Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn das Leben nach der Mode ist noch Lebensärmer und treibt den Geist noch mehr ab, als das häusliche Treiben selbst; ein bunter, dürrer Sand, noch schlechter als jene dunkle Erde.

Eben darum sollten die Frauen mit ganzer Seele und ganzem Gemüthe nach dem Unendlichen und Heiligen streben, nichts so sorgfältig ausbilden, als den Sinn und die Fähigkeit dafür; und mit keiner Liebhaberey sollte es ihnen so Ernst seyn wie mit der Religion. Du siehst, ich halte es mit dem antiken Onkel im Wilhelm Meister, der da glaubt, das Gleichgewicht im menschlichen Leben könne nur durch Gegensätze erhalten werden. Doch nicht so streng wie der alte Jtaliäner, welcher den stillen, gefühlvollen Jüngeling zum Soldaten, den raschen, feurigen hingegen zum Religiösen erziehen will. Dieß letzte mißbillige ich indessen nur darum, weil ich alle sittliche Erziehung für ganz thöricht und ganz unerlaubt halte. Es kömmt nichts dabey heraus, bey diesen vorwitzigen Experimenten, als daß man den Menschen verkünstelt und sich an seinem Heiligsten vergreift, an seiner Jndividualität. Man kann und soll nicht mehr als den Zögling rechtlich und nützlich ziehen. Alles übrigmuß von den frühesten Zeiten an ganz allein ihm selbst überlassen bleiben, was und wie er will, auf seine eigne Gefahr. Und ich denke, wenn man jemand zum guten Bürger bildet, und ihn nach der Beschaffenheit seiner Umstände allerley tüchtige Gewerbe lehrt, übrigens aber der Entwickelung seiner Natur den freyesten möglichen Spielraum läßt: so hat man weit mehr gethan

Denn das Leben nach der Mode ist noch Lebensaͤrmer und treibt den Geist noch mehr ab, als das haͤusliche Treiben selbst; ein bunter, duͤrrer Sand, noch schlechter als jene dunkle Erde.

Eben darum sollten die Frauen mit ganzer Seele und ganzem Gemuͤthe nach dem Unendlichen und Heiligen streben, nichts so sorgfaͤltig ausbilden, als den Sinn und die Faͤhigkeit dafuͤr; und mit keiner Liebhaberey sollte es ihnen so Ernst seyn wie mit der Religion. Du siehst, ich halte es mit dem antiken Onkel im Wilhelm Meister, der da glaubt, das Gleichgewicht im menschlichen Leben koͤnne nur durch Gegensaͤtze erhalten werden. Doch nicht so streng wie der alte Jtaliaͤner, welcher den stillen, gefuͤhlvollen Juͤngeling zum Soldaten, den raschen, feurigen hingegen zum Religioͤsen erziehen will. Dieß letzte mißbillige ich indessen nur darum, weil ich alle sittliche Erziehung fuͤr ganz thoͤricht und ganz unerlaubt halte. Es koͤmmt nichts dabey heraus, bey diesen vorwitzigen Experimenten, als daß man den Menschen verkuͤnstelt und sich an seinem Heiligsten vergreift, an seiner Jndividualitaͤt. Man kann und soll nicht mehr als den Zoͤgling rechtlich und nuͤtzlich ziehen. Alles uͤbrigmuß von den fruͤhesten Zeiten an ganz allein ihm selbst uͤberlassen bleiben, was und wie er will, auf seine eigne Gefahr. Und ich denke, wenn man jemand zum guten Buͤrger bildet, und ihn nach der Beschaffenheit seiner Umstaͤnde allerley tuͤchtige Gewerbe lehrt, uͤbrigens aber der Entwickelung seiner Natur den freyesten moͤglichen Spielraum laͤßt: so hat man weit mehr gethan

