Der Wechsel ist es, welcher durch die Bewegung, die er in der Anschauung oder im Gedanken hervorruft als ein wesentliches Mittel zur Erweckung des ästhetischen Gefallens oder des Intresses auftritt. Die gerade Linie ist nicht schön, ja eigentlich weder schön noch häß- lich, aber schon die gebogene, gebrochene Linie macht, indem sie das Auge zu einer abweichenden Bewegung auffordert, Anspruch auf ästhetische Beurtheilung und wir nennen sie schön, wenn die Bewe- gung des Auges mild und stetig vermittelt ist, häßlich, wenn das Auge oft und plötzlich von seinen Wege abgelenkt, der eckig geknickten Linie nicht mit Einer in sich zusammenhängenden Bewegung, sondern nur in unvermitteltem Wechsel der Richtung folgen kann. Doch auch durch den Contrast, durch den Gegensatz kann das Gefühl für Schön- heit geweckt werden, wenn gleichsam einer unbewußt zum Grunde gelegten Gesetzmäßigkeit (wie in der bekannten Nebeneinanderstellung der complementairen Farben) und der Anforderung der Ergänzung zu einem idealen Ganzen der Erscheinung genügt und so im Contrast selbst ein befriedigendes Gefühl der Vollendung hervorgerufen wird. Aus diesen Andeutungen verstehen wir vielleicht besser die alte Rede, daß den heißen Gegenden ein landschaftlicher Hauptreiz in dem Mangel unserer Wiesen abgehe, denn an grasbewachsenen baumlosen Ebenen fehlt es keineswegs in der neuen Welt überhaupt, und besonders unter den Tropen des alten und neuen Continentes. Wenn wir aber von der Schönheit unserer Wiesen reden, so meinen wir in der That eigentlich gar nicht die Weise, d. h. die mit Gräsern bedeckte ebene Fläche, sondern den formenreichen und dadurch anmuthigen Gegen- satz zwischen dem sammetartigen grünen Teppich und den in schönen abgerundeten Formen daneben sich erhebenden Gebüschen, bis hinauf zum majestätischen Hochwald und die traurigen märkischen Kiefern- haiden würden dadurch um nichts schöner werden, wenn die ganze endlose von keinem in ihr vorkommenden Hügel übersehbare Fläche mit Ausschluß aller Baumvegetation von noch so üppigem Graswuchs bedeckt wäre. --
Wenn wir nun die Formationen der Plänen, denen der
Schleiden, Pflanze. 21
Der Wechſel iſt es, welcher durch die Bewegung, die er in der Anſchauung oder im Gedanken hervorruft als ein weſentliches Mittel zur Erweckung des äſthetiſchen Gefallens oder des Intreſſes auftritt. Die gerade Linie iſt nicht ſchön, ja eigentlich weder ſchön noch häß- lich, aber ſchon die gebogene, gebrochene Linie macht, indem ſie das Auge zu einer abweichenden Bewegung auffordert, Anſpruch auf äſthetiſche Beurtheilung und wir nennen ſie ſchön, wenn die Bewe- gung des Auges mild und ſtetig vermittelt iſt, häßlich, wenn das Auge oft und plötzlich von ſeinen Wege abgelenkt, der eckig geknickten Linie nicht mit Einer in ſich zuſammenhängenden Bewegung, ſondern nur in unvermitteltem Wechſel der Richtung folgen kann. Doch auch durch den Contraſt, durch den Gegenſatz kann das Gefühl für Schön- heit geweckt werden, wenn gleichſam einer unbewußt zum Grunde gelegten Geſetzmäßigkeit (wie in der bekannten Nebeneinanderſtellung der complementairen Farben) und der Anforderung der Ergänzung zu einem idealen Ganzen der Erſcheinung genügt und ſo im Contraſt ſelbſt ein befriedigendes Gefühl der Vollendung hervorgerufen wird. Aus dieſen Andeutungen verſtehen wir vielleicht beſſer die alte Rede, daß den heißen Gegenden ein landſchaftlicher Hauptreiz in dem Mangel unſerer Wieſen abgehe, denn an grasbewachſenen baumloſen Ebenen fehlt es keineswegs in der neuen Welt überhaupt, und beſonders unter den Tropen des alten und neuen Continentes. Wenn wir aber von der Schönheit unſerer Wieſen reden, ſo meinen wir in der That eigentlich gar nicht die Weiſe, d. h. die mit Gräſern bedeckte ebene Fläche, ſondern den formenreichen und dadurch anmuthigen Gegen- ſatz zwiſchen dem ſammetartigen grünen Teppich und den in ſchönen abgerundeten Formen daneben ſich erhebenden Gebüſchen, bis hinauf zum majeſtätiſchen Hochwald und die traurigen märkiſchen Kiefern- haiden würden dadurch um nichts ſchöner werden, wenn die ganze endloſe von keinem in ihr vorkommenden Hügel überſehbare Fläche mit Ausſchluß aller Baumvegetation von noch ſo üppigem Graswuchs bedeckt wäre. —
Wenn wir nun die Formationen der Plänen, denen der
Schleiden, Pflanze. 21
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0337"n="321"/><p>Der Wechſel iſt es, welcher durch die Bewegung, die er in der<lb/>
Anſchauung oder im Gedanken hervorruft als ein weſentliches Mittel<lb/>
