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Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

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Ueber die Entstehung der Arten.
mußte die eine Hälfte jenes Vorurtheils allerdings fallen. Nur noch
höchst bornirte oder höchst unwissende Menschen, leider giebt es auch
jetzt noch Einige dergleichen, konnten noch an dem Gedanken der Be¬
ständigkeit der Arten festhalten. Gleichwohl wurde dieser Schluß lange
nicht mit ausdrücklichen Worten gezogen und man umging die durch
geognostische Entdeckungen der alten verkehrten Ansicht bereiteten Schwie¬
rigkeiten mit Hülfe des Vortheils, den die Sache jedem anbietet, der
sich oder Anderen die Wahrheit verbergen und das Falsche plausibel
machen will. --

Wenn die Geognosten uns erzählen: "am Schlusse der paläozoi¬
schen Epoche gingen alle vorhandenen Pflanzen und Thiere zu Grunde
und im Beginn der mesozoischen Epoche "entstanden" neue, die end¬
lich im Anfang der känozoischen Epoche der noch jetzt uns umgebenden
Pflanzen- und Thierwelt Platz machten", -- so rechnet der Geognost
entschieden auf die Dummheit der Menschen, die sich mit dem Worte
"entstanden" begnügen und nicht nach dem "wie" fragen. Diese
Frage mußte aber zuletzt gestellt und beantwortet werden. Sobald die
Geognosie eine gewisse Stufe der Ausbildung erreicht hatte, lag die
Sache so: "In den verschiedenen Perioden der Erdbildung sind auch
die Thier- und Pflanzenarten verschieden; keine der jetzt auf der Erde
vorhandenen Thier- und Pflanzenformen reicht über den Beginn der
Tertiärepoche, also über eine geognostisch gesprochen sehr kurze Vergan¬
genheit hinaus rückwärts, älter ist keine jetzt vorhandene Art; mit wie¬
derholten Schöpfungen, wie sie noch am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts Kirwan annahm und darüber von dem berühmten Theologen
Pott zurecht gewiesen wurde, ist es nichts; unsere heiligen Bücher
kennen nur eine einmalige Schöpfung und ein Naturforscher hat auf
seinem Gebiete nicht einmal mit dieser Einen etwas zu thun, denn
sein Gebiet ist das des wissenschaftlich Begreifbaren, nicht das der
gläubigen Ueberzeugung; wenn sich der Geognost also wiederholte Schö¬
pfungen selbst erfindet, so ist er ein Thor, der sich selbst nicht versteht;
wenn neue Arten im Laufe der Erdgeschichte aufgetreten sind, und das

Ueber die Entſtehung der Arten.
mußte die eine Hälfte jenes Vorurtheils allerdings fallen. Nur noch
höchſt bornirte oder höchſt unwiſſende Menſchen, leider giebt es auch
jetzt noch Einige dergleichen, konnten noch an dem Gedanken der Be¬
ſtändigkeit der Arten feſthalten. Gleichwohl wurde dieſer Schluß lange
nicht mit ausdrücklichen Worten gezogen und man umging die durch
geognoſtiſche Entdeckungen der alten verkehrten Anſicht bereiteten Schwie¬
rigkeiten mit Hülfe des Vortheils, den die Sache jedem anbietet, der
ſich oder Anderen die Wahrheit verbergen und das Falſche plauſibel
machen will. —

