Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.sich die Befugniß natürlich noch weiter. Warum sollte es nicht eine pittoreske Begleitung der Poesie, nach Art der musikalischen, geben können? Je stätiger sie wäre, je liebevoller der Zeichner das Ganze des Gedichts umfaßte, desto kühner dürfte er auch werden, desto mehr sich mit ganzer Seele auf die Seite werfen, wo er reich und mächtig ist, und den Dichter für das Uebrige sorgen lassen. So erhielte man das seltene aber entzückende Schauspiel des Zusammenwirkens zweyer Künste, in Eintracht und ohne Dienstbarkeit. Der bildende Künstler gäbe uns ein neues Organ den Dichter zu fühlen, und dieser dollmetschte wiederum in seiner hohen Mundart die reizende Chiffersprache der Linien und Formen. Ein Englischer Bildhauer, John Flaxman, hat diese Jdee in zahlreichen Sammlungen von Umrissen zu Dante's göttlicher Komödie, zur Jlias und Odyssee, und zu den Tragödien des Aeschylus, mit so viel Verstand, Geist, und klassischem Schönheitssinne ausgeführt, daß man ihn in seiner Gattung Erfinder nennen, und wünschen muß, er möge bald glückliche und selbständige Nachfolger darin finden. Diese Werke führten mich durch den Gegensatz mit der herrschenden einheimischen Praxis auf obige Betrachtungen. Leider sind sie in Deutschland so selten*), und sollen es nunmehr auch *) Die Titel dieser Sammlungen, welche ein sehr unterrichteter Architekt, Herr Heine in Dresden, der sie von einer Reise durch Jtalien mit zurückgebracht, die Güte gehabt hat, mir mitzutheilen, sind folgende: La divina
sich die Befugniß natuͤrlich noch weiter. Warum sollte es nicht eine pittoreske Begleitung der Poesie, nach Art der musikalischen, geben koͤnnen? Je staͤtiger sie waͤre, je liebevoller der Zeichner das Ganze des Gedichts umfaßte, desto kuͤhner duͤrfte er auch werden, desto mehr sich mit ganzer Seele auf die Seite werfen, wo er reich und maͤchtig ist, und den Dichter fuͤr das Uebrige sorgen lassen. So erhielte man das seltene aber entzuͤckende Schauspiel des Zusammenwirkens zweyer Kuͤnste, in Eintracht und ohne Dienstbarkeit. Der bildende Kuͤnstler gaͤbe uns ein neues Organ den Dichter zu fuͤhlen, und dieser dollmetschte wiederum in seiner hohen Mundart die reizende Chiffersprache der Linien und Formen. Ein Englischer Bildhauer, John Flaxman, hat diese Jdee in zahlreichen Sammlungen von Umrissen zu Dante's goͤttlicher Komoͤdie, zur Jlias und Odyssee, und zu den Tragoͤdien des Aeschylus, mit so viel Verstand, Geist, und klassischem Schoͤnheitssinne ausgefuͤhrt, daß man ihn in seiner Gattung Erfinder nennen, und wuͤnschen muß, er moͤge bald gluͤckliche und selbstaͤndige Nachfolger darin finden. Diese Werke fuͤhrten mich durch den Gegensatz mit der herrschenden einheimischen Praxis auf obige Betrachtungen. Leider sind sie in Deutschland so selten*), und sollen es nunmehr auch *) Die Titel dieser Sammlungen, welche ein sehr unterrichteter Architekt, Herr Heine in Dresden, der sie von einer Reise durch Jtalien mit zuruͤckgebracht, die Guͤte gehabt hat, mir mitzutheilen, sind folgende: La divina
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sich die Befugniß natuͤrlich noch weiter. Warum sollte es nicht eine pittoreske Begleitung der Poesie, nach Art der musikalischen, geben koͤnnen? Je staͤtiger sie waͤre, je liebevoller der Zeichner das Ganze des Gedichts umfaßte, desto kuͤhner duͤrfte er auch werden, desto mehr sich mit ganzer Seele auf die Seite werfen, wo er reich und maͤchtig ist, und den Dichter fuͤr das Uebrige sorgen lassen. So erhielte man das seltene aber entzuͤckende Schauspiel des Zusammenwirkens zweyer Kuͤnste, in Eintracht und ohne Dienstbarkeit. Der bildende Kuͤnstler gaͤbe uns ein neues Organ den Dichter zu fuͤhlen, und dieser dollmetschte wiederum in seiner hohen Mundart die reizende Chiffersprache der Linien und Formen.
Ein Englischer Bildhauer, John Flaxman, hat diese Jdee in zahlreichen Sammlungen von Umrissen zu Dante's goͤttlicher Komoͤdie, zur Jlias und Odyssee, und zu den Tragoͤdien des Aeschylus, mit so viel Verstand, Geist, und klassischem Schoͤnheitssinne ausgefuͤhrt, daß man ihn in seiner Gattung Erfinder nennen, und wuͤnschen muß, er moͤge bald gluͤckliche und selbstaͤndige Nachfolger darin finden. Diese Werke fuͤhrten mich durch den Gegensatz mit der herrschenden einheimischen Praxis auf obige Betrachtungen. Leider sind sie in Deutschland so selten *), und sollen es nunmehr auch
*) Die Titel dieser Sammlungen, welche ein sehr unterrichteter Architekt, Herr Heine in Dresden, der sie von einer Reise durch Jtalien mit zuruͤckgebracht, die Guͤte gehabt hat, mir mitzutheilen, sind folgende: La divina
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