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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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erkennen, daß die ganze Thierwelt zunächst von der Pflanzenwelt lebt,
entweder unmittelbar durch die Pflanzennahrung, oder mittelbar,
indem die Pflanzenfresser die eigentlichen Nahrungsstoffe aus den
Pflanzen für die Fleischfresser sammeln, die stickstofffreien Respirations-
mittel aber als Fett ablagern. Aber hier finden wir keinen Abschluß und
die Frage wirft sich uns von selbst auf, wovon lebt denn die Pflanze?

Die Beantwortung dieser Frage umfaßt den Gegenstand der leb-
haftesten Debatte, welche in neuerer Zeit in der Wissenschaft geführt
worden ist, sie umfaßt die Theorie des wichtigsten Gewerbes, welches
der Mensch erfunden hat, nämlich des Ackerbaues. Die richtige Be-
antwortung dieser Frage findet sich schon theilweise in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts bei Pflanzenphysiologen und Chemikern, wurde
seitdem immer genauer von Einzelnen entwickelt, aber erst in neuerer
Zeit durch Liebig mit einer Lebendigkeit und Klarheit geltend gemacht,
daß sie sogleich einen lebhaften allgemeinen Kampf erregte, der damit
endigen wird, daß die richtige Grundlage allgemein anerkannt und
als neu gefundener Buchstabe dem ABC der Wissenschaft hinzuge-
fügt wird.

Zunächst müssen wir hier fragen, woraus besteht die Pflanze?
Sehen wir vorläufig, wie wir auch beim Thiere gethan, von den un-
organischen Bestandtheilen, den Erden und Salzen, ab, so ist die Ant-
wort schon gegeben durch die beiden oben aufgestellten Reihen. Der
Körper der Pflanze aber ist aufgebaut aus stickstofffreien Bestandtheilen,
nämlich aus Zellstoff und Pflanzengallerte, welche mit den an-
dern Stoffen, Zucker, Gummi, Stärkemehlganz gleich zusammen-
gesetzt sind und sich von den Fett- und Wachsarten nur durch ein
geringeres Verhältniß des Sauerstoffs in letzterem unterscheiden. Da-
neben aber bedarf die Pflanze der stickstoffhaltigen Bestandtheile nicht
sowohl um ihren Körper aufzubauen, sondern um den chemischen
Proceß zu veranlassen, durch welchen die Umbildung der aufgenom-
menen Nahrungsstoffe erfolgt. Die Frage nach der Ernährung der
Pflanze umfaßt also die Frage nach dem Ursprunge des Kohlenstoffs
und Stickstoffs, indem für Wasserstoff und Sauerstoff durch Wasser

erkennen, daß die ganze Thierwelt zunächſt von der Pflanzenwelt lebt,
entweder unmittelbar durch die Pflanzennahrung, oder mittelbar,
indem die Pflanzenfreſſer die eigentlichen Nahrungsſtoffe aus den
Pflanzen für die Fleiſchfreſſer ſammeln, die ſtickſtofffreien Reſpirations-
mittel aber als Fett ablagern. Aber hier finden wir keinen Abſchluß und
die Frage wirft ſich uns von ſelbſt auf, wovon lebt denn die Pflanze?

Die Beantwortung dieſer Frage umfaßt den Gegenſtand der leb-
hafteſten Debatte, welche in neuerer Zeit in der Wiſſenſchaft geführt
worden iſt, ſie umfaßt die Theorie des wichtigſten Gewerbes, welches
der Menſch erfunden hat, nämlich des Ackerbaues. Die richtige Be-
antwortung dieſer Frage findet ſich ſchon theilweiſe in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts bei Pflanzenphyſiologen und Chemikern, wurde
ſeitdem immer genauer von Einzelnen entwickelt, aber erſt in neuerer
Zeit durch Liebig mit einer Lebendigkeit und Klarheit geltend gemacht,
daß ſie ſogleich einen lebhaften allgemeinen Kampf erregte, der damit
endigen wird, daß die richtige Grundlage allgemein anerkannt und
als neu gefundener Buchſtabe dem ABC der Wiſſenſchaft hinzuge-
fügt wird.

