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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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neue Pflanze entwickeln könne, und darin ist die Leichtigkeit, mit der
sich fast alle Pflanzen vermehren lassen, begründet.

Man kann hier aber noch sehr verschiedene Stufen unterscheiden
nach den verschiedenen Verhältnissen, unter denen die Natur die Ent-
wicklung der einzelnen Zelle zu einer neuen Pflanze möglich macht.

1) In der ganz allgemeinen Form, wie ich das Gesetz eben aus-
gesprochen, kommt die Sache nur höchst selten vor, weil nur in sehr
seltenen Fällen das nothwendige Zusammentreffen aller begünstigenden
Verhältnisse eintritt. Indeß giebt es doch in der That einige so auf-
fallende Beispiele der Art, daß Blätter einer Pflanze auf der Erde
und selbst im Herbarium sich plötzlich ganz mit Knospen, was eben
so viel heißt als mit Anlagen zu neuen Pflanzen, bedeckt haben, daß
man an der Gültigkeit des Gesetzes nicht mehr zweifeln darf.

2) Gar häufig kommen dagegen Beispiele vor, in denen eine
etwas beschränktere Anwendung des Gesetzes Statt findet, indem
nämlich ganz bestimmte Stellen an Blättern dazu gebracht werden
können, junge Pflänzchen hervorzubringen. Wenn man z. B. ein Blatt
von Bryophyllum calycinum auf feuchte Erde legt, so entwickeln sich
aus allen Einkerbungen des Blattes junge Pflanzen, die nur der
außerordentlichen Entwicklung einzelner bestimmter Zellen des Blattes
ihr Daseyn verdanken können (vergl. Taf. III. Fig. 5). Aehnliches
findet an der Bruchfläche abgepflückter Blätter bei den schönen schar-
lachroth blühenden Echeverien und bei vielen andern aus der Gruppe
der sogen. Fettpflanzen, sowie bei den Orangenbäumen Statt. Unsere
Gärtner benutzen diese Erscheinung zur Vermehrung dieser Gewächse,
und schon im Mittelalter reiste ein Italiener Mirandola umher und
brüstete sich mit der geheimen Kunst, aus Blättern Bäume zu ziehen.
Bei den prachtvollen Gesnerien darf man nur eine der dicken Adern
des Blattes einknicken und nach acht Tagen hat sich an der Bruchfläche
ein neues junges Pflänzchen erzeugt.

3) Bei noch andern Pflanzen geschieht es, daß sich ganz regel-
mäßig und von selbst schon an den Blättern, die noch am Stengel
festsitzen, kleine Knöllchen bilden, auf deren Spitze eine Knospe, aus

neue Pflanze entwickeln könne, und darin iſt die Leichtigkeit, mit der
ſich faſt alle Pflanzen vermehren laſſen, begründet.

Man kann hier aber noch ſehr verſchiedene Stufen unterſcheiden
nach den verſchiedenen Verhältniſſen, unter denen die Natur die Ent-
wicklung der einzelnen Zelle zu einer neuen Pflanze möglich macht.

1) In der ganz allgemeinen Form, wie ich das Geſetz eben aus-
geſprochen, kommt die Sache nur höchſt ſelten vor, weil nur in ſehr
ſeltenen Fällen das nothwendige Zuſammentreffen aller begünſtigenden
Verhältniſſe eintritt. Indeß giebt es doch in der That einige ſo auf-
fallende Beiſpiele der Art, daß Blätter einer Pflanze auf der Erde
und ſelbſt im Herbarium ſich plötzlich ganz mit Knoſpen, was eben
ſo viel heißt als mit Anlagen zu neuen Pflanzen, bedeckt haben, daß
man an der Gültigkeit des Geſetzes nicht mehr zweifeln darf.

