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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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irgend erwarten lassen. Aehnliche Resultate erhält man beim Weizen,
Mais, der Kartoffel und andern Culturpflanzen. -- Wir können die-
ses Resultat so aussprechen: jede Culturpflanze bedarf zu ihrer Ent-
wicklung einer gewissen Quantität Wärme, es ist aber gleichgültig
ob diese Wärme auf einen längern oder kürzeren Zeitraum vertheilt
wird, sobald nur gewisse Grenzen nicht überschritten werden; denn wo
die mittlere Temperatur unter 8° sinkt, wo sie sich über 22° erhebt, da
reift keine Gerste mehr. Wir müssen also, um genau die Temperatur-
verhältnisse, die eine Pflanze zu ihrem Gedeihen fordert, zu bestim-
men, angeben innerhalb welcher Grenzen ihre Vegetationszeit schwan-
ken kann und welche Quantität der Wärme sie bedarf. Auf dieses
höchst merkwürdige Verhältniß ist zuerst von Boussingault aufmerk-
sam gemacht, aber leider besitzen wir noch nicht genügend genaue Anga-
ben über die Culturverhältnisse in den verschiedenen Gegenden der Erde,
um diese geistreiche Ansicht bis in alle Einzelheiten verfolgen zu können.

Ich habe in Vorigem deshalb die Gerste als Beispiel ge-
wählt, weil sie von allen Cerealien den größten Verbreitungsbezirk
hat und von den äußersten Grenzen der Cultur in Lappland bis auf
die Höhen unmittelbar unter dem Aequator angebaut wird. Aber
keineswegs hat sie überall dieselbe Bedeutung wie in den nördlichsten
Gegenden, wo sie in einem kleinen schmalen Gürtel als alleiniges
Brodkorn auftritt, und nur in der letzten Beziehung soll im Folgenden
die Verbreitung der wichtigern Cerealien betrachtet werden. Schon
in Lappland und im nördlichen Asien tritt sehr bald neben ihr der
Roggen auf, von der Ungunst des Climas aber noch auf glückliche
Jahre beschränkt nnd daher nicht als die eigentliche Hauptnahrung
anzusehn. Erst in Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland wird
der Roggen das eigentliche Brodkorn, dem dann im nördlichen Eng-
land und Deutschland der Weizen eben so an die Seite tritt als früher
der Roggen der Gerste sich anschloß. In der Mitte von Deutschland,
im südlichen England, in Frankreich und in einem weiten Bezirk nach
Osten, das ganze caspische Meer umfassend, wird dann Weizen die
herrschende Culturpflanze, der sich erst am Becken des Mittelmeeres,

irgend erwarten laſſen. Aehnliche Reſultate erhält man beim Weizen,
Mais, der Kartoffel und andern Culturpflanzen. — Wir können die-
ſes Reſultat ſo ausſprechen: jede Culturpflanze bedarf zu ihrer Ent-
wicklung einer gewiſſen Quantität Wärme, es iſt aber gleichgültig
ob dieſe Wärme auf einen längern oder kürzeren Zeitraum vertheilt
wird, ſobald nur gewiſſe Grenzen nicht überſchritten werden; denn wo
die mittlere Temperatur unter 8° ſinkt, wo ſie ſich über 22° erhebt, da
reift keine Gerſte mehr. Wir müſſen alſo, um genau die Temperatur-
verhältniſſe, die eine Pflanze zu ihrem Gedeihen fordert, zu beſtim-
men, angeben innerhalb welcher Grenzen ihre Vegetationszeit ſchwan-
ken kann und welche Quantität der Wärme ſie bedarf. Auf dieſes
höchſt merkwürdige Verhältniß iſt zuerſt von Bouſſingault aufmerk-
ſam gemacht, aber leider beſitzen wir noch nicht genügend genaue Anga-
ben über die Culturverhältniſſe in den verſchiedenen Gegenden der Erde,
um dieſe geiſtreiche Anſicht bis in alle Einzelheiten verfolgen zu können.

