Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Scham ist wohl ein Gefühl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pietät sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend darüber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden.



Selbstentäußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller ächten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Jnnen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geräth nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbstthätige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn.



Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzügliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegenstände, der es nicht über sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen können und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert.



Hat man nun einmal die Liebhaberey fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen,

Scham ist wohl ein Gefuͤhl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pietaͤt sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend daruͤber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden.



Selbstentaͤußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller aͤchten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Jnnen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geraͤth nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbstthaͤtige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn.



Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzuͤgliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegenstaͤnde, der es nicht uͤber sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen koͤnnen und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert.



Hat man nun einmal die Liebhaberey fuͤrs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0088" n="77"/>
          <p>Scham ist wohl ein Gefu&#x0364;hl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pieta&#x0364;t sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend daru&#x0364;ber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Selbstenta&#x0364;ußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller a&#x0364;chten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Jnnen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, gera&#x0364;th nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbsttha&#x0364;tige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzu&#x0364;gliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegensta&#x0364;nde, der es nicht u&#x0364;ber sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen ko&#x0364;nnen und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Hat man nun einmal die Liebhaberey fu&#x0364;rs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0088] Scham ist wohl ein Gefuͤhl der Profanazion. Freundschaft, Liebe und Pietaͤt sollten geheimnißvoll behandelt werden. Man sollte nur in seltnen, vertrauten Momenten davon reden, sich stillschweigend daruͤber einverstehen. Vieles ist zu zart um gedacht, noch mehres um besprochen zu werden. Selbstentaͤußerung ist die Quelle aller Erniedrigung, so wie im Gegentheil der Grund aller aͤchten Erhebung. Der erste Schritt wird Blick nach Jnnen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geraͤth nur halb. Der zweyte Schritt muß wirksamer Blick nach Außen, selbstthaͤtige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn. Derjenige wird nie als Darsteller etwas vorzuͤgliches leisten, der nichts weiter darstellen mag, als seine Erfahrungen, seine Lieblingsgegenstaͤnde, der es nicht uͤber sich gewinnen kann, auch einen ganz fremden, ihm ganz uninteressanten Gegenstand, mit Fleiß zu studiren und mit Muße darzustellen. Der Darsteller muß alles darstellen koͤnnen und wollen. Dadurch entsteht der große Styl der Darstellung, den man mit Recht an Goethe so sehr bewundert. Hat man nun einmal die Liebhaberey fuͤrs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/88
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/88>, abgerufen am 18.05.2024.