Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.die Mittel, wodurch die Körper erst erscheinen, zu untergeordneten Theilen der Mahlerey, oder wohl gar zu unwesentlichen Reizen derselben herabsetzen. Sie ist ja eigentlich die Kunst des Scheines, wie die Bildnerey die Kunst der Formen; und wenn ich nicht fürchtete, in Jhre philosophischen unausführbaren Foderungen hineinzugerathen, Waller, so möchte ich sagen, sie soll den Schein idealisiren. Jn der Wirklichkeit gewöhnen wir uns, über ihn weg, oder durch ihn hindurch zu sehen: wir vernichten ihn gewissermaßen unaufhörlich. Der Mahler giebt ihm einen Körper, eine selbständige Existenz außer unserm Organ: er macht uns das Medium alles Sichtbaren selbst zum Gegenstande. Wir sollen also bey dem Schein verweilen, und wie kann er das verdienen, wenn er nicht auf das bedeutendste und wohlgefälligste gewählt und dargestellt wird. Waller. Die Mahlerey soll also täuschen? Reinhold. Nicht doch: auch bey der kunstvollsten Nachahmung ist sie schon dadurch vor diesem Abwege gesichert, daß es ihr an einer wahren Lichttinte fehlt. Louise. Haben Sie die durchsichtigen Mondscheinlandschaften schon vergessen, womit wir uns manchmal unterhielten? Die sind doch mit wahrem Lichte gemahlt. Reinhold. Dafür sind sie auch keine Kunstwerke, sondern nur eine artige Gaukeley. die Mittel, wodurch die Koͤrper erst erscheinen, zu untergeordneten Theilen der Mahlerey, oder wohl gar zu unwesentlichen Reizen derselben herabsetzen. Sie ist ja eigentlich die Kunst des Scheines, wie die Bildnerey die Kunst der Formen; und wenn ich nicht fuͤrchtete, in Jhre philosophischen unausfuͤhrbaren Foderungen hineinzugerathen, Waller, so moͤchte ich sagen, sie soll den Schein idealisiren. Jn der Wirklichkeit gewoͤhnen wir uns, uͤber ihn weg, oder durch ihn hindurch zu sehen: wir vernichten ihn gewissermaßen unaufhoͤrlich. Der Mahler giebt ihm einen Koͤrper, eine selbstaͤndige Existenz außer unserm Organ: er macht uns das Medium alles Sichtbaren selbst zum Gegenstande. Wir sollen also bey dem Schein verweilen, und wie kann er das verdienen, wenn er nicht auf das bedeutendste und wohlgefaͤlligste gewaͤhlt und dargestellt wird. Waller. Die Mahlerey soll also taͤuschen? Reinhold. Nicht doch: auch bey der kunstvollsten Nachahmung ist sie schon dadurch vor diesem Abwege gesichert, daß es ihr an einer wahren Lichttinte fehlt. Louise. Haben Sie die durchsichtigen Mondscheinlandschaften schon vergessen, womit wir uns manchmal unterhielten? Die sind doch mit wahrem Lichte gemahlt. Reinhold. Dafuͤr sind sie auch keine Kunstwerke, sondern nur eine artige Gaukeley. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="64"/> die Mittel, wodurch die Koͤrper erst erscheinen, zu untergeordneten Theilen der Mahlerey, oder wohl gar zu unwesentlichen Reizen derselben herabsetzen. Sie ist ja eigentlich die Kunst des Scheines, wie die Bildnerey die Kunst der Formen; und wenn ich nicht fuͤrchtete, in Jhre philosophischen unausfuͤhrbaren Foderungen hineinzugerathen, Waller, so moͤchte ich sagen, sie soll den Schein idealisiren. Jn der Wirklichkeit gewoͤhnen wir uns, uͤber ihn weg, oder durch ihn hindurch zu sehen: wir vernichten ihn gewissermaßen unaufhoͤrlich. Der Mahler giebt ihm einen Koͤrper, eine selbstaͤndige Existenz außer unserm Organ: er macht uns das Medium alles Sichtbaren selbst zum Gegenstande. Wir sollen also bey dem Schein verweilen, und wie kann er das verdienen, wenn er nicht auf das bedeutendste und wohlgefaͤlligste gewaͤhlt und dargestellt wird.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Die Mahlerey soll also taͤuschen?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Nicht doch: auch bey der kunstvollsten Nachahmung ist sie schon dadurch vor diesem Abwege gesichert, daß es ihr an einer wahren Lichttinte fehlt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Haben Sie die durchsichtigen Mondscheinlandschaften schon vergessen, womit wir uns manchmal unterhielten? Die sind doch mit wahrem Lichte gemahlt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Dafuͤr sind sie auch keine Kunstwerke, sondern nur eine artige Gaukeley.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0072]
die Mittel, wodurch die Koͤrper erst erscheinen, zu untergeordneten Theilen der Mahlerey, oder wohl gar zu unwesentlichen Reizen derselben herabsetzen. Sie ist ja eigentlich die Kunst des Scheines, wie die Bildnerey die Kunst der Formen; und wenn ich nicht fuͤrchtete, in Jhre philosophischen unausfuͤhrbaren Foderungen hineinzugerathen, Waller, so moͤchte ich sagen, sie soll den Schein idealisiren. Jn der Wirklichkeit gewoͤhnen wir uns, uͤber ihn weg, oder durch ihn hindurch zu sehen: wir vernichten ihn gewissermaßen unaufhoͤrlich. Der Mahler giebt ihm einen Koͤrper, eine selbstaͤndige Existenz außer unserm Organ: er macht uns das Medium alles Sichtbaren selbst zum Gegenstande. Wir sollen also bey dem Schein verweilen, und wie kann er das verdienen, wenn er nicht auf das bedeutendste und wohlgefaͤlligste gewaͤhlt und dargestellt wird.
Waller. Die Mahlerey soll also taͤuschen?
Reinhold. Nicht doch: auch bey der kunstvollsten Nachahmung ist sie schon dadurch vor diesem Abwege gesichert, daß es ihr an einer wahren Lichttinte fehlt.
Louise. Haben Sie die durchsichtigen Mondscheinlandschaften schon vergessen, womit wir uns manchmal unterhielten? Die sind doch mit wahrem Lichte gemahlt.
Reinhold. Dafuͤr sind sie auch keine Kunstwerke, sondern nur eine artige Gaukeley.
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