Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

geistig gewesen, und so hätte es auch
bleiben sollen. Aber eben weil es
so zart war, mußte mit der feinsten
Blüthe alles verloren gehn, als die
Gelegenheit es gab, daß einer dem
andern Dienste leistete. Da geriethen
sie in Wettstreite von Großmuth und
Dankbarkeit und fingen endlich an,
in der geheimsten Tiefe der Seele
irrdische Forderungen an sich zu ma-
chen und zu vergleichen.

Bald hatte der Zufall ohne Scho-
nung aufgelöst, was nur durch
Willkühr leidenschaftlich verbunden
war. Immer mehr und mehr ge-
rieth Julius in einen Zustand, der
von der Verrückung nur dadurch
verschieden war, daß es einigermaßen
auf ihn ankam, wann und wie weit

geiſtig geweſen, und ſo hätte es auch
bleiben ſollen. Aber eben weil es
ſo zart war, mußte mit der feinſten
Blüthe alles verloren gehn, als die
Gelegenheit es gab, daß einer dem
andern Dienſte leiſtete. Da geriethen
ſie in Wettſtreite von Großmuth und
Dankbarkeit und fingen endlich an,
in der geheimſten Tiefe der Seele
irrdiſche Forderungen an ſich zu ma-
chen und zu vergleichen.

Bald hatte der Zufall ohne Scho-
nung aufgelöſt, was nur durch
Willkühr leidenſchaftlich verbunden
war. Immer mehr und mehr ge-
rieth Julius in einen Zuſtand, der
von der Verrückung nur dadurch
verſchieden war, daß es einigermaßen
auf ihn ankam, wann und wie weit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="165"/>
gei&#x017F;tig gewe&#x017F;en, und &#x017F;o hätte es auch<lb/>
bleiben &#x017F;ollen. Aber eben weil es<lb/>
&#x017F;o zart war, mußte mit der fein&#x017F;ten<lb/>
Blüthe alles verloren gehn, als die<lb/>
Gelegenheit es gab, daß einer dem<lb/>
andern Dien&#x017F;te lei&#x017F;tete. Da geriethen<lb/>
&#x017F;ie in Wett&#x017F;treite von Großmuth und<lb/>
Dankbarkeit und fingen endlich an,<lb/>
in der geheim&#x017F;ten Tiefe der Seele<lb/>
irrdi&#x017F;che Forderungen an &#x017F;ich zu ma-<lb/>
chen und zu vergleichen.</p><lb/>
            <p>Bald hatte der Zufall ohne Scho-<lb/>
nung aufgelö&#x017F;t, was nur durch<lb/>
Willkühr leiden&#x017F;chaftlich verbunden<lb/>
war. Immer mehr und mehr ge-<lb/>
rieth Julius in einen Zu&#x017F;tand, der<lb/>
von der Verrückung nur dadurch<lb/>
ver&#x017F;chieden war, daß es einigermaßen<lb/>
auf ihn ankam, wann und wie weit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0170] geiſtig geweſen, und ſo hätte es auch bleiben ſollen. Aber eben weil es ſo zart war, mußte mit der feinſten Blüthe alles verloren gehn, als die Gelegenheit es gab, daß einer dem andern Dienſte leiſtete. Da geriethen ſie in Wettſtreite von Großmuth und Dankbarkeit und fingen endlich an, in der geheimſten Tiefe der Seele irrdiſche Forderungen an ſich zu ma- chen und zu vergleichen. Bald hatte der Zufall ohne Scho- nung aufgelöſt, was nur durch Willkühr leidenſchaftlich verbunden war. Immer mehr und mehr ge- rieth Julius in einen Zuſtand, der von der Verrückung nur dadurch verſchieden war, daß es einigermaßen auf ihn ankam, wann und wie weit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Darüber hinaus sind keine weiteren Teile erschien… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/170
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/170>, abgerufen am 23.11.2024.