Ich habe in Vorigem deshalb die Gerſte als Beiſpiel ge-
wählt, weil ſie von allen Cerealien den größten Verbreitungsbezirk
hat und von den äußerſten Grenzen der Cultur in Lappland bis auf
die Höhen unmittelbar unter dem Aequator angebaut wird. Aber
keineswegs hat ſie überall dieſelbe Bedeutung wie in den nördlichſten
Gegenden, wo ſie in einem kleinen ſchmalen Gürtel als alleiniges
Brodkorn auftritt, und nur in der letzten Beziehung ſoll im Folgenden
die Verbreitung der wichtigern Cerealien betrachtet werden. Schon
in Lappland und im nördlichen Aſien tritt ſehr bald neben ihr der
Roggen auf, von der Ungunſt des Climas aber noch auf glückliche
Jahre beſchränkt nnd daher nicht als die eigentliche Hauptnahrung
anzuſehn. Erſt in Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland wird
der Roggen das eigentliche Brodkorn, dem dann im nördlichen Eng-
land und Deutſchland der Weizen eben ſo an die Seite tritt als früher
der Roggen der Gerſte ſich anſchloß. In der Mitte von Deutſchland,
im ſüdlichen England, in Frankreich und in einem weiten Bezirk nach
Oſten, das ganze caspiſche Meer umfaſſend, wird dann Weizen die
herrſchende Culturpflanze, der ſich erſt am Becken des Mittelmeeres,

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[246/0262] irgend erwarten laſſen. Aehnliche Reſultate erhält man beim Weizen, Mais, der Kartoffel und andern Culturpflanzen. — Wir können die- ſes Reſultat ſo ausſprechen: jede Culturpflanze bedarf zu ihrer Ent- wicklung einer gewiſſen Quantität Wärme, es iſt aber gleichgültig ob dieſe Wärme auf einen längern oder kürzeren Zeitraum vertheilt wird, ſobald nur gewiſſe Grenzen nicht überſchritten werden; denn wo die mittlere Temperatur unter 8° ſinkt, wo ſie ſich über 22° erhebt, da reift keine Gerſte mehr. Wir müſſen alſo, um genau die Temperatur- verhältniſſe, die eine Pflanze zu ihrem Gedeihen fordert, zu beſtim- men, angeben innerhalb welcher Grenzen ihre Vegetationszeit ſchwan- ken kann und welche Quantität der Wärme ſie bedarf. Auf dieſes höchſt merkwürdige Verhältniß iſt zuerſt von Bouſſingault aufmerk- ſam gemacht, aber leider beſitzen wir noch nicht genügend genaue Anga- ben über die Culturverhältniſſe in den verſchiedenen Gegenden der Erde, um dieſe geiſtreiche Anſicht bis in alle Einzelheiten verfolgen zu können. Ich habe in Vorigem deshalb die Gerſte als Beiſpiel ge- wählt, weil ſie von allen Cerealien den größten Verbreitungsbezirk hat und von den äußerſten Grenzen der Cultur in Lappland bis auf die Höhen unmittelbar unter dem Aequator angebaut wird. Aber keineswegs hat ſie überall dieſelbe Bedeutung wie in den nördlichſten Gegenden, wo ſie in einem kleinen ſchmalen Gürtel als alleiniges Brodkorn auftritt, und nur in der letzten Beziehung ſoll im Folgenden die Verbreitung der wichtigern Cerealien betrachtet werden. Schon in Lappland und im nördlichen Aſien tritt ſehr bald neben ihr der Roggen auf, von der Ungunſt des Climas aber noch auf glückliche Jahre beſchränkt nnd daher nicht als die eigentliche Hauptnahrung anzuſehn. Erſt in Norwegen, Schweden, Finnland und Rußland wird der Roggen das eigentliche Brodkorn, dem dann im nördlichen Eng- land und Deutſchland der Weizen eben ſo an die Seite tritt als früher der Roggen der Gerſte ſich anſchloß. In der Mitte von Deutſchland, im ſüdlichen England, in Frankreich und in einem weiten Bezirk nach Oſten, das ganze caspiſche Meer umfaſſend, wird dann Weizen die herrſchende Culturpflanze, der ſich erſt am Becken des Mittelmeeres,

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/262>, abgerufen am 25.11.2024.