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Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

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Zweite Vorlesung.
wir hier nun in sehr rascher Weise in Folge unserer absichtlichen Ein¬
griffe unter unseren Augen vor sich gehen sehen, mußte sich ebenso in
der Geschichte der Organismen auf der Erde vollziehen, nur langsamer
in den langen Zeiträumen, in welchen sich allmählich Boden, Verhält¬
nisse von Land und Wasser, Temperatur und Atmosphäre änderten;
der langsamere Proceß in vieltausendjähriger Dauer bringt zwar au¬
genblicklich weniger sichtbare, aber mit der Zeit auch desto eindringen¬
dere und gewaltigere Abänderungen hervor. Dazu kommt die Möglich¬
keit der Bastardbildung zwischen verschiedenen Geschöpfen, wozu die
Gelegenheit in der Natur vielleicht seltener als in unseren Ställen ge¬
geben, aber doch auch keineswegs ausgeschlossen ist. Endlich ist hier
noch zu erwähnen, daß bei vielen niederen Organismen und wahr¬
scheinlich in älteren geologischen Perioden noch häufiger und ausgebrei¬
teter als jetzt, die Nachkommenschaft der ersten Generation so sehr vom
mütterlichen Artcharakter abweicht, daß man versucht wird, dieselbe so¬
gar in ganz andere Ordnungen und Classen zu versetzen und daß die¬
selbe erst nach mehreren Generationen, wenn nämlich die Bedingungen
dazu günstig sind, zum Stammtypus zurückkehrt, -- ein Vorgang, den
sein erster genauer Beobachter, Steenstrup, mit dem Namen des
Generationswechsels belegt hat.

Aus dieser skizzirten Darstellung wird man leicht abnehmen kön¬
nen, wie unter Berücksichtigung bekannter Naturgesetze und ganz be¬
kannter Erscheinungen sich die allmähliche Entwicklung neuer organi¬
scher Formen aus schon vorhandenen mit größter Leichtigkeit erklären
läßt, ohne daß man zu unbegründeten Hypothesen und zu naturwissen¬
schaftlich unbrauchbaren und verwerflichen Anschauungsweisen seine Zu¬
flucht nehmen müßte. Dies sind die Ansichten, die ich seit mehr als 15
Jahren in Schriften und Vorträgen vertreten habe. Ich habe nie daran
gezweifelt und nie daran zweifeln können, daß die in der geologischen
Geschichte unserer Erde allmählich nach einander auftretenden Formen
der Organismen auf naturgesetzlichem Wege von vorhergegange¬
nen Formen abzuleiten seien und deshalb konnte ich auch nicht einen

Zweite Vorleſung.
wir hier nun in ſehr raſcher Weiſe in Folge unſerer abſichtlichen Ein¬
griffe unter unſeren Augen vor ſich gehen ſehen, mußte ſich ebenſo in
der Geſchichte der Organismen auf der Erde vollziehen, nur langſamer
in den langen Zeiträumen, in welchen ſich allmählich Boden, Verhält¬
niſſe von Land und Waſſer, Temperatur und Atmoſphäre änderten;
der langſamere Proceß in vieltauſendjähriger Dauer bringt zwar au¬
genblicklich weniger ſichtbare, aber mit der Zeit auch deſto eindringen¬
dere und gewaltigere Abänderungen hervor. Dazu kommt die Möglich¬
keit der Baſtardbildung zwiſchen verſchiedenen Geſchöpfen, wozu die
Gelegenheit in der Natur vielleicht ſeltener als in unſeren Ställen ge¬
geben, aber doch auch keineswegs ausgeſchloſſen iſt. Endlich iſt hier
noch zu erwähnen, daß bei vielen niederen Organismen und wahr¬
ſcheinlich in älteren geologiſchen Perioden noch häufiger und ausgebrei¬
teter als jetzt, die Nachkommenſchaft der erſten Generation ſo ſehr vom
mütterlichen Artcharakter abweicht, daß man verſucht wird, dieſelbe ſo¬
gar in ganz andere Ordnungen und Claſſen zu verſetzen und daß die¬
ſelbe erſt nach mehreren Generationen, wenn nämlich die Bedingungen
dazu günſtig ſind, zum Stammtypus zurückkehrt, — ein Vorgang, den
ſein erſter genauer Beobachter, Steenſtrup, mit dem Namen des
Generationswechſels belegt hat.