Wenn die Geognoſten uns erzählen: „am Schluſſe der paläozoi¬
ſchen Epoche gingen alle vorhandenen Pflanzen und Thiere zu Grunde
und im Beginn der meſozoiſchen Epoche „entſtanden“ neue, die end¬
lich im Anfang der känozoiſchen Epoche der noch jetzt uns umgebenden
Pflanzen- und Thierwelt Platz machten“, — ſo rechnet der Geognoſt
entſchieden auf die Dummheit der Menſchen, die ſich mit dem Worte
entſtanden“ begnügen und nicht nach dem „wie“ fragen. Dieſe
Frage mußte aber zuletzt geſtellt und beantwortet werden. Sobald die
Geognoſie eine gewiſſe Stufe der Ausbildung erreicht hatte, lag die
Sache ſo: „In den verſchiedenen Perioden der Erdbildung ſind auch
die Thier- und Pflanzenarten verſchieden; keine der jetzt auf der Erde
vorhandenen Thier- und Pflanzenformen reicht über den Beginn der
Tertiärepoche, alſo über eine geognoſtiſch geſprochen ſehr kurze Vergan¬
genheit hinaus rückwärts, älter iſt keine jetzt vorhandene Art; mit wie¬
derholten Schöpfungen, wie ſie noch am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts Kirwan annahm und darüber von dem berühmten Theologen
Pott zurecht gewieſen wurde, iſt es nichts; unſere heiligen Bücher
kennen nur eine einmalige Schöpfung und ein Naturforſcher hat auf
ſeinem Gebiete nicht einmal mit dieſer Einen etwas zu thun, denn
ſein Gebiet iſt das des wiſſenſchaftlich Begreifbaren, nicht das der
gläubigen Ueberzeugung; wenn ſich der Geognoſt alſo wiederholte Schö¬
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[27/0037] Ueber die Entſtehung der Arten. mußte die eine Hälfte jenes Vorurtheils allerdings fallen. Nur noch höchſt bornirte oder höchſt unwiſſende Menſchen, leider giebt es auch jetzt noch Einige dergleichen, konnten noch an dem Gedanken der Be¬ ſtändigkeit der Arten feſthalten. Gleichwohl wurde dieſer Schluß lange nicht mit ausdrücklichen Worten gezogen und man umging die durch geognoſtiſche Entdeckungen der alten verkehrten Anſicht bereiteten Schwie¬ rigkeiten mit Hülfe des Vortheils, den die Sache jedem anbietet, der ſich oder Anderen die Wahrheit verbergen und das Falſche plauſibel machen will. — Wenn die Geognoſten uns erzählen: „am Schluſſe der paläozoi¬ ſchen Epoche gingen alle vorhandenen Pflanzen und Thiere zu Grunde und im Beginn der meſozoiſchen Epoche „entſtanden“ neue, die end¬ lich im Anfang der känozoiſchen Epoche der noch jetzt uns umgebenden Pflanzen- und Thierwelt Platz machten“, — ſo rechnet der Geognoſt entſchieden auf die Dummheit der Menſchen, die ſich mit dem Worte „entſtanden“ begnügen und nicht nach dem „wie“ fragen. Dieſe Frage mußte aber zuletzt geſtellt und beantwortet werden. Sobald die Geognoſie eine gewiſſe Stufe der Ausbildung erreicht hatte, lag die Sache ſo: „In den verſchiedenen Perioden der Erdbildung ſind auch die Thier- und Pflanzenarten verſchieden; keine der jetzt auf der Erde vorhandenen Thier- und Pflanzenformen reicht über den Beginn der Tertiärepoche, alſo über eine geognoſtiſch geſprochen ſehr kurze Vergan¬ genheit hinaus rückwärts, älter iſt keine jetzt vorhandene Art; mit wie¬ derholten Schöpfungen, wie ſie noch am Ende des vorigen Jahrhun¬ derts Kirwan annahm und darüber von dem berühmten Theologen Pott zurecht gewieſen wurde, iſt es nichts; unſere heiligen Bücher kennen nur eine einmalige Schöpfung und ein Naturforſcher hat auf ſeinem Gebiete nicht einmal mit dieſer Einen etwas zu thun, denn ſein Gebiet iſt das des wiſſenſchaftlich Begreifbaren, nicht das der gläubigen Ueberzeugung; wenn ſich der Geognoſt alſo wiederholte Schö¬ pfungen ſelbſt erfindet, ſo iſt er ein Thor, der ſich ſelbſt nicht verſteht; wenn neue Arten im Laufe der Erdgeſchichte aufgetreten ſind, und das

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/37>, abgerufen am 22.11.2024.