Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Daß ich zu Anfang drüber weinen mußte. Die starre Art wie Dante auf dem eben erwähnten Blatt in seiner ganzen Länge da liegt, die Arme rücklings hinter dem Haupte ausgestreckt, hat auf den ersten Blick etwas seltsames, beym zweiten etwas großes: und so hat der Künstler immer, wo er den Sinnen nicht schmeicheln konnte, den Ersatz der Hoheit gesucht. Nur die Gebehrde des im Sarge aufrecht sitzenden Farinata möchte noch ruhiger und trotzender seyn; vielleicht wäre ihm unter dem Grabtuche besser ein Harnisch gegeben. Auch der Mantuaner Sordello, der entzückt seyn soll im Virgil einen Landsmann zu finden, umarmt ihn etwas zu schläfrig. Da die Geister der Abgeschiednen in der Hölle und in der Büßungswelt meistens als menschliche Gestalten ohne Bekleidung vorgestellt werden, so gab es reichliche Gelegenheit Zeichnung des Nackten, zum Theil in gewaltsamen Stellungen und schweren Verkürzungen, anzubringen. Freilich mußte es, um zu passen, mehr nervig und mager, als blühend und auserlesen seyn; allein der aufmerksame Künstler hat überall der Mißgestalt so wenig Gebiet einzuräumen gesucht wie möglich, und oft mit geringen Verdrehuugen oder Zügen, die das Anatomische mehr auf die Oberfläche bringen, der dargestellten Qual ihr Recht erwiesen. Dante hat durch diese Bilder der Strafe sowohl, als durch die Ungeheuer, welche die Hölle bevölkern, dem Zeichner manchmal etwas zu rathen aufgegeben; das Wagestück, einen Verdammten seinen abgehauenen Kopf a guifa di lanterna in der Hand Daß ich zu Anfang druͤber weinen mußte. Die starre Art wie Dante auf dem eben erwaͤhnten Blatt in seiner ganzen Laͤnge da liegt, die Arme ruͤcklings hinter dem Haupte ausgestreckt, hat auf den ersten Blick etwas seltsames, beym zweiten etwas großes: und so hat der Kuͤnstler immer, wo er den Sinnen nicht schmeicheln konnte, den Ersatz der Hoheit gesucht. Nur die Gebehrde des im Sarge aufrecht sitzenden Farinata moͤchte noch ruhiger und trotzender seyn; vielleicht waͤre ihm unter dem Grabtuche besser ein Harnisch gegeben. Auch der Mantuaner Sordello, der entzuͤckt seyn soll im Virgil einen Landsmann zu finden, umarmt ihn etwas zu schlaͤfrig. Da die Geister der Abgeschiednen in der Hoͤlle und in der Buͤßungswelt meistens als menschliche Gestalten ohne Bekleidung vorgestellt werden, so gab es reichliche Gelegenheit Zeichnung des Nackten, zum Theil in gewaltsamen Stellungen und schweren Verkuͤrzungen, anzubringen. Freilich mußte es, um zu passen, mehr nervig und mager, als bluͤhend und auserlesen seyn; allein der aufmerksame Kuͤnstler hat uͤberall der Mißgestalt so wenig Gebiet einzuraͤumen gesucht wie moͤglich, und oft mit geringen Verdrehuugen oder Zuͤgen, die das Anatomische mehr auf die Oberflaͤche bringen, der dargestellten Qual ihr Recht erwiesen. Dante hat durch diese Bilder der Strafe sowohl, als durch die Ungeheuer, welche die Hoͤlle bevoͤlkern, dem Zeichner manchmal etwas zu rathen aufgegeben; das Wagestuͤck, einen Verdammten seinen abgehauenen Kopf a guifa di lanterna in der Hand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0224" n="214"/> <p>Daß ich zu Anfang druͤber weinen mußte.</p><lb/> <p>Die starre Art wie Dante auf dem eben erwaͤhnten Blatt in seiner ganzen Laͤnge da liegt, die Arme ruͤcklings hinter dem Haupte ausgestreckt, hat auf den ersten Blick etwas seltsames, beym zweiten etwas großes: und so hat der Kuͤnstler immer, wo er den Sinnen nicht schmeicheln konnte, den Ersatz der Hoheit gesucht. Nur die Gebehrde des im Sarge aufrecht sitzenden Farinata moͤchte noch ruhiger und trotzender seyn; vielleicht waͤre ihm unter dem Grabtuche besser ein Harnisch gegeben. Auch der Mantuaner Sordello, der entzuͤckt seyn soll im Virgil einen Landsmann zu finden, umarmt ihn etwas zu schlaͤfrig.</p><lb/> <p>Da die Geister der Abgeschiednen in der Hoͤlle und in der Buͤßungswelt meistens als menschliche Gestalten ohne Bekleidung vorgestellt werden, so gab es reichliche Gelegenheit Zeichnung des Nackten, zum Theil in gewaltsamen Stellungen und schweren Verkuͤrzungen, anzubringen. Freilich mußte es, um zu passen, mehr nervig und mager, als bluͤhend und auserlesen seyn; allein der aufmerksame Kuͤnstler hat uͤberall der Mißgestalt so wenig Gebiet einzuraͤumen gesucht wie moͤglich, und oft mit geringen Verdrehuugen oder Zuͤgen, die das Anatomische mehr auf die Oberflaͤche bringen, der dargestellten Qual ihr Recht erwiesen. Dante hat durch diese Bilder der Strafe sowohl, als durch die Ungeheuer, welche die Hoͤlle bevoͤlkern, dem Zeichner manchmal etwas zu rathen aufgegeben; das Wagestuͤck, einen Verdammten seinen abgehauenen Kopf a guifa di lanterna in der Hand </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0224]
Daß ich zu Anfang druͤber weinen mußte.
Die starre Art wie Dante auf dem eben erwaͤhnten Blatt in seiner ganzen Laͤnge da liegt, die Arme ruͤcklings hinter dem Haupte ausgestreckt, hat auf den ersten Blick etwas seltsames, beym zweiten etwas großes: und so hat der Kuͤnstler immer, wo er den Sinnen nicht schmeicheln konnte, den Ersatz der Hoheit gesucht. Nur die Gebehrde des im Sarge aufrecht sitzenden Farinata moͤchte noch ruhiger und trotzender seyn; vielleicht waͤre ihm unter dem Grabtuche besser ein Harnisch gegeben. Auch der Mantuaner Sordello, der entzuͤckt seyn soll im Virgil einen Landsmann zu finden, umarmt ihn etwas zu schlaͤfrig.
Da die Geister der Abgeschiednen in der Hoͤlle und in der Buͤßungswelt meistens als menschliche Gestalten ohne Bekleidung vorgestellt werden, so gab es reichliche Gelegenheit Zeichnung des Nackten, zum Theil in gewaltsamen Stellungen und schweren Verkuͤrzungen, anzubringen. Freilich mußte es, um zu passen, mehr nervig und mager, als bluͤhend und auserlesen seyn; allein der aufmerksame Kuͤnstler hat uͤberall der Mißgestalt so wenig Gebiet einzuraͤumen gesucht wie moͤglich, und oft mit geringen Verdrehuugen oder Zuͤgen, die das Anatomische mehr auf die Oberflaͤche bringen, der dargestellten Qual ihr Recht erwiesen. Dante hat durch diese Bilder der Strafe sowohl, als durch die Ungeheuer, welche die Hoͤlle bevoͤlkern, dem Zeichner manchmal etwas zu rathen aufgegeben; das Wagestuͤck, einen Verdammten seinen abgehauenen Kopf a guifa di lanterna in der Hand
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