Zunächſt müſſen wir hier fragen, woraus beſteht die Pflanze?
Sehen wir vorläufig, wie wir auch beim Thiere gethan, von den un-
organiſchen Beſtandtheilen, den Erden und Salzen, ab, ſo iſt die Ant-
wort ſchon gegeben durch die beiden oben aufgeſtellten Reihen. Der
Körper der Pflanze aber iſt aufgebaut aus ſtickſtofffreien Beſtandtheilen,
nämlich aus Zellſtoff und Pflanzengallerte, welche mit den an-
dern Stoffen, Zucker, Gummi, Stärkemehlganz gleich zuſammen-
geſetzt ſind und ſich von den Fett- und Wachsarten nur durch ein
geringeres Verhältniß des Sauerſtoffs in letzterem unterſcheiden. Da-
neben aber bedarf die Pflanze der ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile nicht
ſowohl um ihren Körper aufzubauen, ſondern um den chemiſchen
Proceß zu veranlaſſen, durch welchen die Umbildung der aufgenom-
menen Nahrungsſtoffe erfolgt. Die Frage nach der Ernährung der
Pflanze umfaßt alſo die Frage nach dem Urſprunge des Kohlenſtoffs
und Stickſtoffs, indem für Waſſerſtoff und Sauerſtoff durch Waſſer

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[139/0155] erkennen, daß die ganze Thierwelt zunächſt von der Pflanzenwelt lebt, entweder unmittelbar durch die Pflanzennahrung, oder mittelbar, indem die Pflanzenfreſſer die eigentlichen Nahrungsſtoffe aus den Pflanzen für die Fleiſchfreſſer ſammeln, die ſtickſtofffreien Reſpirations- mittel aber als Fett ablagern. Aber hier finden wir keinen Abſchluß und die Frage wirft ſich uns von ſelbſt auf, wovon lebt denn die Pflanze? Die Beantwortung dieſer Frage umfaßt den Gegenſtand der leb- hafteſten Debatte, welche in neuerer Zeit in der Wiſſenſchaft geführt worden iſt, ſie umfaßt die Theorie des wichtigſten Gewerbes, welches der Menſch erfunden hat, nämlich des Ackerbaues. Die richtige Be- antwortung dieſer Frage findet ſich ſchon theilweiſe in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bei Pflanzenphyſiologen und Chemikern, wurde ſeitdem immer genauer von Einzelnen entwickelt, aber erſt in neuerer Zeit durch Liebig mit einer Lebendigkeit und Klarheit geltend gemacht, daß ſie ſogleich einen lebhaften allgemeinen Kampf erregte, der damit endigen wird, daß die richtige Grundlage allgemein anerkannt und als neu gefundener Buchſtabe dem ABC der Wiſſenſchaft hinzuge- fügt wird. Zunächſt müſſen wir hier fragen, woraus beſteht die Pflanze? Sehen wir vorläufig, wie wir auch beim Thiere gethan, von den un- organiſchen Beſtandtheilen, den Erden und Salzen, ab, ſo iſt die Ant- wort ſchon gegeben durch die beiden oben aufgeſtellten Reihen. Der Körper der Pflanze aber iſt aufgebaut aus ſtickſtofffreien Beſtandtheilen, nämlich aus Zellſtoff und Pflanzengallerte, welche mit den an- dern Stoffen, Zucker, Gummi, Stärkemehlganz gleich zuſammen- geſetzt ſind und ſich von den Fett- und Wachsarten nur durch ein geringeres Verhältniß des Sauerſtoffs in letzterem unterſcheiden. Da- neben aber bedarf die Pflanze der ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile nicht ſowohl um ihren Körper aufzubauen, ſondern um den chemiſchen Proceß zu veranlaſſen, durch welchen die Umbildung der aufgenom- menen Nahrungsſtoffe erfolgt. Die Frage nach der Ernährung der Pflanze umfaßt alſo die Frage nach dem Urſprunge des Kohlenſtoffs und Stickſtoffs, indem für Waſſerſtoff und Sauerſtoff durch Waſſer

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/155>, abgerufen am 04.05.2024.