schaft ablegen zu können. Ganz Resultat launenhafter Willkühr muß es uns aber erscheinen, warum einzelne Pflanzen weit auf der Erde verbreitet sind, während andere auf die kleinsten Flecke einge- schränkt leben müssen, wie z. B. die ausschließlich auf den Kärnthner Alpen vorkommende Wulfenie; warum einzelne Familien, wie die Compositen, über die ganze Erdevertheilt gedeihen, während andere, wie die Pfefferarten, die Palmen, nur zwischen sehr bestimmten Breitegraden zu beiden Seiten des Aequators, die Proteaceen nur auf der südlichen Halbkugel, die Cactuspfanzen nur auf der west- lichen Hälfte der Erde sich finden. Eben so wenig erklärlich ist uns die Vertheilungs weise der Pflanzenfamilien. Während die Palmen- arten vom Aequator gegen die höheren Breiten abnehmen, erreichen die Compositen gerade in der mittleren Temperaturzone ihre höchste Entwicklung, ihre Artenzahl nimmt von da nach beiden Seiten, so- wohl nach dem Aequator als nach den Polen zu, ab, während die Gräser endlich stetig vom Aequator nach den Polen hin zunehmen.
Hier ist aber noch eine eigenthümliche Betrachtungsweise her- vorzuheben, nach welcher man die Vertheilung der Familien zu beur- theilen pflegt.
Die Rietgräser z. B. treten in der Flora von Frankreich mit 134 Arten auf, in der Flora von Lappland dagegen nur mit 55 Arten. Frankreich ist also ohne Frage absolut reicher an Arten als Lappland. Anders aber stellt sich die Sache, wenn wir diese Pflanzen im Ver- hältniß zur ganzen Vegetation beider Länder betrachten und wenn es uns darauf ankommt, eben das Characteristische der Vegetationsge- biete aufzufassen, so dürfen wir nur diese Betrachtungsweise gelten lassen. Frankreich besitzt im Ganzen etwa fünftehalb Tausend phane- rogame Pflanzen und davon machen die Rietgräser nur 1/27 aus; Lapplands Phanerogamen dagegen beschränken sich auf etwa 500 Arten und darunter ist 1/9 Rietgräser. Die letztern sind daher ein viel wesentlicherer Theil der Lappländischen Flora als der Französischen, jene hat relativ eine größere Anzahl Arten als diese. Nur dieses ist es was man unter Zunehmen der Arten, in einer bestimmten Richtung, versteht.
ſchaft ablegen zu können. Ganz Reſultat launenhafter Willkühr muß es uns aber erſcheinen, warum einzelne Pflanzen weit auf der Erde verbreitet ſind, während andere auf die kleinſten Flecke einge- ſchränkt leben müſſen, wie z. B. die ausſchließlich auf den Kärnthner Alpen vorkommende Wulfenie; warum einzelne Familien, wie die Compoſiten, über die ganze Erdevertheilt gedeihen, während andere, wie die Pfefferarten, die Palmen, nur zwiſchen ſehr beſtimmten Breitegraden zu beiden Seiten des Aequators, die Proteaceen nur auf der ſüdlichen Halbkugel, die Cactuspfanzen nur auf der weſt- lichen Hälfte der Erde ſich finden. Eben ſo wenig erklärlich iſt uns die Vertheilungs weiſe der Pflanzenfamilien. Während die Palmen- arten vom Aequator gegen die höheren Breiten abnehmen, erreichen die Compoſiten gerade in der mittleren Temperaturzone ihre höchſte Entwicklung, ihre Artenzahl nimmt von da nach beiden Seiten, ſo- wohl nach dem Aequator als nach den Polen zu, ab, während die Gräſer endlich ſtetig vom Aequator nach den Polen hin zunehmen.
Hier iſt aber noch eine eigenthümliche Betrachtungsweiſe her- vorzuheben, nach welcher man die Vertheilung der Familien zu beur- theilen pflegt.
