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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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sere Häupter niederbeugend. Unser Schicksal schien entschieden, die
ganze riesige Eismasse sank auf unser Schiff herab und mußte uns in
Stückchen zerschmettern. Wir alle fielen auf unsere Knie, still betend
und den entsetzlichen Augenblick erwartend; selbst der Steuermann
kniete, ohne aber das Steuerruder aus den Händen zu lassen. Schon war
der Eisfelsen halb übergebogen, als er sich durch eine ungleiche Schwere
seiner untergetauchten Theile drehte und in demselben Augenblick etwa
auf Kabellänge hinter unserm Spiegel ins Meer stürzte, das Wasser
in Schaummassen bis über die Mastspitzen schleudernd und uns
alle blendend durch die Gewalt, mit welcher die eisigen Tropfen in
unser Gesicht gespritzt wurden. Eine Minute lang schienen die Wogen
in ihrem Laufe gehemmt, die See schien zu kochen, das Schiff zitterte
und schwankte und selbst der Sturm schien gestört, denn die Segel
klapperten an den Masten und warfen das Eis ab, mit welchem sie
so lange bedeckt gewesen waren. Da brach plötzlich die Sonne durch
einen Wolkenriß und mit der eigenthümlichen Rosenfarbe des rothen
Schnees*) breitete sich vor uns eine weite Küste aus, die dem müden
Schiffer eine kurze Rast verhieß." --

Welche contrastirende Bilder führen uns diese Erzählungen vor,
wie muß es zum Nachdenken auffordern, wenn wir bemerken, daß in
jeder dieser drei Skitzen die Naturverhältnisse, Klima, Pflanzen und
Thierwelt solche sind, daß sie in einer der Andern gar nicht vorkommen
könnten. Ja die einzige Uebereinstimmung, die selbst dem Laien auf-
fiel, das Vorkommen eines unscheinbaren Blümchens unserer Wiesen,
gerade in dem eigenthümlichsten und fremdartigsten Lande, welches
wir bis jetzt auf der Erde haben kennen lernen, kann nur dazu bei-

sind noch mit einer beträchtlich größeren Masse eingetaucht. Diese letztere wird bald
von dem wärmern Wasser des Oceans aufgelößt und dann tritt ein Zeitpunct ein,
in welchem der ganze Eisberg sich überstürzt und sein unteres Ende über die Meeres-
fläche erhebt, während das bis dahin hervorragende Ende nunmehr eintaucht.
*) Auf dem frischgefallenen Schnee der Polargegenden und der höhern Alpen
siedelt sich nicht selten eine kleine microscopische Alge, der Protococcus nivalis, an,
welche nebst einigen kleinen Infusionsthierchen die rosenrothe Färbung oft ganzer
Schneefelder bedingt.

ſere Häupter niederbeugend. Unſer Schickſal ſchien entſchieden, die
ganze rieſige Eismaſſe ſank auf unſer Schiff herab und mußte uns in
Stuͤckchen zerſchmettern. Wir alle fielen auf unſere Knie, ſtill betend
und den entſetzlichen Augenblick erwartend; ſelbſt der Steuermann
kniete, ohne aber das Steuerruder aus den Händen zu laſſen. Schon war
der Eisfelſen halb übergebogen, als er ſich durch eine ungleiche Schwere
ſeiner untergetauchten Theile drehte und in demſelben Augenblick etwa
auf Kabellänge hinter unſerm Spiegel ins Meer ſtürzte, das Waſſer
in Schaummaſſen bis über die Maſtſpitzen ſchleudernd und uns
alle blendend durch die Gewalt, mit welcher die eiſigen Tropfen in
unſer Geſicht geſpritzt wurden. Eine Minute lang ſchienen die Wogen
in ihrem Laufe gehemmt, die See ſchien zu kochen, das Schiff zitterte
und ſchwankte und ſelbſt der Sturm ſchien geſtört, denn die Segel
klapperten an den Maſten und warfen das Eis ab, mit welchem ſie
ſo lange bedeckt geweſen waren. Da brach plötzlich die Sonne durch
einen Wolkenriß und mit der eigenthümlichen Roſenfarbe des rothen
Schnees*) breitete ſich vor uns eine weite Küſte aus, die dem müden
Schiffer eine kurze Raſt verhieß.“ —

