Beziehung darauf gestellt werden können. Die hermeneutische Arbeit ist an einem Buche nicht vollendet, wenn sie jene beson- dere Aufgabe nicht mit gehöriger Kunstmäßigkeit behandelt.
Hier kommt etwas anderes in Betracht, nemlich die Vorstel- lung von dem Gesammtzustande des Christlichen im apostolischen Zeitalter. Man kann damit der historischen Kritik zu Hülfe kom- men. Dazu kann man freilich aus anderweitigen Zeugnissen rück- wärts schließen. Aber dieß hat, wenn es auf unrechte Weise geschieht, eben so viel Nachtheil für die hermeneutischen Opera- tionen, als es, wenn es auf die rechte Weise geschieht, ihre Grundlage sein muß.
Diese Sache ist nun noch lange nicht beendigt, sondern be- trachtet man die Geschichte unsrer Wissenschaft, so sieht man, sie geht im Zickzack. Wir haben z. B. aus späteren Zeiten No- tizen von der Formation des Christlichen, die man im Allgemei- nen die gnostische nennt. Nun giebt es in den epistolischen Schrif- ten des N. T. eine Menge schwieriger Stellen, welche darauf führen, daß ihnen besondere Verhältnisse zum Grunde gelegen haben, Abweichungen vom richtigen Typus des Glaubens. Man hat nun geschlossen, wenn der Gnostieismus schon da gewesen wäre, so könnten sich jene Stellen darauf beziehen, da nun dieß ist, so müsse jener auch schon da gewesen sein. So wird daraus ein hermeneutisches Princip. Man machte nun aber die genauere hermeneutische Probe, und fand, daß der Gnosticismus nicht das entsprechende Fundament sei, daß die Polemik gegen denselben eine andere gewesen sein müsse. So hat man also gesagt, der Gnosticismus sei im N. T. nicht zu finden. Allein Andere haben wieder gesagt, ein dem Gnosticismus Verwandtes müsse zum Grunde liegen, die Anfänge desselben. So ging man wieder zurück, wie im Zickzack. Der Punkt, wo dieses Zickzack aufhören werde, ist noch gar nicht zu bestimmen.
Fragen wir, wie vom gegenwärtigen Punkte aus die neu- test. Hermeneutik zu betreiben sei, um nach beiden Seiten hin
Beziehung darauf geſtellt werden koͤnnen. Die hermeneutiſche Arbeit iſt an einem Buche nicht vollendet, wenn ſie jene beſon- dere Aufgabe nicht mit gehoͤriger Kunſtmaͤßigkeit behandelt.
Hier kommt etwas anderes in Betracht, nemlich die Vorſtel- lung von dem Geſammtzuſtande des Chriſtlichen im apoſtoliſchen Zeitalter. Man kann damit der hiſtoriſchen Kritik zu Huͤlfe kom- men. Dazu kann man freilich aus anderweitigen Zeugniſſen ruͤck- waͤrts ſchließen. Aber dieß hat, wenn es auf unrechte Weiſe geſchieht, eben ſo viel Nachtheil fuͤr die hermeneutiſchen Opera- tionen, als es, wenn es auf die rechte Weiſe geſchieht, ihre Grundlage ſein muß.
Dieſe Sache iſt nun noch lange nicht beendigt, ſondern be- trachtet man die Geſchichte unſrer Wiſſenſchaft, ſo ſieht man, ſie geht im Zickzack. Wir haben z. B. aus ſpaͤteren Zeiten No- tizen von der Formation des Chriſtlichen, die man im Allgemei- nen die gnoſtiſche nennt. Nun giebt es in den epiſtoliſchen Schrif- ten des N. T. eine Menge ſchwieriger Stellen, welche darauf fuͤhren, daß ihnen beſondere Verhaͤltniſſe zum Grunde gelegen haben, Abweichungen vom richtigen Typus des Glaubens. Man hat nun geſchloſſen, wenn der Gnoſtieismus ſchon da geweſen waͤre, ſo koͤnnten ſich jene Stellen darauf beziehen, da nun dieß iſt, ſo muͤſſe jener auch ſchon da geweſen ſein. So wird daraus ein hermeneutiſches Princip. Man machte nun aber die genauere hermeneutiſche Probe, und fand, daß der Gnoſticismus nicht das entſprechende Fundament ſei, daß die Polemik gegen denſelben eine andere geweſen ſein muͤſſe. So hat man alſo geſagt, der Gnoſticismus ſei im N. T. nicht zu finden. Allein Andere haben wieder geſagt, ein dem Gnoſticismus Verwandtes muͤſſe zum Grunde liegen, die Anfaͤnge deſſelben. So ging man wieder zuruͤck, wie im Zickzack. Der Punkt, wo dieſes Zickzack aufhoͤren werde, iſt noch gar nicht zu beſtimmen.
Fragen wir, wie vom gegenwaͤrtigen Punkte aus die neu- teſt. Hermeneutik zu betreiben ſei, um nach beiden Seiten hin
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Beziehung darauf geſtellt werden koͤnnen. Die hermeneutiſche
Arbeit iſt an einem Buche nicht vollendet, wenn ſie jene beſon-
dere Aufgabe nicht mit gehoͤriger Kunſtmaͤßigkeit behandelt.
Hier kommt etwas anderes in Betracht, nemlich die Vorſtel-
lung von dem Geſammtzuſtande des Chriſtlichen im apoſtoliſchen
Zeitalter. Man kann damit der hiſtoriſchen Kritik zu Huͤlfe kom-
men. Dazu kann man freilich aus anderweitigen Zeugniſſen ruͤck-
waͤrts ſchließen. Aber dieß hat, wenn es auf unrechte Weiſe
geſchieht, eben ſo viel Nachtheil fuͤr die hermeneutiſchen Opera-
tionen, als es, wenn es auf die rechte Weiſe geſchieht, ihre
Grundlage ſein muß.
Dieſe Sache iſt nun noch lange nicht beendigt, ſondern be-
trachtet man die Geſchichte unſrer Wiſſenſchaft, ſo ſieht man,
ſie geht im Zickzack. Wir haben z. B. aus ſpaͤteren Zeiten No-
tizen von der Formation des Chriſtlichen, die man im Allgemei-
nen die gnoſtiſche nennt. Nun giebt es in den epiſtoliſchen Schrif-
ten des N. T. eine Menge ſchwieriger Stellen, welche darauf
fuͤhren, daß ihnen beſondere Verhaͤltniſſe zum Grunde gelegen
haben, Abweichungen vom richtigen Typus des Glaubens. Man
hat nun geſchloſſen, wenn der Gnoſtieismus ſchon da geweſen
waͤre, ſo koͤnnten ſich jene Stellen darauf beziehen, da nun dieß
iſt, ſo muͤſſe jener auch ſchon da geweſen ſein. So wird daraus
ein hermeneutiſches Princip. Man machte nun aber die genauere
hermeneutiſche Probe, und fand, daß der Gnoſticismus nicht das
entſprechende Fundament ſei, daß die Polemik gegen denſelben
eine andere geweſen ſein muͤſſe. So hat man alſo geſagt, der
Gnoſticismus ſei im N. T. nicht zu finden. Allein Andere haben
wieder geſagt, ein dem Gnoſticismus Verwandtes muͤſſe zum
Grunde liegen, die Anfaͤnge deſſelben. So ging man wieder
zuruͤck, wie im Zickzack. Der Punkt, wo dieſes Zickzack aufhoͤren
werde, iſt noch gar nicht zu beſtimmen.
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/279>, abgerufen am 22.12.2024.
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