zur Erweckung des äſthetiſchen Gefallens oder des Intreſſes auftritt.<lb/>
Die gerade Linie iſt nicht ſchön, ja eigentlich weder ſchön noch häß-<lb/>
lich, aber ſchon die gebogene, gebrochene Linie macht, indem ſie das<lb/>
Auge zu einer abweichenden Bewegung auffordert, Anſpruch auf<lb/>
äſthetiſche Beurtheilung und wir nennen ſie ſchön, wenn die Bewe-<lb/>
gung des Auges mild und ſtetig vermittelt iſt, häßlich, wenn das<lb/>
Auge oft und plötzlich von ſeinen Wege abgelenkt, der eckig geknickten<lb/>
Linie nicht mit Einer in ſich zuſammenhängenden Bewegung, ſondern<lb/>
nur in unvermitteltem Wechſel der Richtung folgen kann. Doch auch<lb/>
durch den Contraſt, durch den Gegenſatz kann das Gefühl für Schön-<lb/>
heit geweckt werden, wenn gleichſam einer unbewußt zum Grunde<lb/>
gelegten Geſetzmäßigkeit (wie in der bekannten Nebeneinanderſtellung<lb/>
der complementairen Farben) und der Anforderung der Ergänzung zu<lb/>
einem idealen Ganzen der Erſcheinung genügt und ſo im Contraſt<lb/>ſelbſt ein befriedigendes Gefühl der Vollendung hervorgerufen wird.<lb/>
Aus dieſen Andeutungen verſtehen wir vielleicht beſſer die alte Rede,<lb/>
daß den heißen Gegenden ein landſchaftlicher Hauptreiz in dem Mangel<lb/>
unſerer Wieſen abgehe, denn an grasbewachſenen baumloſen Ebenen<lb/>
fehlt es keineswegs in der neuen Welt überhaupt, und beſonders<lb/>
unter den Tropen des alten und neuen Continentes. Wenn wir aber<lb/>
von der Schönheit unſerer Wieſen reden, ſo meinen wir in der That<lb/>
eigentlich gar nicht die Weiſe, d. h. die mit Gräſern bedeckte ebene<lb/>
Fläche, ſondern den formenreichen und dadurch anmuthigen Gegen-<lb/>ſatz zwiſchen dem ſammetartigen grünen Teppich und den in ſchönen<lb/>
abgerundeten Formen daneben ſich erhebenden Gebüſchen, bis hinauf<lb/>
zum majeſtätiſchen Hochwald und die traurigen märkiſchen Kiefern-<lb/>
haiden würden dadurch um nichts ſchöner werden, wenn die ganze<lb/>
endloſe von keinem in ihr vorkommenden Hügel überſehbare Fläche<lb/>
mit Ausſchluß aller Baumvegetation von noch ſo üppigem Graswuchs<lb/>
bedeckt wäre. —</p><lb/><p>Wenn wir nun die <hirendition="#g">Formationen der Plänen</hi>, denen der<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Schleiden</hi>, Pflanze. 21</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[321/0337]
Der Wechſel iſt es, welcher durch die Bewegung, die er in der
Anſchauung oder im Gedanken hervorruft als ein weſentliches Mittel
zur Erweckung des äſthetiſchen Gefallens oder des Intreſſes auftritt.
Die gerade Linie iſt nicht ſchön, ja eigentlich weder ſchön noch häß-
lich, aber ſchon die gebogene, gebrochene Linie macht, indem ſie das
Auge zu einer abweichenden Bewegung auffordert, Anſpruch auf
äſthetiſche Beurtheilung und wir nennen ſie ſchön, wenn die Bewe-
gung des Auges mild und ſtetig vermittelt iſt, häßlich, wenn das
Auge oft und plötzlich von ſeinen Wege abgelenkt, der eckig geknickten
Linie nicht mit Einer in ſich zuſammenhängenden Bewegung, ſondern
nur in unvermitteltem Wechſel der Richtung folgen kann. Doch auch
durch den Contraſt, durch den Gegenſatz kann das Gefühl für Schön-
heit geweckt werden, wenn gleichſam einer unbewußt zum Grunde
gelegten Geſetzmäßigkeit (wie in der bekannten Nebeneinanderſtellung
der complementairen Farben) und der Anforderung der Ergänzung zu
einem idealen Ganzen der Erſcheinung genügt und ſo im Contraſt
ſelbſt ein befriedigendes Gefühl der Vollendung hervorgerufen wird.
Aus dieſen Andeutungen verſtehen wir vielleicht beſſer die alte Rede,
daß den heißen Gegenden ein landſchaftlicher Hauptreiz in dem Mangel
unſerer Wieſen abgehe, denn an grasbewachſenen baumloſen Ebenen
fehlt es keineswegs in der neuen Welt überhaupt, und beſonders
unter den Tropen des alten und neuen Continentes. Wenn wir aber
von der Schönheit unſerer Wieſen reden, ſo meinen wir in der That
eigentlich gar nicht die Weiſe, d. h. die mit Gräſern bedeckte ebene
Fläche, ſondern den formenreichen und dadurch anmuthigen Gegen-
ſatz zwiſchen dem ſammetartigen grünen Teppich und den in ſchönen
abgerundeten Formen daneben ſich erhebenden Gebüſchen, bis hinauf
zum majeſtätiſchen Hochwald und die traurigen märkiſchen Kiefern-
haiden würden dadurch um nichts ſchöner werden, wenn die ganze
endloſe von keinem in ihr vorkommenden Hügel überſehbare Fläche
mit Ausſchluß aller Baumvegetation von noch ſo üppigem Graswuchs
bedeckt wäre. —
Wenn wir nun die Formationen der Plänen, denen der
Schleiden, Pflanze. 21
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.