Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewußtseyn verkürzt und geschmälert; der Dichter legt nämlich dem Cardenio einen großen Lobspruch auf seine Erfindungskraft in den Mund, indem er ihn von Don Quixote's Verrücktheit sagen läßt: Sie ist in der That so selten und unerhört, daß ich nicht weiß, ob es einen so scharfsinnigen Geist gäbe, der darauf gerathen könnte, wenn man sie als Dichtung erfinden und ausführen wollte. Dieß übersetzt Herr S.: "Ja "wohl, und so sonderbar, daß ich nicht weiß, ob man "das alles so gut erfinden könnte, wenn man einen "solchen Menschen fabelhafter Weise schildern wollte." Hat Herr S. gar keinen Sinn für das Charakteristische, oder wollte er die Unbescheidenheit des Cervantes mit dem Mantel der Liebe bedecken?

Es fehlt der Uebersetzung auch in so fern an Vollständigkeit, daß vieles Spanisch gelassen ist, was der Verdeutschung bedurft hätte, und hierin ist die Sache nach Tiecks glücklichen Fortschritten um vieles rückwärts gestellt. Wie kann z. B. der deutsche Leser errathen, daß unter dem Compaß zu Sevilla S. 35 eine Kirchenhalle zu verstehen ist? Sierra Morena kennt zwar jeder als den Namen eines Gebirges aber das Bild des schwarzen Gebirges geht doch verlohren. S. 83 ist der sprechende Name eines Bauern Haldudo nicht übersetzt und dadurch ein Scherz verdorben. S. 86 sind die bedeutenden Namen aus dem Ritterroman Tirante dem Weißen, die so viel beytragen ihn komisch zu charakterisiren, unverändert beybehalten. Da der Name, den sich Amadis in seiner Einsamkeit auf dem Armuthfelsen

Bewußtseyn verkuͤrzt und geschmaͤlert; der Dichter legt naͤmlich dem Cardenio einen großen Lobspruch auf seine Erfindungskraft in den Mund, indem er ihn von Don Quixote's Verruͤcktheit sagen laͤßt: Sie ist in der That so selten und unerhoͤrt, daß ich nicht weiß, ob es einen so scharfsinnigen Geist gaͤbe, der darauf gerathen koͤnnte, wenn man sie als Dichtung erfinden und ausfuͤhren wollte. Dieß uͤbersetzt Herr S.: “Ja “wohl, und so sonderbar, daß ich nicht weiß, ob man “das alles so gut erfinden koͤnnte, wenn man einen “solchen Menschen fabelhafter Weise schildern wollte.” Hat Herr S. gar keinen Sinn fuͤr das Charakteristische, oder wollte er die Unbescheidenheit des Cervantes mit dem Mantel der Liebe bedecken?

