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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Art wäre, daß unsere Vorstellung von dem Ideenkreise im aposto-
lischen Zeitalter wesentlich anders bestimmt würde, je nachdem
der Verfasser dieser oder jener ist. Enthielten jene Schriften et-
was, was die andern apostolischen Schriften nicht enthalten, Abwei-
chendes aber nicht Widersprechendes, so wäre die Frage natürlich
von großer Wichtigkeit. Schrieb ein Apostel rein als Einzelner,
außer Verkehr mit den andern, isolirt, so verliert die Frage wie-
der an Interesse, weil man von ihm auf jenen Kreis, auf den
es uns eigentlich ankommt, nicht zurückschließen kann. Das In-
teresse wäre dann eigentlich nur das an der bloßen Persönlichkeit.
Wenn in einer Schrift, welche zur Zeit der Apostel geschrieben
und aus ihrem gemeinsamen Leben hervorgegangen wäre, gleich-
wol superstitiöse und judaisirende Vorstellungen vorkämen, denen
in andern Briefen widersprochen wird, so ist hier nicht das In-
teresse an der Persönlichkeit selbst, sondern an gewissen Relationen
derselben; es wäre interessant zu wissen, ob dergleichen Vorstel-
lungen im Kreise der Apostel ohne Widerspruch gegolten, also
gewissermaßen als die ihrigen angesehen werden dürften oder nicht.

Wie zerfallen nun in Beziehung auf das alles die kritischen
Fragen der Art im N. T.?

Es ist eine alte Streitfrage, ob der zweite und dritte Brief
des Johannes von dem Apostel Johannes und der zweite Petri-
nische Brief von dem Apostel Petrus verfaßt seien. Die Frage
ist in Hinsicht der Persönlichkeit von geringem Interesse. Der
zweite und dritte Joh. Brief sind von so geringem Umfange, daß
es weder in Beziehung auf die Sprache noch auf den Inhalt
bedeutend sein kann, ob sie zu den übrigen Schriften des Apo-
stels hinzukommen oder nicht. Sind das Evangelium und der
erste Brief ächt, und es findet sich in den beiden kleinen Briefen
Widersprechendes damit in Gedanken und Sprache, so schließen
wir, daß sie nicht von Johannes sind. Aber findet sich nichts
dergleichen, so ist zu unbedeutend was sie uns von Johannes
geben, wenn sie ächt sind, und nicht geben, wenn sie unächt sind.

Sehen wir den ersten Brief Petri als ächt an, so haben

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Art waͤre, daß unſere Vorſtellung von dem Ideenkreiſe im apoſto-
liſchen Zeitalter weſentlich anders beſtimmt wuͤrde, je nachdem
der Verfaſſer dieſer oder jener iſt. Enthielten jene Schriften et-
was, was die andern apoſtoliſchen Schriften nicht enthalten, Abwei-
chendes aber nicht Widerſprechendes, ſo waͤre die Frage natuͤrlich
von großer Wichtigkeit. Schrieb ein Apoſtel rein als Einzelner,
außer Verkehr mit den andern, iſolirt, ſo verliert die Frage wie-
der an Intereſſe, weil man von ihm auf jenen Kreis, auf den
es uns eigentlich ankommt, nicht zuruͤckſchließen kann. Das In-
tereſſe waͤre dann eigentlich nur das an der bloßen Perſoͤnlichkeit.
Wenn in einer Schrift, welche zur Zeit der Apoſtel geſchrieben
und aus ihrem gemeinſamen Leben hervorgegangen waͤre, gleich-
wol ſuperſtitioͤſe und judaiſirende Vorſtellungen vorkaͤmen, denen
in andern Briefen widerſprochen wird, ſo iſt hier nicht das In-
tereſſe an der Perſoͤnlichkeit ſelbſt, ſondern an gewiſſen Relationen
derſelben; es waͤre intereſſant zu wiſſen, ob dergleichen Vorſtel-
lungen im Kreiſe der Apoſtel ohne Widerſpruch gegolten, alſo
gewiſſermaßen als die ihrigen angeſehen werden duͤrften oder nicht.

