Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen.



Manche haben es in Herrmann und Dorothea als einen großen Mangel an Delikatesse getadelt, daß der Jüngling seiner Geliebten, einer verarmten Bäurin, verstellter Weise den Vorschlag thut, als Magd in das Haus seiner guten Eltern zu kommen. Diese Kritiker mögen übel mit ihrem Gesinde umgehen.



Jhr verlangt immer neue Gedanken? Thut etwas neues, so läßt sich etwas neues darüber sagen.



Gewissen Lobrednern der vergangnen Zeiten unsrer Litteratur darf man kühnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir rühmen uns viel besser zu seyn denn unsre Väter.



Zum Glück wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie, als die Tugend auf die Moral, sonst hätten wir fürs erste keine Hoffnung zu einem Gedicht.



Die Pflicht ist Kants Eins und Alles. Aus Pflicht der Dankbarkeit behauptet er, müsse man die Alten vertheidigen und schätzen; und nur aus Pflicht ist er selbst ein großer Mann geworden.



Der Parisischen schönen Welt haben Geßners Jdyllen grade so gefallen, wie der an haut gout gewöhnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt.



Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen.



Manche haben es in Herrmann und Dorothea als einen großen Mangel an Delikatesse getadelt, daß der Juͤngling seiner Geliebten, einer verarmten Baͤurin, verstellter Weise den Vorschlag thut, als Magd in das Haus seiner guten Eltern zu kommen. Diese Kritiker moͤgen uͤbel mit ihrem Gesinde umgehen.



Jhr verlangt immer neue Gedanken? Thut etwas neues, so laͤßt sich etwas neues daruͤber sagen.



Gewissen Lobrednern der vergangnen Zeiten unsrer Litteratur darf man kuͤhnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir ruͤhmen uns viel besser zu seyn denn unsre Vaͤter.



Zum Gluͤck wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie, als die Tugend auf die Moral, sonst haͤtten wir fuͤrs erste keine Hoffnung zu einem Gedicht.



Die Pflicht ist Kants Eins und Alles. Aus Pflicht der Dankbarkeit behauptet er, muͤsse man die Alten vertheidigen und schaͤtzen; und nur aus Pflicht ist er selbst ein großer Mann geworden.



Der Parisischen schoͤnen Welt haben Geßners Jdyllen grade so gefallen, wie der an haut gout gewoͤhnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0193" n="4"/>
          <p>Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Manche haben es in Herrmann und Dorothea als einen großen Mangel an Delikatesse getadelt, daß der Ju&#x0364;ngling seiner Geliebten, einer verarmten Ba&#x0364;urin, verstellter Weise den Vorschlag thut, als Magd in das Haus seiner guten Eltern zu kommen. Diese Kritiker mo&#x0364;gen u&#x0364;bel mit ihrem Gesinde umgehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jhr verlangt immer neue Gedanken? Thut etwas neues, so la&#x0364;ßt sich etwas neues daru&#x0364;ber sagen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Gewissen Lobrednern der vergangnen Zeiten unsrer Litteratur darf man ku&#x0364;hnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir ru&#x0364;hmen uns viel besser zu seyn denn unsre Va&#x0364;ter.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Zum Glu&#x0364;ck wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie, als die Tugend auf die Moral, sonst ha&#x0364;tten wir fu&#x0364;rs erste keine Hoffnung zu einem Gedicht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die Pflicht ist Kants Eins und Alles. Aus Pflicht der Dankbarkeit behauptet er, mu&#x0364;sse man die Alten vertheidigen und scha&#x0364;tzen; und nur aus Pflicht ist er selbst ein großer Mann geworden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Der Parisischen scho&#x0364;nen Welt haben Geßners Jdyllen grade so gefallen, wie der an <foreign xml:lang="la">haut gout</foreign> gewo&#x0364;hnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0193] Was gute Gesellschaft genannt wird, ist meistens nur eine Mosaik von geschliffnen Karikaturen. Manche haben es in Herrmann und Dorothea als einen großen Mangel an Delikatesse getadelt, daß der Juͤngling seiner Geliebten, einer verarmten Baͤurin, verstellter Weise den Vorschlag thut, als Magd in das Haus seiner guten Eltern zu kommen. Diese Kritiker moͤgen uͤbel mit ihrem Gesinde umgehen. Jhr verlangt immer neue Gedanken? Thut etwas neues, so laͤßt sich etwas neues daruͤber sagen. Gewissen Lobrednern der vergangnen Zeiten unsrer Litteratur darf man kuͤhnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir ruͤhmen uns viel besser zu seyn denn unsre Vaͤter. Zum Gluͤck wartet die Poesie eben so wenig auf die Theorie, als die Tugend auf die Moral, sonst haͤtten wir fuͤrs erste keine Hoffnung zu einem Gedicht. Die Pflicht ist Kants Eins und Alles. Aus Pflicht der Dankbarkeit behauptet er, muͤsse man die Alten vertheidigen und schaͤtzen; und nur aus Pflicht ist er selbst ein großer Mann geworden. Der Parisischen schoͤnen Welt haben Geßners Jdyllen grade so gefallen, wie der an haut gout gewoͤhnte Gaum sich manchmal an Milchspeisen labt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/193
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/193>, abgerufen am 24.11.2024.