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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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*) Jn seiner Travestirung ist es noch mehr als tragikomisch, es ist völlig burlesk und zwar von der abgeschmackten Art geworden. Zwar ist er nachher in sich gegangen, und hat außer obiger Uebersezzung, die im Texte steht, noch eine zweyte verfertigt. "Wie ich das Verzweiflungslied des Schäfers Chry"sostomo übersetzte," sagt er S. 474, "wählte ich zuerst "reimfreye Verse. Hernach glaubte ich, den Roman"zenton vorziehen zu müssen. Jetzt däucht mich aber, "daß ich am besten gethan hätte, die sechzehnzeiligen "Stanzen des Originals beyzubehalten." Eine recht gute psychologische Schilderung von dem Gemüthszustande eines solchen Uebersetzers! Jch will nicht untersuchen, wie viel Antheil Tiecks Beyspiel und mein Urtheil darüber an dieser Sinnesänderung haben mögen: denn in der That wir könnten uns auf unser Werk nicht viel einbilden. Die zweyte Uebersetzung

*) Es sey mir erlaubt, hier im Vorbeygehn den Kennern meine Vermuthung vorzulegen, daß Cervantes diese Canzone, wie auch die Begräbnißfeyer des Chrysostomo, und die Rede der Marcella ursprünglich für den zweyten Theil der Galatea bestimmt hatte, und da er die Vollendung dieses Gedichtes immer weiter hinausschob, sie für den Don Quixote benutzte. Schon im ersten Theil der Galatea bemerkt man, daß gegen das Ende desselben der Wechsel von Freude und Schmerz, von Tod und Leben (wie in den Exequien und dem gleich darauf folgenden ruhmathmenden Gesange der Kalliope) rascher und entschiedner wird; es läßt sich also aus der ganzen Anlage des Werkes schließen, daß diese Gegensätze im zweyten Theile noch höher würden gestiegen seyn, und da wären folglich Stücke von diesem strengen und tragischen Styl durchaus erforderlich gewesen.

*) Jn seiner Travestirung ist es noch mehr als tragikomisch, es ist voͤllig burlesk und zwar von der abgeschmackten Art geworden. Zwar ist er nachher in sich gegangen, und hat außer obiger Uebersezzung, die im Texte steht, noch eine zweyte verfertigt. “Wie ich das Verzweiflungslied des Schaͤfers Chry“sostomo uͤbersetzte,” sagt er S. 474, “waͤhlte ich zuerst “reimfreye Verse. Hernach glaubte ich, den Roman“zenton vorziehen zu muͤssen. Jetzt daͤucht mich aber, “daß ich am besten gethan haͤtte, die sechzehnzeiligen “Stanzen des Originals beyzubehalten.” Eine recht gute psychologische Schilderung von dem Gemuͤthszustande eines solchen Uebersetzers! Jch will nicht untersuchen, wie viel Antheil Tiecks Beyspiel und mein Urtheil daruͤber an dieser Sinnesaͤnderung haben moͤgen: denn in der That wir koͤnnten uns auf unser Werk nicht viel einbilden. Die zweyte Uebersetzung

*) Es sey mir erlaubt, hier im Vorbeygehn den Kennern meine Vermuthung vorzulegen, daß Cervantes diese Canzone, wie auch die Begraͤbnißfeyer des Chrysostomo, und die Rede der Marcella urspruͤnglich fuͤr den zweyten Theil der Galatea bestimmt hatte, und da er die Vollendung dieses Gedichtes immer weiter hinausschob, sie fuͤr den Don Quixote benutzte. Schon im ersten Theil der Galatea bemerkt man, daß gegen das Ende desselben der Wechsel von Freude und Schmerz, von Tod und Leben (wie in den Exequien und dem gleich darauf folgenden ruhmathmenden Gesange der Kalliope) rascher und entschiedner wird; es laͤßt sich also aus der ganzen Anlage des Werkes schließen, daß diese Gegensaͤtze im zweyten Theile noch hoͤher wuͤrden gestiegen seyn, und da waͤren folglich Stuͤcke von diesem strengen und tragischen Styl durchaus erforderlich gewesen.
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[324/0336] *) Jn seiner Travestirung ist es noch mehr als tragikomisch, es ist voͤllig burlesk und zwar von der abgeschmackten Art geworden. Zwar ist er nachher in sich gegangen, und hat außer obiger Uebersezzung, die im Texte steht, noch eine zweyte verfertigt. “Wie ich das Verzweiflungslied des Schaͤfers Chry“sostomo uͤbersetzte,” sagt er S. 474, “waͤhlte ich zuerst “reimfreye Verse. Hernach glaubte ich, den Roman“zenton vorziehen zu muͤssen. Jetzt daͤucht mich aber, “daß ich am besten gethan haͤtte, die sechzehnzeiligen “Stanzen des Originals beyzubehalten.” Eine recht gute psychologische Schilderung von dem Gemuͤthszustande eines solchen Uebersetzers! Jch will nicht untersuchen, wie viel Antheil Tiecks Beyspiel und mein Urtheil daruͤber an dieser Sinnesaͤnderung haben moͤgen: denn in der That wir koͤnnten uns auf unser Werk nicht viel einbilden. Die zweyte Uebersetzung *) Es sey mir erlaubt, hier im Vorbeygehn den Kennern meine Vermuthung vorzulegen, daß Cervantes diese Canzone, wie auch die Begraͤbnißfeyer des Chrysostomo, und die Rede der Marcella urspruͤnglich fuͤr den zweyten Theil der Galatea bestimmt hatte, und da er die Vollendung dieses Gedichtes immer weiter hinausschob, sie fuͤr den Don Quixote benutzte. Schon im ersten Theil der Galatea bemerkt man, daß gegen das Ende desselben der Wechsel von Freude und Schmerz, von Tod und Leben (wie in den Exequien und dem gleich darauf folgenden ruhmathmenden Gesange der Kalliope) rascher und entschiedner wird; es laͤßt sich also aus der ganzen Anlage des Werkes schließen, daß diese Gegensaͤtze im zweyten Theile noch hoͤher wuͤrden gestiegen seyn, und da waͤren folglich Stuͤcke von diesem strengen und tragischen Styl durchaus erforderlich gewesen.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/336>, abgerufen am 14.06.2024.