2) Gar häufig kommen dagegen Beiſpiele vor, in denen eine
etwas beſchränktere Anwendung des Geſetzes Statt findet, indem
nämlich ganz beſtimmte Stellen an Blättern dazu gebracht werden
können, junge Pflänzchen hervorzubringen. Wenn man z. B. ein Blatt
von Bryophyllum calycinum auf feuchte Erde legt, ſo entwickeln ſich
aus allen Einkerbungen des Blattes junge Pflanzen, die nur der
außerordentlichen Entwicklung einzelner beſtimmter Zellen des Blattes
ihr Daſeyn verdanken können (vergl. Taf. III. Fig. 5). Aehnliches
findet an der Bruchfläche abgepflückter Blätter bei den ſchönen ſchar-
lachroth blühenden Echeverien und bei vielen andern aus der Gruppe
der ſogen. Fettpflanzen, ſowie bei den Orangenbäumen Statt. Unſere
Gärtner benutzen dieſe Erſcheinung zur Vermehrung dieſer Gewächſe,
und ſchon im Mittelalter reiſte ein Italiener Mirandola umher und
brüſtete ſich mit der geheimen Kunſt, aus Blättern Bäume zu ziehen.
Bei den prachtvollen Gesnerien darf man nur eine der dicken Adern
des Blattes einknicken und nach acht Tagen hat ſich an der Bruchfläche
ein neues junges Pflänzchen erzeugt.

3) Bei noch andern Pflanzen geſchieht es, daß ſich ganz regel-
mäßig und von ſelbſt ſchon an den Blättern, die noch am Stengel
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[63/0079] neue Pflanze entwickeln könne, und darin iſt die Leichtigkeit, mit der ſich faſt alle Pflanzen vermehren laſſen, begründet. Man kann hier aber noch ſehr verſchiedene Stufen unterſcheiden nach den verſchiedenen Verhältniſſen, unter denen die Natur die Ent- wicklung der einzelnen Zelle zu einer neuen Pflanze möglich macht. 1) In der ganz allgemeinen Form, wie ich das Geſetz eben aus- geſprochen, kommt die Sache nur höchſt ſelten vor, weil nur in ſehr ſeltenen Fällen das nothwendige Zuſammentreffen aller begünſtigenden Verhältniſſe eintritt. Indeß giebt es doch in der That einige ſo auf- fallende Beiſpiele der Art, daß Blätter einer Pflanze auf der Erde und ſelbſt im Herbarium ſich plötzlich ganz mit Knoſpen, was eben ſo viel heißt als mit Anlagen zu neuen Pflanzen, bedeckt haben, daß man an der Gültigkeit des Geſetzes nicht mehr zweifeln darf. 2) Gar häufig kommen dagegen Beiſpiele vor, in denen eine etwas beſchränktere Anwendung des Geſetzes Statt findet, indem nämlich ganz beſtimmte Stellen an Blättern dazu gebracht werden können, junge Pflänzchen hervorzubringen. Wenn man z. B. ein Blatt von Bryophyllum calycinum auf feuchte Erde legt, ſo entwickeln ſich aus allen Einkerbungen des Blattes junge Pflanzen, die nur der außerordentlichen Entwicklung einzelner beſtimmter Zellen des Blattes ihr Daſeyn verdanken können (vergl. Taf. III. Fig. 5). Aehnliches findet an der Bruchfläche abgepflückter Blätter bei den ſchönen ſchar- lachroth blühenden Echeverien und bei vielen andern aus der Gruppe der ſogen. Fettpflanzen, ſowie bei den Orangenbäumen Statt. Unſere Gärtner benutzen dieſe Erſcheinung zur Vermehrung dieſer Gewächſe, und ſchon im Mittelalter reiſte ein Italiener Mirandola umher und brüſtete ſich mit der geheimen Kunſt, aus Blättern Bäume zu ziehen. Bei den prachtvollen Gesnerien darf man nur eine der dicken Adern des Blattes einknicken und nach acht Tagen hat ſich an der Bruchfläche ein neues junges Pflänzchen erzeugt. 3) Bei noch andern Pflanzen geſchieht es, daß ſich ganz regel- mäßig und von ſelbſt ſchon an den Blättern, die noch am Stengel feſtſitzen, kleine Knöllchen bilden, auf deren Spitze eine Knospe, aus

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/79>, abgerufen am 04.05.2024.