Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.grobe Verwechselung zwischen Darstellung und Sache, und eine verkehrte Beziehung beider auf einander sey; und so kann man das Buch als Ganzes, seinem Jnhalte nach, mit einem Ausspruche Wielands seines Lobredners charakterisiren. Es ist Stolze Armuth, die vom Witz Des Reichthums Miene borgt. Auch könnte man sich wohl das Buch unter dem Bilde eines Menschen denken, welcher immerfort ein Paar papierne Manschetten vorzeigt, sich durchaus nicht weisen laßen will, sondern behauptet: es wären die feinsten brabanter Spitzen. Der Form nach gleicht es durch das vergebliche Bestreben, mit einer strengen Methode eine zierliche Form zu verbinden, welche aber stets in das Gezierte ausartet, einem Fechtmeister, der in jedem Augenblicke in das Gebiet des Tanzmeisters streift; und anstatt den Gegner mit einem furchtbarem Stoße zu erschrecken, ihn mit einem zierlichen Pas überrascht. Mit einem Worte, die Art den Streit zu führen, erinnert an jenen römischen Kaiser, welcher dem Herkules nachahmen wollte, und zu dem Ende einen Löwen erlegte, dessen Gefährlichkeit er nicht besonders zu fürchten hatte. Suet. Nero 53. Praeparatum leonem, spectante populo, nudus elisit. Jn der That hat Herder sich die Kritik der reinen Vernunft so präparirt, daß er sich den Sieg sehr erleichtert hat; auch das nudus, mag man es nun: ohne Waffen, oder: nakt und bloß übersetzen, paßt durchaus; aber mit aller Bemühung grobe Verwechselung zwischen Darstellung und Sache, und eine verkehrte Beziehung beider auf einander sey; und so kann man das Buch als Ganzes, seinem Jnhalte nach, mit einem Ausspruche Wielands seines Lobredners charakterisiren. Es ist Stolze Armuth, die vom Witz Des Reichthums Miene borgt. Auch koͤnnte man sich wohl das Buch unter dem Bilde eines Menschen denken, welcher immerfort ein Paar papierne Manschetten vorzeigt, sich durchaus nicht weisen laßen will, sondern behauptet: es waͤren die feinsten brabanter Spitzen. Der Form nach gleicht es durch das vergebliche Bestreben, mit einer strengen Methode eine zierliche Form zu verbinden, welche aber stets in das Gezierte ausartet, einem Fechtmeister, der in jedem Augenblicke in das Gebiet des Tanzmeisters streift; und anstatt den Gegner mit einem furchtbarem Stoße zu erschrecken, ihn mit einem zierlichen Pas uͤberrascht. Mit einem Worte, die Art den Streit zu fuͤhren, erinnert an jenen roͤmischen Kaiser, welcher dem Herkules nachahmen wollte, und zu dem Ende einen Loͤwen erlegte, dessen Gefaͤhrlichkeit er nicht besonders zu fuͤrchten hatte. Suet. Nero 53. Praeparatum leonem, spectante populo, nudus elisit. Jn der That hat Herder sich die Kritik der reinen Vernunft so praͤparirt, daß er sich den Sieg sehr erleichtert hat; auch das nudus, mag man es nun: ohne Waffen, oder: nakt und bloß uͤbersetzen, paßt durchaus; aber mit aller Bemuͤhung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0294" n="282"/> grobe Verwechselung zwischen Darstellung und Sache, und eine verkehrte Beziehung beider auf einander sey; und so kann man das Buch als Ganzes, seinem Jnhalte nach, mit einem Ausspruche Wielands seines Lobredners charakterisiren. Es ist</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Stolze Armuth, die vom Witz</l><lb/> <l>Des Reichthums Miene borgt.</l> </lg><lb/> <p>Auch koͤnnte man sich wohl das Buch unter dem Bilde eines Menschen denken, welcher immerfort ein Paar papierne Manschetten vorzeigt, sich durchaus nicht weisen laßen will, sondern behauptet: es waͤren die feinsten brabanter Spitzen. Der Form nach gleicht es durch das vergebliche Bestreben, mit einer strengen Methode eine zierliche Form zu verbinden, welche aber stets in das Gezierte ausartet, einem Fechtmeister, der in jedem Augenblicke in das Gebiet des Tanzmeisters streift; und anstatt den Gegner mit einem furchtbarem Stoße zu erschrecken, ihn mit einem zierlichen Pas uͤberrascht. Mit einem Worte, die Art den Streit zu fuͤhren, erinnert an jenen roͤmischen Kaiser, welcher dem Herkules nachahmen wollte, und zu dem Ende einen Loͤwen erlegte, dessen Gefaͤhrlichkeit er nicht besonders zu fuͤrchten hatte. Suet. Nero 53. <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Praeparatum</hi> leonem</hi>, spectante populo, nudus elisit. Jn der That hat Herder sich die Kritik der reinen Vernunft so praͤparirt, daß er sich den Sieg sehr erleichtert hat; auch das nudus, mag man es nun: <hi rendition="#g">ohne Waffen</hi>, oder: <hi rendition="#g">nakt und bloß</hi> uͤbersetzen, paßt durchaus; aber mit aller Bemuͤhung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [282/0294]
grobe Verwechselung zwischen Darstellung und Sache, und eine verkehrte Beziehung beider auf einander sey; und so kann man das Buch als Ganzes, seinem Jnhalte nach, mit einem Ausspruche Wielands seines Lobredners charakterisiren. Es ist
Stolze Armuth, die vom Witz
Des Reichthums Miene borgt.
Auch koͤnnte man sich wohl das Buch unter dem Bilde eines Menschen denken, welcher immerfort ein Paar papierne Manschetten vorzeigt, sich durchaus nicht weisen laßen will, sondern behauptet: es waͤren die feinsten brabanter Spitzen. Der Form nach gleicht es durch das vergebliche Bestreben, mit einer strengen Methode eine zierliche Form zu verbinden, welche aber stets in das Gezierte ausartet, einem Fechtmeister, der in jedem Augenblicke in das Gebiet des Tanzmeisters streift; und anstatt den Gegner mit einem furchtbarem Stoße zu erschrecken, ihn mit einem zierlichen Pas uͤberrascht. Mit einem Worte, die Art den Streit zu fuͤhren, erinnert an jenen roͤmischen Kaiser, welcher dem Herkules nachahmen wollte, und zu dem Ende einen Loͤwen erlegte, dessen Gefaͤhrlichkeit er nicht besonders zu fuͤrchten hatte. Suet. Nero 53. Praeparatum leonem, spectante populo, nudus elisit. Jn der That hat Herder sich die Kritik der reinen Vernunft so praͤparirt, daß er sich den Sieg sehr erleichtert hat; auch das nudus, mag man es nun: ohne Waffen, oder: nakt und bloß uͤbersetzen, paßt durchaus; aber mit aller Bemuͤhung
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/294>, abgerufen am 28.07.2024. |