Die Rietgräſer z. B. treten in der Flora von Frankreich mit 134 Arten auf, in der Flora von Lappland dagegen nur mit 55 Arten. Frankreich iſt alſo ohne Frage abſolut reicher an Arten als Lappland. Anders aber ſtellt ſich die Sache, wenn wir dieſe Pflanzen im Ver- hältniß zur ganzen Vegetation beider Länder betrachten und wenn es uns darauf ankommt, eben das Characteriſtiſche der Vegetationsge- biete aufzufaſſen, ſo dürfen wir nur dieſe Betrachtungsweiſe gelten laſſen. Frankreich beſitzt im Ganzen etwa fünftehalb Tauſend phane- rogame Pflanzen und davon machen die Rietgräſer nur 1/27 aus; Lapplands Phanerogamen dagegen beſchränken ſich auf etwa 500 Arten und darunter iſt 1/9 Rietgräſer. Die letztern ſind daher ein viel weſentlicherer Theil der Lappländiſchen Flora als der Franzöſiſchen, jene hat relativ eine größere Anzahl Arten als dieſe. Nur dieſes iſt es was man unter Zunehmen der Arten, in einer beſtimmten Richtung, verſteht.
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ſchaft ablegen zu können. Ganz Reſultat launenhafter Willkühr
muß es uns aber erſcheinen, warum einzelne Pflanzen weit auf der
Erde verbreitet ſind, während andere auf die kleinſten Flecke einge-
ſchränkt leben müſſen, wie z. B. die ausſchließlich auf den Kärnthner
Alpen vorkommende Wulfenie; warum einzelne Familien, wie die
Compoſiten, über die ganze Erdevertheilt gedeihen, während andere,
wie die Pfefferarten, die Palmen, nur zwiſchen ſehr beſtimmten
Breitegraden zu beiden Seiten des Aequators, die Proteaceen nur
auf der ſüdlichen Halbkugel, die Cactuspfanzen nur auf der weſt-
lichen Hälfte der Erde ſich finden. Eben ſo wenig erklärlich iſt uns die
Vertheilungs weiſe der Pflanzenfamilien. Während die Palmen-
arten vom Aequator gegen die höheren Breiten abnehmen, erreichen die
Compoſiten gerade in der mittleren Temperaturzone ihre höchſte
Entwicklung, ihre Artenzahl nimmt von da nach beiden Seiten, ſo-
wohl nach dem Aequator als nach den Polen zu, ab, während die
Gräſer endlich ſtetig vom Aequator nach den Polen hin zunehmen.
Hier iſt aber noch eine eigenthümliche Betrachtungsweiſe her-
vorzuheben, nach welcher man die Vertheilung der Familien zu beur-
theilen pflegt.
Die Rietgräſer z. B. treten in der Flora von Frankreich mit
134 Arten auf, in der Flora von Lappland dagegen nur mit 55 Arten.
Frankreich iſt alſo ohne Frage abſolut reicher an Arten als Lappland.
Anders aber ſtellt ſich die Sache, wenn wir dieſe Pflanzen im Ver-
hältniß zur ganzen Vegetation beider Länder betrachten und wenn es
uns darauf ankommt, eben das Characteriſtiſche der Vegetationsge-
biete aufzufaſſen, ſo dürfen wir nur dieſe Betrachtungsweiſe gelten
laſſen. Frankreich beſitzt im Ganzen etwa fünftehalb Tauſend phane-
rogame Pflanzen und davon machen die Rietgräſer nur 1/27 aus;
Lapplands Phanerogamen dagegen beſchränken ſich auf etwa 500
Arten und darunter iſt 1/9 Rietgräſer. Die letztern ſind daher ein viel
weſentlicherer Theil der Lappländiſchen Flora als der Franzöſiſchen, jene
hat relativ eine größere Anzahl Arten als dieſe. Nur dieſes iſt es was
man unter Zunehmen der Arten, in einer beſtimmten Richtung, verſteht.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/255>, abgerufen am 03.07.2024.
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