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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Die Fantasie setzt die künftige Welt entweder in die Höhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. -- Nach Jnnen geht der geheimnißvolle Weg. Jn uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkörper hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt.



Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beym Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenständen geträumt haben. Wohl also denen, die hier schon von Sehen träumten! Sie werden früher die Glorie jener Welt ertragen können.



Wie kann ein Mensch Sinn für etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat? Was ich verstehn soll, muß sich in mir organisch entwickeln; und was ich zu lernen scheine, ist nur Nahrung, Jnzitament des Organismus.



Der Sitz der Seele ist da, wo sich Jnnenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.



Die Fantasie setzt die kuͤnftige Welt entweder in die Hoͤhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir traͤumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. — Nach Jnnen geht der geheimnißvolle Weg. Jn uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns duͤnken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkoͤrper hinweggeruͤckt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt.



Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beym Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenstaͤnden getraͤumt haben. Wohl also denen, die hier schon von Sehen traͤumten! Sie werden fruͤher die Glorie jener Welt ertragen koͤnnen.



Wie kann ein Mensch Sinn fuͤr etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat? Was ich verstehn soll, muß sich in mir organisch entwickeln; und was ich zu lernen scheine, ist nur Nahrung, Jnzitament des Organismus.



Der Sitz der Seele ist da, wo sich Jnnenwelt und Außenwelt beruͤhren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.



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[74/0085] Die Fantasie setzt die kuͤnftige Welt entweder in die Hoͤhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsychose zu uns. Wir traͤumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. — Nach Jnnen geht der geheimnißvolle Weg. Jn uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freylich innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders wird es uns duͤnken, wenn diese Verfinsterung vorbey, und der Schattenkoͤrper hinweggeruͤckt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn unser Geist hat entbehrt. Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beym Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenstaͤnden getraͤumt haben. Wohl also denen, die hier schon von Sehen traͤumten! Sie werden fruͤher die Glorie jener Welt ertragen koͤnnen. Wie kann ein Mensch Sinn fuͤr etwas haben, wenn er nicht den Keim davon in sich hat? Was ich verstehn soll, muß sich in mir organisch entwickeln; und was ich zu lernen scheine, ist nur Nahrung, Jnzitament des Organismus. Der Sitz der Seele ist da, wo sich Jnnenwelt und Außenwelt beruͤhren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/85>, abgerufen am 18.05.2024.