Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

entlehnen, was eigentlich allgemein ist, was jeder weiß und wobey man gar nicht mehr an ihre Form und abgesonderte Existenz denkt. Freilich würde ich meinen Kreis allmählig beträchtlich erweitern. Ueberhaupt würde ich alles nach dem Augenblicke und seiner Stimmung modifiziren. Jch würde alles so viel als möglich an Deine eigenthümlichsten Ansichten und Meynungen anzuknüpfen suchen, und ich würde oft denselben Weg auf eine neue Weise durchlaufen. Aber die Unendlichkeit des menschlichen Geistes, die Göttlichkeit aller natürlichen Dinge, und die Menschlichkeit der Götter, würde das ewige große Thema aller dieser Variazionen bleiben. So hätten wir denn zu der Mannichfaltigkeit unsrer Philosophie auch Einheit. Eine Einheit, von der ich nicht fürchte, daß wir sie je verlieren könnten! Wenn man die hat, und also weiß, daß es im Ganzen und an sich genommen, nur eine untheilbare Philosophie giebt: so darf man sichs ohne Nachtheil gestehen, daß es mit Rücksicht auf die Bildung des Menschen durch sie unendlich viele Arten von Philophie giebt. Die Mittheilung darf nun ihren ganzen Reichthum von Formen und Nuancen entfalten, und die Zeit der Popularität ist gekommen.

Jst es die Bestimmung des Autors, die Poesie und die Philosophie unter den Menschen zu verbreiten und für's Leben und aus dem Leben zu bilden: so ist Popularität seine erste Pflicht und sein höchstes Ziel. Freylich wird er um des Zweckes und seines eignen Geistes willen oft bei seinen Werken nur auf die Natur

entlehnen, was eigentlich allgemein ist, was jeder weiß und wobey man gar nicht mehr an ihre Form und abgesonderte Existenz denkt. Freilich wuͤrde ich meinen Kreis allmaͤhlig betraͤchtlich erweitern. Ueberhaupt wuͤrde ich alles nach dem Augenblicke und seiner Stimmung modifiziren. Jch wuͤrde alles so viel als moͤglich an Deine eigenthuͤmlichsten Ansichten und Meynungen anzuknuͤpfen suchen, und ich wuͤrde oft denselben Weg auf eine neue Weise durchlaufen. Aber die Unendlichkeit des menschlichen Geistes, die Goͤttlichkeit aller natuͤrlichen Dinge, und die Menschlichkeit der Goͤtter, wuͤrde das ewige große Thema aller dieser Variazionen bleiben. So haͤtten wir denn zu der Mannichfaltigkeit unsrer Philosophie auch Einheit. Eine Einheit, von der ich nicht fuͤrchte, daß wir sie je verlieren koͤnnten! Wenn man die hat, und also weiß, daß es im Ganzen und an sich genommen, nur eine untheilbare Philosophie giebt: so darf man sichs ohne Nachtheil gestehen, daß es mit Ruͤcksicht auf die Bildung des Menschen durch sie unendlich viele Arten von Philophie giebt. Die Mittheilung darf nun ihren ganzen Reichthum von Formen und Nuancen entfalten, und die Zeit der Popularitaͤt ist gekommen.