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0015" n="7"/>
Denn das Leben nach der Mode ist noch Lebensa&#x0364;rmer und treibt den Geist noch mehr ab, als das ha&#x0364;usliche Treiben selbst; ein bunter, du&#x0364;rrer Sand, noch schlechter als jene dunkle Erde.</p><lb/>
          <p>Eben darum sollten die Frauen mit ganzer Seele und ganzem Gemu&#x0364;the nach dem Unendlichen und Heiligen streben, nichts so sorgfa&#x0364;ltig ausbilden, als den Sinn und die Fa&#x0364;higkeit dafu&#x0364;r; und mit keiner Liebhaberey sollte es ihnen so Ernst seyn wie mit der Religion. Du siehst, ich halte es mit dem antiken Onkel im Wilhelm Meister, der da glaubt, das Gleichgewicht im menschlichen Leben ko&#x0364;nne nur durch Gegensa&#x0364;tze erhalten werden. Doch nicht so streng wie der alte Jtalia&#x0364;ner, welcher den stillen, gefu&#x0364;hlvollen Ju&#x0364;ngeling zum Soldaten, den raschen, feurigen hingegen zum Religio&#x0364;sen erziehen will. Dieß letzte mißbillige ich indessen nur darum, weil ich alle sittliche Erziehung fu&#x0364;r ganz tho&#x0364;richt und ganz unerlaubt halte. Es ko&#x0364;mmt nichts dabey heraus, bey diesen vorwitzigen Experimenten, als daß man den Menschen verku&#x0364;nstelt und sich an seinem Heiligsten vergreift, an seiner Jndividualita&#x0364;t. Man kann und soll nicht mehr als den Zo&#x0364;gling rechtlich und nu&#x0364;tzlich ziehen. Alles u&#x0364;brigmuß von den fru&#x0364;hesten Zeiten an ganz allein ihm selbst u&#x0364;berlassen bleiben, was und wie er will, auf seine eigne Gefahr. Und ich denke, wenn man jemand zum guten Bu&#x0364;rger bildet, und ihn nach der Beschaffenheit seiner Umsta&#x0364;nde allerley tu&#x0364;chtige Gewerbe lehrt, u&#x0364;brigens aber der Entwickelung seiner Natur den freyesten mo&#x0364;glichen Spielraum la&#x0364;ßt: so hat man weit mehr gethan
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0015] Denn das Leben nach der Mode ist noch Lebensaͤrmer und treibt den Geist noch mehr ab, als das haͤusliche Treiben selbst; ein bunter, duͤrrer Sand, noch schlechter als jene dunkle Erde. Eben darum sollten die Frauen mit ganzer Seele und ganzem Gemuͤthe nach dem Unendlichen und Heiligen streben, nichts so sorgfaͤltig ausbilden, als den Sinn und die Faͤhigkeit dafuͤr; und mit keiner Liebhaberey sollte es ihnen so Ernst seyn wie mit der Religion. Du siehst, ich halte es mit dem antiken Onkel im Wilhelm Meister, der da glaubt, das Gleichgewicht im menschlichen Leben koͤnne nur durch Gegensaͤtze erhalten werden. Doch nicht so streng wie der alte Jtaliaͤner, welcher den stillen, gefuͤhlvollen Juͤngeling zum Soldaten, den raschen, feurigen hingegen zum Religioͤsen erziehen will. Dieß letzte mißbillige ich indessen nur darum, weil ich alle sittliche Erziehung fuͤr ganz thoͤricht und ganz unerlaubt halte. Es koͤmmt nichts dabey heraus, bey diesen vorwitzigen Experimenten, als daß man den Menschen verkuͤnstelt und sich an seinem Heiligsten vergreift, an seiner Jndividualitaͤt. Man kann und soll nicht mehr als den Zoͤgling rechtlich und nuͤtzlich ziehen. Alles uͤbrigmuß von den fruͤhesten Zeiten an ganz allein ihm selbst uͤberlassen bleiben, was und wie er will, auf seine eigne Gefahr. Und ich denke, wenn man jemand zum guten Buͤrger bildet, und ihn nach der Beschaffenheit seiner Umstaͤnde allerley tuͤchtige Gewerbe lehrt, uͤbrigens aber der Entwickelung seiner Natur den freyesten moͤglichen Spielraum laͤßt: so hat man weit mehr gethan

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/15
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/15>, abgerufen am 21.11.2024.