Aus dieſer ſkizzirten Darſtellung wird man leicht abnehmen kön¬
nen, wie unter Berückſichtigung bekannter Naturgeſetze und ganz be¬
kannter Erſcheinungen ſich die allmähliche Entwicklung neuer organi¬
ſcher Formen aus ſchon vorhandenen mit größter Leichtigkeit erklären
läßt, ohne daß man zu unbegründeten Hypotheſen und zu naturwiſſen¬
ſchaftlich unbrauchbaren und verwerflichen Anſchauungsweiſen ſeine Zu¬
flucht nehmen müßte. Dies ſind die Anſichten, die ich ſeit mehr als 15
Jahren in Schriften und Vorträgen vertreten habe. Ich habe nie daran
gezweifelt und nie daran zweifeln können, daß die in der geologiſchen
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der Organismen auf naturgeſetzlichem Wege von vorhergegange¬
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[30/0040] Zweite Vorleſung. wir hier nun in ſehr raſcher Weiſe in Folge unſerer abſichtlichen Ein¬ griffe unter unſeren Augen vor ſich gehen ſehen, mußte ſich ebenſo in der Geſchichte der Organismen auf der Erde vollziehen, nur langſamer in den langen Zeiträumen, in welchen ſich allmählich Boden, Verhält¬ niſſe von Land und Waſſer, Temperatur und Atmoſphäre änderten; der langſamere Proceß in vieltauſendjähriger Dauer bringt zwar au¬ genblicklich weniger ſichtbare, aber mit der Zeit auch deſto eindringen¬ dere und gewaltigere Abänderungen hervor. Dazu kommt die Möglich¬ keit der Baſtardbildung zwiſchen verſchiedenen Geſchöpfen, wozu die Gelegenheit in der Natur vielleicht ſeltener als in unſeren Ställen ge¬ geben, aber doch auch keineswegs ausgeſchloſſen iſt. Endlich iſt hier noch zu erwähnen, daß bei vielen niederen Organismen und wahr¬ ſcheinlich in älteren geologiſchen Perioden noch häufiger und ausgebrei¬ teter als jetzt, die Nachkommenſchaft der erſten Generation ſo ſehr vom mütterlichen Artcharakter abweicht, daß man verſucht wird, dieſelbe ſo¬ gar in ganz andere Ordnungen und Claſſen zu verſetzen und daß die¬ ſelbe erſt nach mehreren Generationen, wenn nämlich die Bedingungen dazu günſtig ſind, zum Stammtypus zurückkehrt, — ein Vorgang, den ſein erſter genauer Beobachter, Steenſtrup, mit dem Namen des Generationswechſels belegt hat. Aus dieſer ſkizzirten Darſtellung wird man leicht abnehmen kön¬ nen, wie unter Berückſichtigung bekannter Naturgeſetze und ganz be¬ kannter Erſcheinungen ſich die allmähliche Entwicklung neuer organi¬ ſcher Formen aus ſchon vorhandenen mit größter Leichtigkeit erklären läßt, ohne daß man zu unbegründeten Hypotheſen und zu naturwiſſen¬ ſchaftlich unbrauchbaren und verwerflichen Anſchauungsweiſen ſeine Zu¬ flucht nehmen müßte. Dies ſind die Anſichten, die ich ſeit mehr als 15 Jahren in Schriften und Vorträgen vertreten habe. Ich habe nie daran gezweifelt und nie daran zweifeln können, daß die in der geologiſchen Geſchichte unſerer Erde allmählich nach einander auftretenden Formen der Organismen auf naturgeſetzlichem Wege von vorhergegange¬ nen Formen abzuleiten ſeien und deshalb konnte ich auch nicht einen

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/40>, abgerufen am 22.11.2024.