Jst es die Bestimmung des Autors, die Poesie und die Philosophie unter den Menschen zu verbreiten und fuͤr's Leben und aus dem Leben zu bilden: so ist Popularitaͤt seine erste Pflicht und sein hoͤchstes Ziel. Freylich wird er um des Zweckes und seines eignen Geistes willen oft bei seinen Werken nur auf die Natur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="35"/>
entlehnen, was eigentlich allgemein ist, was jeder weiß und wobey man gar nicht mehr an ihre Form und abgesonderte Existenz denkt. Freilich wu&#x0364;rde ich meinen Kreis allma&#x0364;hlig betra&#x0364;chtlich erweitern. Ueberhaupt wu&#x0364;rde ich alles nach dem Augenblicke und seiner Stimmung modifiziren. Jch wu&#x0364;rde alles so viel als mo&#x0364;glich an Deine eigenthu&#x0364;mlichsten Ansichten und Meynungen anzuknu&#x0364;pfen suchen, und ich wu&#x0364;rde oft denselben Weg auf eine neue Weise durchlaufen. Aber die <hi rendition="#g">Unendlichkeit des menschlichen Geistes</hi>, <hi rendition="#g">die Go&#x0364;ttlichkeit aller natu&#x0364;rlichen Dinge</hi>, und die <hi rendition="#g">Menschlichkeit der Go&#x0364;tter</hi>, wu&#x0364;rde das ewige große Thema aller dieser Variazionen bleiben. So ha&#x0364;tten wir denn zu der Mannichfaltigkeit unsrer Philosophie auch <hi rendition="#g">Einheit</hi>. Eine Einheit, von der ich nicht fu&#x0364;rchte, daß wir sie je verlieren ko&#x0364;nnten! Wenn man die hat, und also weiß, daß es im Ganzen und an sich genommen, nur eine untheilbare Philosophie giebt: so darf man sichs ohne Nachtheil gestehen, daß es mit Ru&#x0364;cksicht auf die Bildung des Menschen durch sie unendlich viele Arten von Philophie giebt. Die Mittheilung darf nun ihren ganzen Reichthum von Formen und Nuancen entfalten, und <hi rendition="#g">die Zeit der Popularita&#x0364;t ist gekommen</hi>.</p><lb/>
          <p>Jst es die Bestimmung des Autors, die Poesie und die Philosophie unter den Menschen zu verbreiten und fu&#x0364;r's Leben und aus dem Leben zu bilden: so ist Popularita&#x0364;t seine erste Pflicht und sein ho&#x0364;chstes Ziel. Freylich wird er um des Zweckes und seines eignen Geistes willen oft bei seinen Werken nur auf die Natur
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0043] entlehnen, was eigentlich allgemein ist, was jeder weiß und wobey man gar nicht mehr an ihre Form und abgesonderte Existenz denkt. Freilich wuͤrde ich meinen Kreis allmaͤhlig betraͤchtlich erweitern. Ueberhaupt wuͤrde ich alles nach dem Augenblicke und seiner Stimmung modifiziren. Jch wuͤrde alles so viel als moͤglich an Deine eigenthuͤmlichsten Ansichten und Meynungen anzuknuͤpfen suchen, und ich wuͤrde oft denselben Weg auf eine neue Weise durchlaufen. Aber die Unendlichkeit des menschlichen Geistes, die Goͤttlichkeit aller natuͤrlichen Dinge, und die Menschlichkeit der Goͤtter, wuͤrde das ewige große Thema aller dieser Variazionen bleiben. So haͤtten wir denn zu der Mannichfaltigkeit unsrer Philosophie auch Einheit. Eine Einheit, von der ich nicht fuͤrchte, daß wir sie je verlieren koͤnnten! Wenn man die hat, und also weiß, daß es im Ganzen und an sich genommen, nur eine untheilbare Philosophie giebt: so darf man sichs ohne Nachtheil gestehen, daß es mit Ruͤcksicht auf die Bildung des Menschen durch sie unendlich viele Arten von Philophie giebt. Die Mittheilung darf nun ihren ganzen Reichthum von Formen und Nuancen entfalten, und die Zeit der Popularitaͤt ist gekommen. Jst es die Bestimmung des Autors, die Poesie und die Philosophie unter den Menschen zu verbreiten und fuͤr's Leben und aus dem Leben zu bilden: so ist Popularitaͤt seine erste Pflicht und sein hoͤchstes Ziel. Freylich wird er um des Zweckes und seines eignen Geistes willen oft bei seinen Werken nur auf die Natur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/43
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/43>, abgerufen am 27.04.2024.