Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei 1) der Wissenschaft der Kritik ist es zunächst eine schwierige
Aufgabe, sich über den Gegenstand derselben gehörig zu orientiren.

Wenn mehr Zeit wäre, würde es nicht ohne Interesse sein,
wenn wir zu zeigen versuchten, wie die Aufgabe und die Be-
nennung der Wissenschaft sich im Verlauf der Zeit modifizirt habe.
So können wir aber nur auf die gegenwärtige Lage der Dinge
sehen.

Fassen wir den Ausdruck Kritik etymologisch, so kommt
zweierlei in Betracht, einmal, daß die Kritik in irgend einem
Sinne ein Gericht, sodann, daß sie eine Vergleichung ist. Bei-
des fällt zuweilen zusammen, geht aber auch zuweilen auseinander.

Das Wort, wie es technischer Ausdruck geworden ist, ist sehr
schwer als eine wirkliche Einheit zu fassen. Wir gebrauchen es in Be-

1) Der handschriftliche Nachlaß Schleiermachers besteht für diesen Theil
der Vorlesungen nur in einigen wenigen Blättern, von denen die ältesten
vier nur kurze Notizen und überschriftartige Sätze zum Behuf der Vor-
lesungen enthalten, zwei andere aus verschiedenen Zeiten eine etwas voll-
ständigere Ausarbeitung anfangen, aber nach einigen zusammenhängen-
den Sätzen wieder abbrechen. Bei diesem durchaus fragmentarischen Cha-
rakter des Nachlasses habe ich vorgezogen, die letzte Vorlesung vom Win-
terhalbjahre 1832., mit Benutzung des dabei zum Grunde liegenden zu-
letzt gemachten Anfangs einer vollständigeren Ausarbeitung im Zusam-
menhange abdrucken zu lassen. d. H.

Bei 1) der Wiſſenſchaft der Kritik iſt es zunaͤchſt eine ſchwierige
Aufgabe, ſich uͤber den Gegenſtand derſelben gehoͤrig zu orientiren.

Wenn mehr Zeit waͤre, wuͤrde es nicht ohne Intereſſe ſein,
wenn wir zu zeigen verſuchten, wie die Aufgabe und die Be-
nennung der Wiſſenſchaft ſich im Verlauf der Zeit modifizirt habe.
So koͤnnen wir aber nur auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge
ſehen.

Faſſen wir den Ausdruck Kritik etymologiſch, ſo kommt
zweierlei in Betracht, einmal, daß die Kritik in irgend einem
Sinne ein Gericht, ſodann, daß ſie eine Vergleichung iſt. Bei-
des faͤllt zuweilen zuſammen, geht aber auch zuweilen auseinander.

Das Wort, wie es techniſcher Ausdruck geworden iſt, iſt ſehr
ſchwer als eine wirkliche Einheit zu faſſen. Wir gebrauchen es in Be-