Es fehlt der Uebersetzung auch in so fern an Vollstaͤndigkeit, daß vieles Spanisch gelassen ist, was der Verdeutschung bedurft haͤtte, und hierin ist die Sache nach Tiecks gluͤcklichen Fortschritten um vieles ruͤckwaͤrts gestellt. Wie kann z. B. der deutsche Leser errathen, daß unter dem Compaß zu Sevilla S. 35 eine Kirchenhalle zu verstehen ist? Sierra Morena kennt zwar jeder als den Namen eines Gebirges aber das Bild des schwarzen Gebirges geht doch verlohren. S. 83 ist der sprechende Name eines Bauern Haldudo nicht uͤbersetzt und dadurch ein Scherz verdorben. S. 86 sind die bedeutenden Namen aus dem Ritterroman Tirante dem Weißen, die so viel beytragen ihn komisch zu charakterisiren, unveraͤndert beybehalten. Da der Name, den sich Amadis in seiner Einsamkeit auf dem Armuthfelsen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0317" n="305"/>
Bewußtseyn verku&#x0364;rzt und geschma&#x0364;lert; der Dichter legt na&#x0364;mlich dem Cardenio einen großen Lobspruch auf seine Erfindungskraft in den Mund, indem er ihn von Don Quixote's Verru&#x0364;cktheit sagen la&#x0364;ßt: Sie ist in der That so selten und unerho&#x0364;rt, daß ich nicht weiß, ob es einen so scharfsinnigen Geist ga&#x0364;be, der darauf gerathen ko&#x0364;nnte, wenn man sie als Dichtung erfinden und ausfu&#x0364;hren wollte. Dieß u&#x0364;bersetzt Herr S.: &#x201C;Ja &#x201C;wohl, und so sonderbar, daß ich nicht weiß, ob man &#x201C;das alles so gut erfinden ko&#x0364;nnte, wenn man einen &#x201C;solchen Menschen fabelhafter Weise schildern wollte.&#x201D; Hat Herr S. gar keinen Sinn fu&#x0364;r das Charakteristische, oder wollte er die Unbescheidenheit des Cervantes mit dem Mantel der Liebe bedecken?</p><lb/>
            <p>Es fehlt der Uebersetzung auch in so fern an Vollsta&#x0364;ndigkeit, daß vieles Spanisch gelassen ist, was der Verdeutschung bedurft ha&#x0364;tte, und hierin ist die Sache nach Tiecks glu&#x0364;cklichen Fortschritten um vieles ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts gestellt. Wie kann z. B. der deutsche Leser errathen, daß unter dem <hi rendition="#g">Compaß</hi> zu Sevilla S. 35 eine Kirchenhalle zu verstehen ist? <hi rendition="#g">Sierra Morena</hi> kennt zwar jeder als den Namen eines Gebirges aber das Bild des <hi rendition="#g">schwarzen Gebirges</hi> geht doch verlohren. S. 83 ist der sprechende Name eines Bauern Haldudo nicht u&#x0364;bersetzt und dadurch ein Scherz verdorben. S. 86 sind die bedeutenden Namen aus dem Ritterroman Tirante dem Weißen, die so viel beytragen ihn komisch zu charakterisiren, unvera&#x0364;ndert beybehalten. Da der Name, den sich Amadis in seiner Einsamkeit auf dem Armuthfelsen
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0317] Bewußtseyn verkuͤrzt und geschmaͤlert; der Dichter legt naͤmlich dem Cardenio einen großen Lobspruch auf seine Erfindungskraft in den Mund, indem er ihn von Don Quixote's Verruͤcktheit sagen laͤßt: Sie ist in der That so selten und unerhoͤrt, daß ich nicht weiß, ob es einen so scharfsinnigen Geist gaͤbe, der darauf gerathen koͤnnte, wenn man sie als Dichtung erfinden und ausfuͤhren wollte. Dieß uͤbersetzt Herr S.: “Ja “wohl, und so sonderbar, daß ich nicht weiß, ob man “das alles so gut erfinden koͤnnte, wenn man einen “solchen Menschen fabelhafter Weise schildern wollte.” Hat Herr S. gar keinen Sinn fuͤr das Charakteristische, oder wollte er die Unbescheidenheit des Cervantes mit dem Mantel der Liebe bedecken? Es fehlt der Uebersetzung auch in so fern an Vollstaͤndigkeit, daß vieles Spanisch gelassen ist, was der Verdeutschung bedurft haͤtte, und hierin ist die Sache nach Tiecks gluͤcklichen Fortschritten um vieles ruͤckwaͤrts gestellt. Wie kann z. B. der deutsche Leser errathen, daß unter dem Compaß zu Sevilla S. 35 eine Kirchenhalle zu verstehen ist? Sierra Morena kennt zwar jeder als den Namen eines Gebirges aber das Bild des schwarzen Gebirges geht doch verlohren. S. 83 ist der sprechende Name eines Bauern Haldudo nicht uͤbersetzt und dadurch ein Scherz verdorben. S. 86 sind die bedeutenden Namen aus dem Ritterroman Tirante dem Weißen, die so viel beytragen ihn komisch zu charakterisiren, unveraͤndert beybehalten. Da der Name, den sich Amadis in seiner Einsamkeit auf dem Armuthfelsen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/317
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/317>, abgerufen am 18.06.2024.