Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Willen zu erlangen. Der ausgezeichnet Kluge aber, der seine Handlungen so abmißt, daß nichts dabey herauskommen kann, als was er selbst beabsichtigt, macht uns für beydes bloß von seinem guten Willen abhängig; und wenn er nicht Wohlwollen besitzt, um mit Bewußtseyn und Freyheit in die Absichten Andrer hinein zu gehen, oder wenn es ihm an der Jronie fehlt, die ihn dahin bringen könnte, absichtlich sich aus seiner Klugheit herauszusetzen und sich mit Entsagung auf dieselbe als ein Naturwesen der Gesellschaft zum beliebigen Gebrauch hinzugeben: so ist es natürlich, daß wir die Stelle, die er in unserm Kreise einnimmt, von einem andern besetzt wünschen.



Das Geliebte zu vergöttern ist die Natur des Liebenden. Aber ein andres ist es, mit gespannter Jmaginazion ein fremdes Bild unterschieben und eine reine Vollkommenheit anstaunen, die uns nur darum als solche erscheint, weil wir noch nicht gebildet genug sind, um die unendliche Fülle der menschlichen Natur zu begreifen, und die Harmonie ihrer Widersprüche zu verstehn. Laura war des Dichters Werk. Dennoch konnte die wirkliche Laura ein Weib seyn, aus der ein nicht so einseitiger Schwärmer etwas weniger und etwas mehr als eine Heilige gemacht hätte.



Jdee zu einem Katechismus der Vernunft für edle Frauen. -- Die zehn Gebote. 1) Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm: aber du sollst Freundin

Willen zu erlangen. Der ausgezeichnet Kluge aber, der seine Handlungen so abmißt, daß nichts dabey herauskommen kann, als was er selbst beabsichtigt, macht uns fuͤr beydes bloß von seinem guten Willen abhaͤngig; und wenn er nicht Wohlwollen besitzt, um mit Bewußtseyn und Freyheit in die Absichten Andrer hinein zu gehen, oder wenn es ihm an der Jronie fehlt, die ihn dahin bringen koͤnnte, absichtlich sich aus seiner Klugheit herauszusetzen und sich mit Entsagung auf dieselbe als ein Naturwesen der Gesellschaft zum beliebigen Gebrauch hinzugeben: so ist es natuͤrlich, daß wir die Stelle, die er in unserm Kreise einnimmt, von einem andern besetzt wuͤnschen.



Das Geliebte zu vergoͤttern ist die Natur des Liebenden. Aber ein andres ist es, mit gespannter Jmaginazion ein fremdes Bild unterschieben und eine reine Vollkommenheit anstaunen, die uns nur darum als solche erscheint, weil wir noch nicht gebildet genug sind, um die unendliche Fuͤlle der menschlichen Natur zu begreifen, und die Harmonie ihrer Widerspruͤche zu verstehn. Laura war des Dichters Werk. Dennoch konnte die wirkliche Laura ein Weib seyn, aus der ein nicht so einseitiger Schwaͤrmer etwas weniger und etwas mehr als eine Heilige gemacht haͤtte.



Jdee zu einem Katechismus der Vernunft fuͤr edle Frauen. — Die zehn Gebote. 1) Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm: aber du sollst Freundin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0298" n="109"/>
Willen zu erlangen. Der ausgezeichnet Kluge aber, der seine Handlungen so abmißt, daß nichts dabey herauskommen kann, als was er selbst beabsichtigt, macht uns fu&#x0364;r beydes bloß von seinem guten Willen abha&#x0364;ngig; und wenn er nicht Wohlwollen besitzt, um mit Bewußtseyn und Freyheit in die Absichten Andrer hinein zu gehen, oder wenn es ihm an der Jronie fehlt, die ihn dahin bringen ko&#x0364;nnte, absichtlich sich aus seiner Klugheit herauszusetzen und sich mit Entsagung auf dieselbe als ein Naturwesen der Gesellschaft zum beliebigen Gebrauch hinzugeben: so ist es natu&#x0364;rlich, daß wir die Stelle, die er in unserm Kreise einnimmt, von einem andern besetzt wu&#x0364;nschen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Das Geliebte zu vergo&#x0364;ttern ist die Natur des Liebenden. Aber ein andres ist es, mit gespannter Jmaginazion ein fremdes Bild unterschieben und eine reine Vollkommenheit anstaunen, die uns nur darum als solche erscheint, weil wir noch nicht gebildet genug sind, um die unendliche Fu&#x0364;lle der menschlichen Natur zu begreifen, und die Harmonie ihrer Widerspru&#x0364;che zu verstehn. Laura war des Dichters Werk. Dennoch konnte die wirkliche Laura ein Weib seyn, aus der ein nicht so einseitiger Schwa&#x0364;rmer etwas weniger und etwas mehr als eine Heilige gemacht ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jdee zu einem Katechismus der Vernunft fu&#x0364;r edle Frauen. &#x2014; Die zehn Gebote. 1) Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm: aber du sollst Freundin<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0298] Willen zu erlangen. Der ausgezeichnet Kluge aber, der seine Handlungen so abmißt, daß nichts dabey herauskommen kann, als was er selbst beabsichtigt, macht uns fuͤr beydes bloß von seinem guten Willen abhaͤngig; und wenn er nicht Wohlwollen besitzt, um mit Bewußtseyn und Freyheit in die Absichten Andrer hinein zu gehen, oder wenn es ihm an der Jronie fehlt, die ihn dahin bringen koͤnnte, absichtlich sich aus seiner Klugheit herauszusetzen und sich mit Entsagung auf dieselbe als ein Naturwesen der Gesellschaft zum beliebigen Gebrauch hinzugeben: so ist es natuͤrlich, daß wir die Stelle, die er in unserm Kreise einnimmt, von einem andern besetzt wuͤnschen. Das Geliebte zu vergoͤttern ist die Natur des Liebenden. Aber ein andres ist es, mit gespannter Jmaginazion ein fremdes Bild unterschieben und eine reine Vollkommenheit anstaunen, die uns nur darum als solche erscheint, weil wir noch nicht gebildet genug sind, um die unendliche Fuͤlle der menschlichen Natur zu begreifen, und die Harmonie ihrer Widerspruͤche zu verstehn. Laura war des Dichters Werk. Dennoch konnte die wirkliche Laura ein Weib seyn, aus der ein nicht so einseitiger Schwaͤrmer etwas weniger und etwas mehr als eine Heilige gemacht haͤtte. Jdee zu einem Katechismus der Vernunft fuͤr edle Frauen. — Die zehn Gebote. 1) Du sollst keinen Geliebten haben neben ihm: aber du sollst Freundin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/298
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/298>, abgerufen am 22.11.2024.