Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Jch aber bin in Magdgestalt, Die Erdenhülle sinkt nun bald, Die ich auch jung verachtet. Das Auge, welches alles sieht, Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemüht, Jm Spiegel mich betrachtet. -- "Die Blüthe, die dem Herrn gefiel, Ward nicht der flücht'gen Jahre Spiel Holdseligste der Frauen! Du siehst allein der Schönheit Licht Auf Deinem reinen Antlitz nicht, Doch laß es andre schauen." "Bedenke nur der Gläub'gen Trost, Wann Du der Erde lang' entflohst, Vor Deinem Bild zu beten. Einst tönt Dir aller Zungen Preis, Dir lallt das Kind, Dir fleht der Greis, Sie droben zu vertreten." -- Wie ziemte mir so hoher Lohn? Vermocht' ich doch den theuren Sohn Vom Kreuz nicht zu entladen. Jch beuge selber spät und früh Jn brünstigem Gebet die Knie Dem Vater aller Gnaden. -- "O Jungfrau! weigre länger nicht:
Er sandte mir ein Traumgesicht, Und hieß mir, Dich zu mahlen. Von diesen Händen aufgestellt, Soll vor der weiten Christenwelt Die Mutter Gottes strahlen." -- Jch aber bin in Magdgestalt, Die Erdenhuͤlle sinkt nun bald, Die ich auch jung verachtet. Das Auge, welches alles sieht, Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemuͤht, Jm Spiegel mich betrachtet. — “Die Bluͤthe, die dem Herrn gefiel, Ward nicht der fluͤcht'gen Jahre Spiel Holdseligste der Frauen! Du siehst allein der Schoͤnheit Licht Auf Deinem reinen Antlitz nicht, Doch laß es andre schauen.” “Bedenke nur der Glaͤub'gen Trost, Wann Du der Erde lang' entflohst, Vor Deinem Bild zu beten. Einst toͤnt Dir aller Zungen Preis, Dir lallt das Kind, Dir fleht der Greis, Sie droben zu vertreten.” — Wie ziemte mir so hoher Lohn? Vermocht' ich doch den theuren Sohn Vom Kreuz nicht zu entladen. Jch beuge selber spaͤt und fruͤh Jn bruͤnstigem Gebet die Knie Dem Vater aller Gnaden. — “O Jungfrau! weigre laͤnger nicht:
Er sandte mir ein Traumgesicht, Und hieß mir, Dich zu mahlen. Von diesen Haͤnden aufgestellt, Soll vor der weiten Christenwelt Die Mutter Gottes strahlen.” — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0156" n="148"/> <lg n="6"> <l>Jch aber bin in Magdgestalt,</l><lb/> <l>Die Erdenhuͤlle sinkt nun bald,</l><lb/> <l>Die ich auch jung verachtet.</l><lb/> <l>Das Auge, welches alles sieht,</l><lb/> <l>Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemuͤht,</l><lb/> <l>Jm Spiegel mich betrachtet. —</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>“Die Bluͤthe, die dem Herrn gefiel,</l><lb/> <l>Ward nicht der fluͤcht'gen Jahre Spiel</l><lb/> <l>Holdseligste der Frauen!</l><lb/> <l>Du siehst allein der Schoͤnheit Licht</l><lb/> <l>Auf Deinem reinen Antlitz nicht,</l><lb/> <l>Doch laß es andre schauen.”</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>“Bedenke nur der Glaͤub'gen Trost,</l><lb/> <l>Wann Du der Erde lang' entflohst,</l><lb/> <l>Vor Deinem Bild zu beten.</l><lb/> <l>Einst toͤnt Dir aller Zungen Preis,</l><lb/> <l>Dir lallt das Kind, Dir fleht der Greis,</l><lb/> <l>Sie droben zu vertreten.” —</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Wie ziemte mir so hoher Lohn?</l><lb/> <l>Vermocht' ich doch den theuren Sohn</l><lb/> <l>Vom Kreuz nicht zu entladen.</l><lb/> <l>Jch beuge selber spaͤt und fruͤh</l><lb/> <l>Jn bruͤnstigem Gebet die Knie</l><lb/> <l>Dem Vater aller Gnaden. —</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>“O Jungfrau! weigre laͤnger nicht:</l><lb/> <l>Er sandte mir ein Traumgesicht,</l><lb/> <l>Und hieß mir, Dich zu mahlen.</l><lb/> <l>Von diesen Haͤnden aufgestellt,</l><lb/> <l>Soll vor der weiten Christenwelt</l><lb/> <l>Die Mutter Gottes strahlen.” —</l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [148/0156]
Jch aber bin in Magdgestalt,
Die Erdenhuͤlle sinkt nun bald,
Die ich auch jung verachtet.
Das Auge, welches alles sieht,
Weiß, daß ich nie, um Schmuck bemuͤht,
Jm Spiegel mich betrachtet. —
“Die Bluͤthe, die dem Herrn gefiel,
Ward nicht der fluͤcht'gen Jahre Spiel
Holdseligste der Frauen!
Du siehst allein der Schoͤnheit Licht
Auf Deinem reinen Antlitz nicht,
Doch laß es andre schauen.”
“Bedenke nur der Glaͤub'gen Trost,
Wann Du der Erde lang' entflohst,
Vor Deinem Bild zu beten.
Einst toͤnt Dir aller Zungen Preis,
Dir lallt das Kind, Dir fleht der Greis,
Sie droben zu vertreten.” —
Wie ziemte mir so hoher Lohn?
Vermocht' ich doch den theuren Sohn
Vom Kreuz nicht zu entladen.
Jch beuge selber spaͤt und fruͤh
Jn bruͤnstigem Gebet die Knie
Dem Vater aller Gnaden. —
“O Jungfrau! weigre laͤnger nicht:
Er sandte mir ein Traumgesicht,
Und hieß mir, Dich zu mahlen.
Von diesen Haͤnden aufgestellt,
Soll vor der weiten Christenwelt
Die Mutter Gottes strahlen.” —
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/156>, abgerufen am 26.06.2024. |