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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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In dieser letzten großen Abtheilung der Pflanzen endlich ist es
besonders die Blüthenbildung, welche unsere Aufmerksamkeit auf sich
zieht. Auch hierin lassen sich die Grundzüge einer Stufenleiter nicht
verkennen, jedoch muß man hier noch eine andere Besonderheit vor-
her ins Auge fassen, welche die ganze Menge der hierher gehörigen
Pflanzen gleichsam in zwei parallele Entwicklungsreihen vertheilt.
Wenn sich aus der Fortpflanzungszelle allmälig die Keimpflanze ent-
wickelt, so bildet sich an dem natürlich zuerst entstehenden Axenkör-
per entweder Ein erstes Blatt, welches die ganze Pflanzenaxe schei-
denförmig umfaßt, und im obern Theile ganz einhüllt, oder es bil-
den sich gleichzeitig und auf gleicher Höhe an der Stengelgrundlage
Zwei erste Blätter, welche sich in den Umfang theilen und den
obern Theil der Keimpflanze zwischen sich einschließen. Die erste Reihe
nennt man die Einsaamenlappigen oder Monocotyledo-
nen
, zu denen zum Beispiel alle Lilien-ähnliche Pflanzen, die Palmen,
Gräser und Rietgräser gerechnet werden, die andere die Zweisaa-
menlappigen
oder Dicotyledonen, wofür unsere gewöhnlich-
sten Gartenpflanzen und Laubbäume als Beispiele dienen können. --
Die Pflanzen beider Reihen weichen aber nicht nur in diesem schein-
bar untergeordneten Merkmale, sondern auch in ihrer ganzen übri-
gen Organisation wesentlich von einander ab und unterscheiden sich
selbst so auffallend in ihrer äußeren Erscheinungsweise, daß ein ei-
nigermaßen geübtes Auge sie leicht auf den ersten Blick erkennt. --
Die Ersten haben meist im Stengel zerstreute, Fasern ähnliche Holz-
bündel, wie der Maisstengel, die andern einen festgeschloßnen
Holzkreis, wie die Weide; die ersteren haben gewöhnlich Blätter mit
einfachen parallelen Längsadern, wie die Gräser, die andern Adern,
die sich baumartig verzweigen und so ein zierliches Netz auf der Blatt-
fläche bilden, wie bei der Linde; endlich finden wir in den Blüthentheilen
der ersteren häufig die Dreizahl vorherrschend, wie bei der Tulpe, bei
den letzteren dagegen die Fünfzahl, wie bei der Primel. Diese beiden
Reihen schreiten nun parallel neben einander, und was im Folgenden
über die Blüthenbildung gesagt ist, gilt für beide in gleicher Weise. --

In dieſer letzten großen Abtheilung der Pflanzen endlich iſt es
beſonders die Blüthenbildung, welche unſere Aufmerkſamkeit auf ſich
zieht. Auch hierin laſſen ſich die Grundzüge einer Stufenleiter nicht
verkennen, jedoch muß man hier noch eine andere Beſonderheit vor-
her ins Auge faſſen, welche die ganze Menge der hierher gehörigen
Pflanzen gleichſam in zwei parallele Entwicklungsreihen vertheilt.
Wenn ſich aus der Fortpflanzungszelle allmälig die Keimpflanze ent-
wickelt, ſo bildet ſich an dem natürlich zuerſt entſtehenden Axenkör-
per entweder Ein erſtes Blatt, welches die ganze Pflanzenaxe ſchei-
denförmig umfaßt, und im obern Theile ganz einhüllt, oder es bil-
den ſich gleichzeitig und auf gleicher Höhe an der Stengelgrundlage
Zwei erſte Blätter, welche ſich in den Umfang theilen und den
obern Theil der Keimpflanze zwiſchen ſich einſchließen. Die erſte Reihe
nennt man die Einſaamenlappigen oder Monocotyledo-
nen
, zu denen zum Beiſpiel alle Lilien-ähnliche Pflanzen, die Palmen,
Gräſer und Rietgräſer gerechnet werden, die andere die Zweiſaa-
menlappigen
oder Dicotyledonen, wofür unſere gewöhnlich-
ſten Gartenpflanzen und Laubbäume als Beiſpiele dienen können. —
Die Pflanzen beider Reihen weichen aber nicht nur in dieſem ſchein-
bar untergeordneten Merkmale, ſondern auch in ihrer ganzen übri-
gen Organiſation weſentlich von einander ab und unterſcheiden ſich
ſelbſt ſo auffallend in ihrer äußeren Erſcheinungsweiſe, daß ein ei-
nigermaßen geübtes Auge ſie leicht auf den erſten Blick erkennt. —
Die Erſten haben meiſt im Stengel zerſtreute, Faſern ähnliche Holz-
bündel, wie der Maisſtengel, die andern einen feſtgeſchloßnen
Holzkreis, wie die Weide; die erſteren haben gewöhnlich Blätter mit
einfachen parallelen Längsadern, wie die Gräſer, die andern Adern,
die ſich baumartig verzweigen und ſo ein zierliches Netz auf der Blatt-
fläche bilden, wie bei der Linde; endlich finden wir in den Blüthentheilen
der erſteren häufig die Dreizahl vorherrſchend, wie bei der Tulpe, bei
den letzteren dagegen die Fünfzahl, wie bei der Primel. Dieſe beiden
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über die Blüthenbildung geſagt iſt, gilt für beide in gleicher Weiſe. —

