Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.lauter weibliche Reime hinter einander noch eher zu dulden, weil da in Wörtern von weiblicher Endung die letzte Sylbe bestimmt ausgesprochen werde, im Deutschen hingegen werde sie halb verschluckt. Dieß letzte Faktum ist mir nicht bekannt, wiewohl ich in Deutschland gewesen bin; und noch weniger sehe ich ein, wie der Schluß daraus folgen soll, denn alsdann gäbe es ja eigentlich gar keine weibliche Reime, sie wären alle schon von selbst männlich, und wir hätten nur nicht recht zugehört. Die weiblichen Reime der Jtaliäner und Spanier haben zwar vor den unsrigen die offnen und mannichfaltigen Vokale voraus, dagegen haben wir die Verschiedenheit der Consonanten, und wenn man mittelst dieser und des Hauptvokals die weiblichen Reime gehörig kontrastirt, so kann man sie recht gut mit einander alterniren lassen; ja ich getraue mir aus einleuchtenden Gründen darzuthuu, daß beym Sonett, der Canzone und dem lyrischen Gebrauch der Terzine und Oktave, die Ausschließung der männlichen Reime durchaus mit zum großen Styl gehört. Die Spanier haben fast eben so viel männliche Reime wie wir, und gebrauchen sie auch fleißig in ihren einheimischen Sylbenmaßen; bey der Einführung der Jtaliänischen haben Boscan und Garcilaso sie noch dann und wann gebraucht, nachher sind sie völlig ausgeschlossen worden. S. 487. "Eben so wenig "möchte es wohl einem deutschen Ohr gefallen, in einem "gereimten Gedichte im Anfange jeder Stanze "drey Zeilen nach einander ohne Reim zu hören, "und erst warten zu müssen, bis die Reime wie ein"zelne lauter weibliche Reime hinter einander noch eher zu dulden, weil da in Woͤrtern von weiblicher Endung die letzte Sylbe bestimmt ausgesprochen werde, im Deutschen hingegen werde sie halb verschluckt. Dieß letzte Faktum ist mir nicht bekannt, wiewohl ich in Deutschland gewesen bin; und noch weniger sehe ich ein, wie der Schluß daraus folgen soll, denn alsdann gaͤbe es ja eigentlich gar keine weibliche Reime, sie waͤren alle schon von selbst maͤnnlich, und wir haͤtten nur nicht recht zugehoͤrt. Die weiblichen Reime der Jtaliaͤner und Spanier haben zwar vor den unsrigen die offnen und mannichfaltigen Vokale voraus, dagegen haben wir die Verschiedenheit der Consonanten, und wenn man mittelst dieser und des Hauptvokals die weiblichen Reime gehoͤrig kontrastirt, so kann man sie recht gut mit einander alterniren lassen; ja ich getraue mir aus einleuchtenden Gruͤnden darzuthuu, daß beym Sonett, der Canzone und dem lyrischen Gebrauch der Terzine und Oktave, die Ausschließung der maͤnnlichen Reime durchaus mit zum großen Styl gehoͤrt. Die Spanier haben fast eben so viel maͤnnliche Reime wie wir, und gebrauchen sie auch fleißig in ihren einheimischen Sylbenmaßen; bey der Einfuͤhrung der Jtaliaͤnischen haben Boscan und Garcilaso sie noch dann und wann gebraucht, nachher sind sie voͤllig ausgeschlossen worden. S. 487. “Eben so wenig “moͤchte es wohl einem deutschen Ohr gefallen, in einem “gereimten Gedichte im Anfange jeder Stanze “drey Zeilen nach einander ohne Reim zu hoͤren, “und erst warten zu muͤssen, bis die Reime wie ein“zelne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0339" n="327"/> lauter weibliche Reime hinter einander noch eher zu dulden, weil da in Woͤrtern von weiblicher Endung die letzte Sylbe bestimmt ausgesprochen werde, im Deutschen hingegen werde sie halb verschluckt. Dieß letzte Faktum ist mir nicht bekannt, wiewohl ich in Deutschland gewesen bin; und noch weniger sehe ich ein, wie der Schluß daraus folgen soll, denn alsdann gaͤbe es ja eigentlich gar keine weibliche Reime, sie waͤren alle schon von selbst maͤnnlich, und wir haͤtten nur nicht recht zugehoͤrt. Die weiblichen Reime der Jtaliaͤner und Spanier haben zwar vor den unsrigen die offnen und mannichfaltigen Vokale voraus, dagegen haben wir die Verschiedenheit der Consonanten, und wenn man mittelst dieser und des Hauptvokals die weiblichen Reime gehoͤrig kontrastirt, so kann man sie recht gut mit einander alterniren lassen; ja ich getraue mir aus einleuchtenden Gruͤnden darzuthuu, daß beym Sonett, der Canzone und dem lyrischen Gebrauch der Terzine und Oktave, die Ausschließung der maͤnnlichen Reime durchaus mit zum großen Styl gehoͤrt. Die Spanier haben fast eben so viel maͤnnliche Reime wie wir, und gebrauchen sie auch fleißig in ihren einheimischen Sylbenmaßen; bey der Einfuͤhrung der Jtaliaͤnischen haben Boscan und Garcilaso sie noch dann und wann gebraucht, nachher sind sie voͤllig ausgeschlossen worden. S. 487. “Eben so wenig “moͤchte es wohl einem deutschen Ohr gefallen, in einem “<hi rendition="#g">gereimten</hi> Gedichte im Anfange jeder Stanze “drey Zeilen nach einander <hi rendition="#g">ohne Reim</hi> zu hoͤren, “und erst warten zu muͤssen, bis die Reime wie ein“zelne </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0339]
lauter weibliche Reime hinter einander noch eher zu dulden, weil da in Woͤrtern von weiblicher Endung die letzte Sylbe bestimmt ausgesprochen werde, im Deutschen hingegen werde sie halb verschluckt. Dieß letzte Faktum ist mir nicht bekannt, wiewohl ich in Deutschland gewesen bin; und noch weniger sehe ich ein, wie der Schluß daraus folgen soll, denn alsdann gaͤbe es ja eigentlich gar keine weibliche Reime, sie waͤren alle schon von selbst maͤnnlich, und wir haͤtten nur nicht recht zugehoͤrt. Die weiblichen Reime der Jtaliaͤner und Spanier haben zwar vor den unsrigen die offnen und mannichfaltigen Vokale voraus, dagegen haben wir die Verschiedenheit der Consonanten, und wenn man mittelst dieser und des Hauptvokals die weiblichen Reime gehoͤrig kontrastirt, so kann man sie recht gut mit einander alterniren lassen; ja ich getraue mir aus einleuchtenden Gruͤnden darzuthuu, daß beym Sonett, der Canzone und dem lyrischen Gebrauch der Terzine und Oktave, die Ausschließung der maͤnnlichen Reime durchaus mit zum großen Styl gehoͤrt. Die Spanier haben fast eben so viel maͤnnliche Reime wie wir, und gebrauchen sie auch fleißig in ihren einheimischen Sylbenmaßen; bey der Einfuͤhrung der Jtaliaͤnischen haben Boscan und Garcilaso sie noch dann und wann gebraucht, nachher sind sie voͤllig ausgeschlossen worden. S. 487. “Eben so wenig “moͤchte es wohl einem deutschen Ohr gefallen, in einem “gereimten Gedichte im Anfange jeder Stanze “drey Zeilen nach einander ohne Reim zu hoͤren, “und erst warten zu muͤssen, bis die Reime wie ein“zelne
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/339>, abgerufen am 28.07.2024. |