Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Willst Du das Buch nun so subjektiv ansehn, wie ich Dir auf den äußersten Fall vorschlage, so betrachte die Religion des Verfassers bloß als den Brennpunkt in seinem Jnnersten, wo die Strahlen alles Großen und Schönen, was er etwa in andern Sphären noch haben und kennen mag, zusammenfallen. Daher darf es Dich auch nicht wundern, daß er diese andern angebornen Eigenheiten des Menschen, die Poesie, die Philosophie oder Moral bisweilen ziemlich übel und nicht mit der gehörigen Religiosität zu behandeln scheint: denn wenn man ihnen erst den innersten Geist aussaugt, so ist das was übrig bleibt, in der That von geringem Werth. Die offenherzige Abneigung gegen die Poesie wird Dir zuerst auffallen; laß Dich aber ja nicht dadurch täuschen, so wenig wie durch das scheinbare gute Vernehmen mit der Philosophie. Ja von diesen Reden möchte ichs fast mit Zuversicht behaupten, daß sie den irreligiösesten Dichtern und Künstlern noch eher zusagen werden, als den religiösesten Philosophen. Und je öfter ich sie lese, je mehr Poesie finde ich darin, versteht sich unbewußte. Jm Grunde aber mag wohl das Verhältniß gegen die eine so freundschaftlich seyn, wie gegen die andre; und so hat der Verfasser die Gesetzesgleichheit der Bildung, die er in allen einleitenden Stellen zu verheißen scheint, gewissermaßen durch die That anerkannt. Hierin nimm ihn ja beym Wort, sobald Du deinen angenommenen subjektiven Standpunkt verlassen und in den seinigen eingehn willst. Denn was der Redner giebt und als Religion konstituirt, ist keineswegs eine Harmonie des

Willst Du das Buch nun so subjektiv ansehn, wie ich Dir auf den aͤußersten Fall vorschlage, so betrachte die Religion des Verfassers bloß als den Brennpunkt in seinem Jnnersten, wo die Strahlen alles Großen und Schoͤnen, was er etwa in andern Sphaͤren noch haben und kennen mag, zusammenfallen. Daher darf es Dich auch nicht wundern, daß er diese andern angebornen Eigenheiten des Menschen, die Poesie, die Philosophie oder Moral bisweilen ziemlich uͤbel und nicht mit der gehoͤrigen Religiositaͤt zu behandeln scheint: denn wenn man ihnen erst den innersten Geist aussaugt, so ist das was uͤbrig bleibt, in der That von geringem Werth. Die offenherzige Abneigung gegen die Poesie wird Dir zuerst auffallen; laß Dich aber ja nicht dadurch taͤuschen, so wenig wie durch das scheinbare gute Vernehmen mit der Philosophie. Ja von diesen Reden moͤchte ichs fast mit Zuversicht behaupten, daß sie den irreligioͤsesten Dichtern und Kuͤnstlern noch eher zusagen werden, als den religioͤsesten Philosophen. Und je oͤfter ich sie lese, je mehr Poesie finde ich darin, versteht sich unbewußte. Jm Grunde aber mag wohl das Verhaͤltniß gegen die eine so freundschaftlich seyn, wie gegen die andre; und so hat der Verfasser die Gesetzesgleichheit der Bildung, die er in allen einleitenden Stellen zu verheißen scheint, gewissermaßen durch die That anerkannt. Hierin nimm ihn ja beym Wort, sobald Du deinen angenommenen subjektiven Standpunkt verlassen und in den seinigen eingehn willst. Denn was der Redner giebt und als Religion konstituirt, ist keineswegs eine Harmonie des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0304" n="294"/>
          <p>Willst Du das Buch nun so subjektiv ansehn, wie ich Dir auf den a&#x0364;ußersten Fall vorschlage, so betrachte die Religion des Verfassers bloß als den Brennpunkt in seinem Jnnersten, wo die Strahlen alles Großen und Scho&#x0364;nen, was er etwa in andern Spha&#x0364;ren noch haben und kennen mag, zusammenfallen. Daher darf es Dich auch nicht wundern, daß er diese andern angebornen Eigenheiten des Menschen, die Poesie, die Philosophie oder Moral bisweilen ziemlich u&#x0364;bel und nicht mit der geho&#x0364;rigen Religiosita&#x0364;t zu behandeln scheint: denn wenn man ihnen erst den innersten Geist aussaugt, so ist das was u&#x0364;brig bleibt, in der That von geringem Werth. Die offenherzige Abneigung gegen die Poesie wird Dir zuerst auffallen; laß Dich aber ja nicht dadurch ta&#x0364;uschen, so wenig wie durch das scheinbare gute Vernehmen mit der Philosophie. Ja von diesen Reden mo&#x0364;chte ichs fast mit Zuversicht behaupten, daß sie den irreligio&#x0364;sesten Dichtern und Ku&#x0364;nstlern noch eher zusagen werden, als den religio&#x0364;sesten Philosophen. Und je o&#x0364;fter ich sie lese, je mehr Poesie finde ich darin, versteht sich unbewußte. Jm Grunde aber mag wohl das Verha&#x0364;ltniß gegen die eine so freundschaftlich seyn, wie gegen die andre; und so hat der Verfasser die Gesetzesgleichheit der Bildung, die er in allen einleitenden Stellen zu verheißen scheint, gewissermaßen durch die That anerkannt. Hierin nimm ihn ja beym Wort, sobald Du deinen angenommenen subjektiven Standpunkt verlassen und in den seinigen eingehn willst. Denn was der Redner giebt und als Religion konstituirt, ist keineswegs eine Harmonie des
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0304] Willst Du das Buch nun so subjektiv ansehn, wie ich Dir auf den aͤußersten Fall vorschlage, so betrachte die Religion des Verfassers bloß als den Brennpunkt in seinem Jnnersten, wo die Strahlen alles Großen und Schoͤnen, was er etwa in andern Sphaͤren noch haben und kennen mag, zusammenfallen. Daher darf es Dich auch nicht wundern, daß er diese andern angebornen Eigenheiten des Menschen, die Poesie, die Philosophie oder Moral bisweilen ziemlich uͤbel und nicht mit der gehoͤrigen Religiositaͤt zu behandeln scheint: denn wenn man ihnen erst den innersten Geist aussaugt, so ist das was uͤbrig bleibt, in der That von geringem Werth. Die offenherzige Abneigung gegen die Poesie wird Dir zuerst auffallen; laß Dich aber ja nicht dadurch taͤuschen, so wenig wie durch das scheinbare gute Vernehmen mit der Philosophie. Ja von diesen Reden moͤchte ichs fast mit Zuversicht behaupten, daß sie den irreligioͤsesten Dichtern und Kuͤnstlern noch eher zusagen werden, als den religioͤsesten Philosophen. Und je oͤfter ich sie lese, je mehr Poesie finde ich darin, versteht sich unbewußte. Jm Grunde aber mag wohl das Verhaͤltniß gegen die eine so freundschaftlich seyn, wie gegen die andre; und so hat der Verfasser die Gesetzesgleichheit der Bildung, die er in allen einleitenden Stellen zu verheißen scheint, gewissermaßen durch die That anerkannt. Hierin nimm ihn ja beym Wort, sobald Du deinen angenommenen subjektiven Standpunkt verlassen und in den seinigen eingehn willst. Denn was der Redner giebt und als Religion konstituirt, ist keineswegs eine Harmonie des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/304
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/304>, abgerufen am 22.11.2024.