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[98/0114] In dieſer letzten großen Abtheilung der Pflanzen endlich iſt es beſonders die Blüthenbildung, welche unſere Aufmerkſamkeit auf ſich zieht. Auch hierin laſſen ſich die Grundzüge einer Stufenleiter nicht verkennen, jedoch muß man hier noch eine andere Beſonderheit vor- her ins Auge faſſen, welche die ganze Menge der hierher gehörigen Pflanzen gleichſam in zwei parallele Entwicklungsreihen vertheilt. Wenn ſich aus der Fortpflanzungszelle allmälig die Keimpflanze ent- wickelt, ſo bildet ſich an dem natürlich zuerſt entſtehenden Axenkör- per entweder Ein erſtes Blatt, welches die ganze Pflanzenaxe ſchei- denförmig umfaßt, und im obern Theile ganz einhüllt, oder es bil- den ſich gleichzeitig und auf gleicher Höhe an der Stengelgrundlage Zwei erſte Blätter, welche ſich in den Umfang theilen und den obern Theil der Keimpflanze zwiſchen ſich einſchließen. Die erſte Reihe nennt man die Einſaamenlappigen oder Monocotyledo- nen, zu denen zum Beiſpiel alle Lilien-ähnliche Pflanzen, die Palmen, Gräſer und Rietgräſer gerechnet werden, die andere die Zweiſaa- menlappigen oder Dicotyledonen, wofür unſere gewöhnlich- ſten Gartenpflanzen und Laubbäume als Beiſpiele dienen können. — Die Pflanzen beider Reihen weichen aber nicht nur in dieſem ſchein- bar untergeordneten Merkmale, ſondern auch in ihrer ganzen übri- gen Organiſation weſentlich von einander ab und unterſcheiden ſich ſelbſt ſo auffallend in ihrer äußeren Erſcheinungsweiſe, daß ein ei- nigermaßen geübtes Auge ſie leicht auf den erſten Blick erkennt. — Die Erſten haben meiſt im Stengel zerſtreute, Faſern ähnliche Holz- bündel, wie der Maisſtengel, die andern einen feſtgeſchloßnen Holzkreis, wie die Weide; die erſteren haben gewöhnlich Blätter mit einfachen parallelen Längsadern, wie die Gräſer, die andern Adern, die ſich baumartig verzweigen und ſo ein zierliches Netz auf der Blatt- fläche bilden, wie bei der Linde; endlich finden wir in den Blüthentheilen der erſteren häufig die Dreizahl vorherrſchend, wie bei der Tulpe, bei den letzteren dagegen die Fünfzahl, wie bei der Primel. Dieſe beiden Reihen ſchreiten nun parallel neben einander, und was im Folgenden über die Blüthenbildung geſagt iſt, gilt für beide in gleicher Weiſe. —

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/114>, abgerufen am 06.05.2024.