1) Der handſchriftliche Nachlaß Schleiermachers beſteht fuͤr dieſen Theil
der Vorleſungen nur in einigen wenigen Blaͤttern, von denen die aͤlteſten
vier nur kurze Notizen und uͤberſchriftartige Saͤtze zum Behuf der Vor-
leſungen enthalten, zwei andere aus verſchiedenen Zeiten eine etwas voll-
ſtaͤndigere Ausarbeitung anfangen, aber nach einigen zuſammenhaͤngen-
den Saͤtzen wieder abbrechen. Bei dieſem durchaus fragmentariſchen Cha-
rakter des Nachlaſſes habe ich vorgezogen, die letzte Vorleſung vom Win-
terhalbjahre 1832., mit Benutzung des dabei zum Grunde liegenden zu-
letzt gemachten Anfangs einer vollſtaͤndigeren Ausarbeitung im Zuſam-
menhange abdrucken zu laſſen. d. H.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0289" n="[265]"/>
          <p><hi rendition="#in">B</hi>ei <note place="foot" n="1)">Der hand&#x017F;chriftliche Nachlaß Schleiermachers be&#x017F;teht fu&#x0364;r die&#x017F;en Theil<lb/>
der Vorle&#x017F;ungen nur in einigen wenigen Bla&#x0364;ttern, von denen die a&#x0364;lte&#x017F;ten<lb/>
vier nur kurze Notizen und u&#x0364;ber&#x017F;chriftartige Sa&#x0364;tze zum Behuf der Vor-<lb/>
le&#x017F;ungen enthalten, zwei andere aus ver&#x017F;chiedenen Zeiten eine etwas voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigere Ausarbeitung anfangen, aber nach einigen zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen-<lb/>
den Sa&#x0364;tzen wieder abbrechen. Bei die&#x017F;em durchaus fragmentari&#x017F;chen Cha-<lb/>
rakter des Nachla&#x017F;&#x017F;es habe ich vorgezogen, die letzte Vorle&#x017F;ung vom Win-<lb/>
terhalbjahre 1832., mit Benutzung des dabei zum Grunde liegenden zu-<lb/>
letzt gemachten Anfangs einer voll&#x017F;ta&#x0364;ndigeren Ausarbeitung im Zu&#x017F;am-<lb/>
menhange abdrucken zu la&#x017F;&#x017F;en. d. H.</note> der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Kritik i&#x017F;t es zuna&#x0364;ch&#x017F;t eine &#x017F;chwierige<lb/>
Aufgabe, &#x017F;ich u&#x0364;ber den Gegen&#x017F;tand der&#x017F;elben geho&#x0364;rig zu orientiren.</p><lb/>
          <p>Wenn mehr Zeit wa&#x0364;re, wu&#x0364;rde es nicht ohne Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein,<lb/>
wenn wir zu zeigen ver&#x017F;uchten, wie die Aufgabe und die Be-<lb/>
nennung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich im Verlauf der Zeit modifizirt habe.<lb/>
So ko&#x0364;nnen wir aber nur auf die gegenwa&#x0364;rtige Lage der Dinge<lb/>
&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Fa&#x017F;&#x017F;en wir den Ausdruck <hi rendition="#g">Kritik</hi> etymologi&#x017F;ch, &#x017F;o kommt<lb/>
zweierlei in Betracht, einmal, daß die Kritik in irgend einem<lb/>
Sinne ein Gericht, &#x017F;odann, daß &#x017F;ie eine Vergleichung i&#x017F;t. Bei-<lb/>
des fa&#x0364;llt zuweilen zu&#x017F;ammen, geht aber auch zuweilen auseinander.</p><lb/>
          <p>Das Wort, wie es techni&#x017F;cher Ausdruck geworden i&#x017F;t, i&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chwer als eine wirkliche Einheit zu fa&#x017F;&#x017F;en. Wir gebrauchen es in Be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[265]/0289] Bei 1) der Wiſſenſchaft der Kritik iſt es zunaͤchſt eine ſchwierige Aufgabe, ſich uͤber den Gegenſtand derſelben gehoͤrig zu orientiren. Wenn mehr Zeit waͤre, wuͤrde es nicht ohne Intereſſe ſein, wenn wir zu zeigen verſuchten, wie die Aufgabe und die Be- nennung der Wiſſenſchaft ſich im Verlauf der Zeit modifizirt habe. So koͤnnen wir aber nur auf die gegenwaͤrtige Lage der Dinge ſehen. Faſſen wir den Ausdruck Kritik etymologiſch, ſo kommt zweierlei in Betracht, einmal, daß die Kritik in irgend einem Sinne ein Gericht, ſodann, daß ſie eine Vergleichung iſt. Bei- des faͤllt zuweilen zuſammen, geht aber auch zuweilen auseinander. Das Wort, wie es techniſcher Ausdruck geworden iſt, iſt ſehr ſchwer als eine wirkliche Einheit zu faſſen. Wir gebrauchen es in Be- 1) Der handſchriftliche Nachlaß Schleiermachers beſteht fuͤr dieſen Theil der Vorleſungen nur in einigen wenigen Blaͤttern, von denen die aͤlteſten vier nur kurze Notizen und uͤberſchriftartige Saͤtze zum Behuf der Vor- leſungen enthalten, zwei andere aus verſchiedenen Zeiten eine etwas voll- ſtaͤndigere Ausarbeitung anfangen, aber nach einigen zuſammenhaͤngen- den Saͤtzen wieder abbrechen. Bei dieſem durchaus fragmentariſchen Cha- rakter des Nachlaſſes habe ich vorgezogen, die letzte Vorleſung vom Win- terhalbjahre 1832., mit Benutzung des dabei zum Grunde liegenden zu- letzt gemachten Anfangs einer vollſtaͤndigeren Ausarbeitung im Zuſam- menhange abdrucken zu laſſen. d. H.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/289
Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. [265]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/289>, abgerufen am 22.12.2024.