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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Die ächte Recension sollte die Auflösung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer litterarischen Recherche sey.



Zur Philologie muß man gebohren seyn, wie zur Poesie und zur Philosophie. Es giebt keinen Philologen ohne Philologie in der ursprünglichsten Bedeutung des Worts, ohne grammatisches Jnteresse. Philologie ist ein logischer Affekt, das Seitenstück der Philosophie, Enthusiasmus für chemische Erkenntniß: denn die Grammatik ist doch nur der philosophische Theil der universellen Scheidungs- und Verbindungskunst. Durch die kunstmäßige Ausbildung jenes Sinns entsteht die Kritik, deren Stoff nur das Klassische und schlechthin Ewige seyn kann, was nie ganz verstanden werden mag: sonst würden die Philologen, an deren meisten man die gewöhnlichsten und sichersten Merkmahle der unwissenschaftlichen Virtuosität wahrnimmt, ihre Geschicklichkeit eben so gern an jedem andern Stoff zeigen als an den Werken des Alterthums, für das sie in der Regel weder Jnteresse noch Sinn haben. Doch ist diese nothwendige Beschränktheit um so weniger zu tadeln oder zu beklagen, da auch hier die künstlerische Vollendung allein zur Wissenschaft führen, und die bloß formelle Philologie einer materialen Alterthumslehre und einer humanen Geschichte der Menschheit nähern muß. Besser als eine sogenannte Anwendung der Philosophie auf die Philologie im gewöhnlichen Styl derer, welche die

Die aͤchte Recension sollte die Aufloͤsung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer litterarischen Recherche sey.



Zur Philologie muß man gebohren seyn, wie zur Poesie und zur Philosophie. Es giebt keinen Philologen ohne Philologie in der urspruͤnglichsten Bedeutung des Worts, ohne grammatisches Jnteresse. Philologie ist ein logischer Affekt, das Seitenstuͤck der Philosophie, Enthusiasmus fuͤr chemische Erkenntniß: denn die Grammatik ist doch nur der philosophische Theil der universellen Scheidungs- und Verbindungskunst. Durch die kunstmaͤßige Ausbildung jenes Sinns entsteht die Kritik, deren Stoff nur das Klassische und schlechthin Ewige seyn kann, was nie ganz verstanden werden mag: sonst wuͤrden die Philologen, an deren meisten man die gewoͤhnlichsten und sichersten Merkmahle der unwissenschaftlichen Virtuositaͤt wahrnimmt, ihre Geschicklichkeit eben so gern an jedem andern Stoff zeigen als an den Werken des Alterthums, fuͤr das sie in der Regel weder Jnteresse noch Sinn haben. Doch ist diese nothwendige Beschraͤnktheit um so weniger zu tadeln oder zu beklagen, da auch hier die kuͤnstlerische Vollendung allein zur Wissenschaft fuͤhren, und die bloß formelle Philologie einer materialen Alterthumslehre und einer humanen Geschichte der Menschheit naͤhern muß. Besser als eine sogenannte Anwendung der Philosophie auf die Philologie im gewoͤhnlichen Styl derer, welche die

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[124/0313] Die aͤchte Recension sollte die Aufloͤsung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer litterarischen Recherche sey. Zur Philologie muß man gebohren seyn, wie zur Poesie und zur Philosophie. Es giebt keinen Philologen ohne Philologie in der urspruͤnglichsten Bedeutung des Worts, ohne grammatisches Jnteresse. Philologie ist ein logischer Affekt, das Seitenstuͤck der Philosophie, Enthusiasmus fuͤr chemische Erkenntniß: denn die Grammatik ist doch nur der philosophische Theil der universellen Scheidungs- und Verbindungskunst. Durch die kunstmaͤßige Ausbildung jenes Sinns entsteht die Kritik, deren Stoff nur das Klassische und schlechthin Ewige seyn kann, was nie ganz verstanden werden mag: sonst wuͤrden die Philologen, an deren meisten man die gewoͤhnlichsten und sichersten Merkmahle der unwissenschaftlichen Virtuositaͤt wahrnimmt, ihre Geschicklichkeit eben so gern an jedem andern Stoff zeigen als an den Werken des Alterthums, fuͤr das sie in der Regel weder Jnteresse noch Sinn haben. Doch ist diese nothwendige Beschraͤnktheit um so weniger zu tadeln oder zu beklagen, da auch hier die kuͤnstlerische Vollendung allein zur Wissenschaft fuͤhren, und die bloß formelle Philologie einer materialen Alterthumslehre und einer humanen Geschichte der Menschheit naͤhern muß. Besser als eine sogenannte Anwendung der Philosophie auf die Philologie im gewoͤhnlichen Styl derer, welche die

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/313>, abgerufen am 22.11.2024.