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Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808.

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und des heiligen Berges im Norden ist da, und
sie ist nicht blos eine Nebensache in dem ganzen
System der indischen Denkart, sondern ein
überall wiederkehrender allen ihren Dichtungen
tief eingeprägter Lieblingsbegriff. Es wäre nicht
das erste und nicht das einzige Mal, daß dichte-
rische Sagen und alte Gesänge, tief im innigsten
Gefühl und Glauben mit Religion verwebt, auf
die Züge und Abentheuer der Helden mehr Ein-
fluß gehabt haben, als diejenigen glauben möch-
ten, die von der Geschichte nur die Politik
kennen.

Gesetzt also, nicht bloß der äussere Drang
der Noth, sondern irgend ein wunderbarer Be-
griff von der hohen Würde und Herrlichkeit des
Nordens, wie wir ihn in den indischen Sagen
überall verbreitet finden, habe sie nordwärts
geführt, so würde sich der Weg der Germani-
schen Stämme von Turkhind längst dem Gihon
bis zur Nordseite des caspischen Meers und des
Kaukasus leicht nachweisen lassen; ob sie aber
von da aus vorzüglich mehr die Gebirge aufge-
sucht und sich da angesiedelt, oder ob sie mehr
den großen Strömen nachgegangen seien, wie

und des heiligen Berges im Norden iſt da, und
ſie iſt nicht blos eine Nebenſache in dem ganzen
Syſtem der indiſchen Denkart, ſondern ein
uͤberall wiederkehrender allen ihren Dichtungen
tief eingepraͤgter Lieblingsbegriff. Es waͤre nicht
das erſte und nicht das einzige Mal, daß dichte-
riſche Sagen und alte Geſaͤnge, tief im innigſten
Gefuͤhl und Glauben mit Religion verwebt, auf
die Zuͤge und Abentheuer der Helden mehr Ein-
fluß gehabt haben, als diejenigen glauben moͤch-
ten, die von der Geſchichte nur die Politik
kennen.

Geſetzt alſo, nicht bloß der aͤuſſere Drang
der Noth, ſondern irgend ein wunderbarer Be-
griff von der hohen Wuͤrde und Herrlichkeit des
Nordens, wie wir ihn in den indiſchen Sagen
uͤberall verbreitet finden, habe ſie nordwaͤrts
gefuͤhrt, ſo wuͤrde ſich der Weg der Germani-
ſchen Staͤmme von Turkhind laͤngſt dem Gihon
bis zur Nordſeite des caspiſchen Meers und des
Kaukaſus leicht nachweiſen laſſen; ob ſie aber
von da aus vorzuͤglich mehr die Gebirge aufge-
ſucht und ſich da angeſiedelt, oder ob ſie mehr
den großen Stroͤmen nachgegangen ſeien, wie

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[194/0213] und des heiligen Berges im Norden iſt da, und ſie iſt nicht blos eine Nebenſache in dem ganzen Syſtem der indiſchen Denkart, ſondern ein uͤberall wiederkehrender allen ihren Dichtungen tief eingepraͤgter Lieblingsbegriff. Es waͤre nicht das erſte und nicht das einzige Mal, daß dichte- riſche Sagen und alte Geſaͤnge, tief im innigſten Gefuͤhl und Glauben mit Religion verwebt, auf die Zuͤge und Abentheuer der Helden mehr Ein- fluß gehabt haben, als diejenigen glauben moͤch- ten, die von der Geſchichte nur die Politik kennen. Geſetzt alſo, nicht bloß der aͤuſſere Drang der Noth, ſondern irgend ein wunderbarer Be- griff von der hohen Wuͤrde und Herrlichkeit des Nordens, wie wir ihn in den indiſchen Sagen uͤberall verbreitet finden, habe ſie nordwaͤrts gefuͤhrt, ſo wuͤrde ſich der Weg der Germani- ſchen Staͤmme von Turkhind laͤngſt dem Gihon bis zur Nordſeite des caspiſchen Meers und des Kaukaſus leicht nachweiſen laſſen; ob ſie aber von da aus vorzuͤglich mehr die Gebirge aufge- ſucht und ſich da angeſiedelt, oder ob ſie mehr den großen Stroͤmen nachgegangen ſeien, wie

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Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Heidelberg, 1808, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_indier_1808/213>, abgerufen am 02.05.2024.