshalb so sehr viel weniger als Sie, oder über- haupt eigentlich gar nicht, von den gehaltenen Vorlesungen profitiren, das ist denn doch noch eine andere Frage. Sind wir uns einer gewissen Mangelhaftigkeit unserer Ausrüstung bewusst, so sind wir uns damit auch zugleich bewusst, eben aus diesem Grunde uns um so mehr anspannen und zusammennehmen zu müssen, erhöhten Fleisses und erhöhter Aufmerksamkeit benöthigt zu sein. Ja, wir fühlen, dass wir, was uns an Vorbildung abgeht, durch doppelten Eifer und doppelte Hingebung ersetzen müssen. – Und glauben Sie, wir haben im Allgemeinen doch durchaus das Bewusstsein, das uns Mitgetheilte sei nicht an uns verschwendet worden: Dankbarkeit, wie sie gegenüber dem Spender werthvoller Gaben Derjenige empfindet, der sich in der That bereichert fühlt, Dankbarkeit empfinden wir für die würdigen Männer, in denen wir unsere Lehrer verehren. – Aber Sie haben Recht, wenn Sie mir auf diese ganze Ausführung erwidern: Im einzelnen, im Aus- nahme-Falle, mag allerdings, wenn auch nicht direct aus dem Mangel, sondern aus dem lebendigen Bewusstsein desselben, ein eigenthümlicher Vorzug erwachsen; doch wollte man darum nun im Allgemeinen dem Mangel Berechtigung zugestehen, so würde es eigentlich folgerichtig sein, noch gleich einen Schritt weiter zu gehen, und ihn zur Bedingung zu machen. – Sie haben Recht in dem was Sie da sagen, in dem was hierauf fussend Sie von uns gefordert wissen wollen. Drängen wir uns gleich Ihnen in die Heiligthümer der Wissenschaft, so sollen wir auch gleich Ihnen beweisen, dass wir keine unberechtigten Eindringlinge, keine unbe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2021-06-15T09:43:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Neumann, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-06-15T09:43:56Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872/10
Zitationshilfe: Schleinitz, Alexandra von: Offener Brief einer Studirenden an die Gegner der „Studentinnen“ unter den Studenten. Zürich, 1872, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleinitz_brief_1872/10>, abgerufen am 24.11.2024.