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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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ihn zutrit, durch eine trockene mechanische Beschäftigung sich die Mittel zu erwerben, um den andern Tag zu leben und zu genießen.

Vergeblich ist es, zu wünschen, daß der Freund, den wir lieben, uns ganz in unserer eigensten Eigenthümlichkeit verstehen möchte; wir wünschen es auch im Grunde nicht, sondern immer möchten wir nur die Falten unsers Herzens vor ihm auseinander schlagen, wo wir die Verwandschaft zu ihm fühlen. Das was unsere Scheidung von allen andern Wesen ausmacht, wodurch wir auch von dem geliebtesten Freunde abgesondert und einzeln stehen, suchen wir sorgfältig zu verhüllen, damit er sich nicht vor dem fremden Wesen entsetzen möge -- und wäre es einem Menschen möglich, die innerste Eigenthümlichkeit seines geliebtesten Freundes aufzufassen und auszusprechen, so würde den Freund ein Schauder wie vor einem Zauberer ergreifen, der die Gewalt hätte, den Geist aus unsern Körpern zu ziehen und ihn uns selbst anschaulich hinzustellen, und wir würden auf immer entfremdet von ihm zurücktreten. Es fühlt dies auch ein jeder in sich, darum ist es uns durchaus unmöglich, manche Bemerkungen über Menschen auszusprechen; eine solche Bemerkung ist ein zufälliges Errathen der Eigenthümlichkeit des andern. -- Die höchste Schönheit, die der Mensch erreichen kann, ist, daß er alle Leidenschaften in sich zu einem Kunstwerk verarbeitet, daß er wie ein Gott über allen steht und sie regiert, so daß sie nur immer von der Kraft der Seele zeigen, aber nie in widrige Verzerrung ausarten, und die höchste, ja ich

ihn zutrit, durch eine trockene mechanische Beschaͤftigung sich die Mittel zu erwerben, um den andern Tag zu leben und zu genießen.

Vergeblich ist es, zu wuͤnschen, daß der Freund, den wir lieben, uns ganz in unserer eigensten Eigenthuͤmlichkeit verstehen moͤchte; wir wuͤnschen es auch im Grunde nicht, sondern immer moͤchten wir nur die Falten unsers Herzens vor ihm auseinander schlagen, wo wir die Verwandschaft zu ihm fuͤhlen. Das was unsere Scheidung von allen andern Wesen ausmacht, wodurch wir auch von dem geliebtesten Freunde abgesondert und einzeln stehen, suchen wir sorgfaͤltig zu verhuͤllen, damit er sich nicht vor dem fremden Wesen entsetzen moͤge — und waͤre es einem Menschen moͤglich, die innerste Eigenthuͤmlichkeit seines geliebtesten Freundes aufzufassen und auszusprechen, so wuͤrde den Freund ein Schauder wie vor einem Zauberer ergreifen, der die Gewalt haͤtte, den Geist aus unsern Koͤrpern zu ziehen und ihn uns selbst anschaulich hinzustellen, und wir wuͤrden auf immer entfremdet von ihm zuruͤcktreten. Es fuͤhlt dies auch ein jeder in sich, darum ist es uns durchaus unmoͤglich, manche Bemerkungen uͤber Menschen auszusprechen; eine solche Bemerkung ist ein zufaͤlliges Errathen der Eigenthuͤmlichkeit des andern. — Die hoͤchste Schoͤnheit, die der Mensch erreichen kann, ist, daß er alle Leidenschaften in sich zu einem Kunstwerk verarbeitet, daß er wie ein Gott uͤber allen steht und sie regiert, so daß sie nur immer von der Kraft der Seele zeigen, aber nie in widrige Verzerrung ausarten, und die hoͤchste, ja ich

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[210/0222] ihn zutrit, durch eine trockene mechanische Beschaͤftigung sich die Mittel zu erwerben, um den andern Tag zu leben und zu genießen. Vergeblich ist es, zu wuͤnschen, daß der Freund, den wir lieben, uns ganz in unserer eigensten Eigenthuͤmlichkeit verstehen moͤchte; wir wuͤnschen es auch im Grunde nicht, sondern immer moͤchten wir nur die Falten unsers Herzens vor ihm auseinander schlagen, wo wir die Verwandschaft zu ihm fuͤhlen. Das was unsere Scheidung von allen andern Wesen ausmacht, wodurch wir auch von dem geliebtesten Freunde abgesondert und einzeln stehen, suchen wir sorgfaͤltig zu verhuͤllen, damit er sich nicht vor dem fremden Wesen entsetzen moͤge — und waͤre es einem Menschen moͤglich, die innerste Eigenthuͤmlichkeit seines geliebtesten Freundes aufzufassen und auszusprechen, so wuͤrde den Freund ein Schauder wie vor einem Zauberer ergreifen, der die Gewalt haͤtte, den Geist aus unsern Koͤrpern zu ziehen und ihn uns selbst anschaulich hinzustellen, und wir wuͤrden auf immer entfremdet von ihm zuruͤcktreten. Es fuͤhlt dies auch ein jeder in sich, darum ist es uns durchaus unmoͤglich, manche Bemerkungen uͤber Menschen auszusprechen; eine solche Bemerkung ist ein zufaͤlliges Errathen der Eigenthuͤmlichkeit des andern. — Die hoͤchste Schoͤnheit, die der Mensch erreichen kann, ist, daß er alle Leidenschaften in sich zu einem Kunstwerk verarbeitet, daß er wie ein Gott uͤber allen steht und sie regiert, so daß sie nur immer von der Kraft der Seele zeigen, aber nie in widrige Verzerrung ausarten, und die hoͤchste, ja ich

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/222>, abgerufen am 15.05.2024.