Welche contraſtirende Bilder führen uns dieſe Erzählungen vor,
wie muß es zum Nachdenken auffordern, wenn wir bemerken, daß in
jeder dieſer drei Skitzen die Naturverhältniſſe, Klima, Pflanzen und
Thierwelt ſolche ſind, daß ſie in einer der Andern gar nicht vorkommen
könnten. Ja die einzige Uebereinſtimmung, die ſelbſt dem Laien auf-
fiel, das Vorkommen eines unſcheinbaren Blümchens unſerer Wieſen,
gerade in dem eigenthümlichſten und fremdartigſten Lande, welches
wir bis jetzt auf der Erde haben kennen lernen, kann nur dazu bei-

ſind noch mit einer beträchtlich größeren Maſſe eingetaucht. Dieſe letztere wird bald
von dem wärmern Waſſer des Oceans aufgelößt und dann tritt ein Zeitpunct ein,
in welchem der ganze Eisberg ſich überſtürzt und ſein unteres Ende über die Meeres-
fläche erhebt, während das bis dahin hervorragende Ende nunmehr eintaucht.
*) Auf dem friſchgefallenen Schnee der Polargegenden und der höhern Alpen
ſiedelt ſich nicht ſelten eine kleine microſcopiſche Alge, der Protococcus nivalis, an,
welche nebſt einigen kleinen Infuſionsthierchen die roſenrothe Färbung oft ganzer
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[217/0233] ſere Häupter niederbeugend. Unſer Schickſal ſchien entſchieden, die ganze rieſige Eismaſſe ſank auf unſer Schiff herab und mußte uns in Stuͤckchen zerſchmettern. Wir alle fielen auf unſere Knie, ſtill betend und den entſetzlichen Augenblick erwartend; ſelbſt der Steuermann kniete, ohne aber das Steuerruder aus den Händen zu laſſen. Schon war der Eisfelſen halb übergebogen, als er ſich durch eine ungleiche Schwere ſeiner untergetauchten Theile drehte und in demſelben Augenblick etwa auf Kabellänge hinter unſerm Spiegel ins Meer ſtürzte, das Waſſer in Schaummaſſen bis über die Maſtſpitzen ſchleudernd und uns alle blendend durch die Gewalt, mit welcher die eiſigen Tropfen in unſer Geſicht geſpritzt wurden. Eine Minute lang ſchienen die Wogen in ihrem Laufe gehemmt, die See ſchien zu kochen, das Schiff zitterte und ſchwankte und ſelbſt der Sturm ſchien geſtört, denn die Segel klapperten an den Maſten und warfen das Eis ab, mit welchem ſie ſo lange bedeckt geweſen waren. Da brach plötzlich die Sonne durch einen Wolkenriß und mit der eigenthümlichen Roſenfarbe des rothen Schnees *) breitete ſich vor uns eine weite Küſte aus, die dem müden Schiffer eine kurze Raſt verhieß.“ — Welche contraſtirende Bilder führen uns dieſe Erzählungen vor, wie muß es zum Nachdenken auffordern, wenn wir bemerken, daß in jeder dieſer drei Skitzen die Naturverhältniſſe, Klima, Pflanzen und Thierwelt ſolche ſind, daß ſie in einer der Andern gar nicht vorkommen könnten. Ja die einzige Uebereinſtimmung, die ſelbſt dem Laien auf- fiel, das Vorkommen eines unſcheinbaren Blümchens unſerer Wieſen, gerade in dem eigenthümlichſten und fremdartigſten Lande, welches wir bis jetzt auf der Erde haben kennen lernen, kann nur dazu bei- *) *) Auf dem friſchgefallenen Schnee der Polargegenden und der höhern Alpen ſiedelt ſich nicht ſelten eine kleine microſcopiſche Alge, der Protococcus nivalis, an, welche nebſt einigen kleinen Infuſionsthierchen die roſenrothe Färbung oft ganzer Schneefelder bedingt. *) ſind noch mit einer beträchtlich größeren Maſſe eingetaucht. Dieſe letztere wird bald von dem wärmern Waſſer des Oceans aufgelößt und dann tritt ein Zeitpunct ein, in welchem der ganze Eisberg ſich überſtürzt und ſein unteres Ende über die Meeres- fläche erhebt, während das bis dahin hervorragende Ende nunmehr eintaucht.

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/233>, abgerufen am 23.11.2024.