Wie zerfallen nun in Beziehung auf das alles die kritiſchen
Fragen der Art im N. T.?

Es iſt eine alte Streitfrage, ob der zweite und dritte Brief
des Johannes von dem Apoſtel Johannes und der zweite Petri-
niſche Brief von dem Apoſtel Petrus verfaßt ſeien. Die Frage
iſt in Hinſicht der Perſoͤnlichkeit von geringem Intereſſe. Der
zweite und dritte Joh. Brief ſind von ſo geringem Umfange, daß
es weder in Beziehung auf die Sprache noch auf den Inhalt
bedeutend ſein kann, ob ſie zu den uͤbrigen Schriften des Apo-
ſtels hinzukommen oder nicht. Sind das Evangelium und der
erſte Brief aͤcht, und es findet ſich in den beiden kleinen Briefen
Widerſprechendes damit in Gedanken und Sprache, ſo ſchließen
wir, daß ſie nicht von Johannes ſind. Aber findet ſich nichts
dergleichen, ſo iſt zu unbedeutend was ſie uns von Johannes
geben, wenn ſie aͤcht ſind, und nicht geben, wenn ſie unaͤcht ſind.

Sehen wir den erſten Brief Petri als aͤcht an, ſo haben

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[371/0395] Art waͤre, daß unſere Vorſtellung von dem Ideenkreiſe im apoſto- liſchen Zeitalter weſentlich anders beſtimmt wuͤrde, je nachdem der Verfaſſer dieſer oder jener iſt. Enthielten jene Schriften et- was, was die andern apoſtoliſchen Schriften nicht enthalten, Abwei- chendes aber nicht Widerſprechendes, ſo waͤre die Frage natuͤrlich von großer Wichtigkeit. Schrieb ein Apoſtel rein als Einzelner, außer Verkehr mit den andern, iſolirt, ſo verliert die Frage wie- der an Intereſſe, weil man von ihm auf jenen Kreis, auf den es uns eigentlich ankommt, nicht zuruͤckſchließen kann. Das In- tereſſe waͤre dann eigentlich nur das an der bloßen Perſoͤnlichkeit. Wenn in einer Schrift, welche zur Zeit der Apoſtel geſchrieben und aus ihrem gemeinſamen Leben hervorgegangen waͤre, gleich- wol ſuperſtitioͤſe und judaiſirende Vorſtellungen vorkaͤmen, denen in andern Briefen widerſprochen wird, ſo iſt hier nicht das In- tereſſe an der Perſoͤnlichkeit ſelbſt, ſondern an gewiſſen Relationen derſelben; es waͤre intereſſant zu wiſſen, ob dergleichen Vorſtel- lungen im Kreiſe der Apoſtel ohne Widerſpruch gegolten, alſo gewiſſermaßen als die ihrigen angeſehen werden duͤrften oder nicht. Wie zerfallen nun in Beziehung auf das alles die kritiſchen Fragen der Art im N. T.? Es iſt eine alte Streitfrage, ob der zweite und dritte Brief des Johannes von dem Apoſtel Johannes und der zweite Petri- niſche Brief von dem Apoſtel Petrus verfaßt ſeien. Die Frage iſt in Hinſicht der Perſoͤnlichkeit von geringem Intereſſe. Der zweite und dritte Joh. Brief ſind von ſo geringem Umfange, daß es weder in Beziehung auf die Sprache noch auf den Inhalt bedeutend ſein kann, ob ſie zu den uͤbrigen Schriften des Apo- ſtels hinzukommen oder nicht. Sind das Evangelium und der erſte Brief aͤcht, und es findet ſich in den beiden kleinen Briefen Widerſprechendes damit in Gedanken und Sprache, ſo ſchließen wir, daß ſie nicht von Johannes ſind. Aber findet ſich nichts dergleichen, ſo iſt zu unbedeutend was ſie uns von Johannes geben, wenn ſie aͤcht ſind, und nicht geben, wenn ſie unaͤcht ſind. Sehen wir den erſten Brief Petri als aͤcht an, ſo haben 24*

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/395>, abgerufen am 22.12.2024.