mögen, schwerlich ganz an poetischer Energie fehlt. Auf dem Grund und Boden solcher Mährlein ist der Feenpallast des göttlichen Meisters Ariosto erbaut; und es könnte schon deswegen anziehend seyn, sie in ihrer ursprünglichen rohen Treuherzigkeit vorgeführt zu sehen, um damit die welschen Umbildungen eines hellen und feinen Verstandes zu vergleichen. Der jüngste und gewaltigste unter den Heymonskindern, Reynold, ist Ariosto's Rinaldo, Figliuol d'Amon, Signor di Mont' Albano; und sein Pferd Bayart, das in der Geschichte eine so große Rolle spielt, und zuletzt der Aussöhnung seines Herrn mit Kaiser Karl aufgeopfert und ertränkt wird (eine Begebenheit, welche Kindern und auch Erwachsenen, welche sich noch nicht gegen dergleichen abgehärtet haben, immer eine große Rührung kosten wird, wie der Hund Argos beym Homer) ist derselbe Bayardo, der gleich zu Anfang des Orlando furioso so klug, gewandt und stark erscheint. Hat dieß treffliche Roß etwa keinen Karakter, weil die Motive seiner Handlungen nicht gründlich genug nach der Pferdepsychologie zergliedert worden sind? Das ist nun so die Art der Poesie, daß sie die lebendigen Kräfte hinstellt, unbekümmert um das Problem, warum ihre Eigenthümlichkeit grade diese und keine andre ist. Wenn nicht ein geheimer Grund zu einem bestimmten Daseyn in ihnen läge, so wären es ja eben keine Naturen.
Jn der wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter
moͤgen, schwerlich ganz an poetischer Energie fehlt. Auf dem Grund und Boden solcher Maͤhrlein ist der Feenpallast des goͤttlichen Meisters Ariosto erbaut; und es koͤnnte schon deswegen anziehend seyn, sie in ihrer urspruͤnglichen rohen Treuherzigkeit vorgefuͤhrt zu sehen, um damit die welschen Umbildungen eines hellen und feinen Verstandes zu vergleichen. Der juͤngste und gewaltigste unter den Heymonskindern, Reynold, ist Ariosto's Rinaldo, Figliuol d'Amon, Signor di Mont' Albano; und sein Pferd Bayart, das in der Geschichte eine so große Rolle spielt, und zuletzt der Aussoͤhnung seines Herrn mit Kaiser Karl aufgeopfert und ertraͤnkt wird (eine Begebenheit, welche Kindern und auch Erwachsenen, welche sich noch nicht gegen dergleichen abgehaͤrtet haben, immer eine große Ruͤhrung kosten wird, wie der Hund Argos beym Homer) ist derselbe Bayardo, der gleich zu Anfang des Orlando furioso so klug, gewandt und stark erscheint. Hat dieß treffliche Roß etwa keinen Karakter, weil die Motive seiner Handlungen nicht gruͤndlich genug nach der Pferdepsychologie zergliedert worden sind? Das ist nun so die Art der Poesie, daß sie die lebendigen Kraͤfte hinstellt, unbekuͤmmert um das Problem, warum ihre Eigenthuͤmlichkeit grade diese und keine andre ist. Wenn nicht ein geheimer Grund zu einem bestimmten Daseyn in ihnen laͤge, so waͤren es ja eben keine Naturen.
Jn der wundersamen Liebesgeschichte der schoͤnen Magelone und des Grafen Peter
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0182"n="171"/>
moͤgen, schwerlich ganz an poetischer Energie fehlt. Auf dem Grund und Boden solcher Maͤhrlein ist der Feenpallast des goͤttlichen Meisters Ariosto erbaut; und es koͤnnte schon deswegen anziehend seyn, sie in ihrer urspruͤnglichen rohen Treuherzigkeit vorgefuͤhrt zu sehen, um damit die welschen Umbildungen eines hellen und feinen Verstandes zu vergleichen. Der juͤngste und gewaltigste unter den Heymonskindern, Reynold, ist Ariosto's Rinaldo,<lb/><hirendition="#et"><foreignxml:lang="it">Figliuol d'Amon, Signor di Mont' Albano;</foreign></hi><lb/>
und sein Pferd Bayart, das in der Geschichte eine so große Rolle spielt, und zuletzt der Aussoͤhnung seines Herrn mit Kaiser Karl aufgeopfert und ertraͤnkt wird (eine Begebenheit, welche Kindern und auch Erwachsenen, welche sich noch nicht gegen dergleichen abgehaͤrtet haben, immer eine große Ruͤhrung kosten wird, wie der Hund Argos beym Homer) ist derselbe Bayardo, der gleich zu Anfang des Orlando <foreignxml:lang="la">furioso</foreign> so klug, gewandt und stark erscheint. Hat dieß treffliche Roß etwa keinen Karakter, weil die Motive seiner Handlungen nicht gruͤndlich genug nach der Pferdepsychologie zergliedert worden sind? Das ist nun so die Art der Poesie, daß sie die lebendigen Kraͤfte hinstellt, unbekuͤmmert um das Problem, warum ihre Eigenthuͤmlichkeit grade diese und keine andre ist. Wenn nicht ein geheimer Grund zu einem bestimmten Daseyn in ihnen laͤge, so waͤren es ja eben keine Naturen.</p><lb/><p>Jn der <hirendition="#g">wundersamen Liebesgeschichte der schoͤnen Magelone und des Grafen Peter<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[171/0182]
moͤgen, schwerlich ganz an poetischer Energie fehlt. Auf dem Grund und Boden solcher Maͤhrlein ist der Feenpallast des goͤttlichen Meisters Ariosto erbaut; und es koͤnnte schon deswegen anziehend seyn, sie in ihrer urspruͤnglichen rohen Treuherzigkeit vorgefuͤhrt zu sehen, um damit die welschen Umbildungen eines hellen und feinen Verstandes zu vergleichen. Der juͤngste und gewaltigste unter den Heymonskindern, Reynold, ist Ariosto's Rinaldo,
Figliuol d'Amon, Signor di Mont' Albano;
und sein Pferd Bayart, das in der Geschichte eine so große Rolle spielt, und zuletzt der Aussoͤhnung seines Herrn mit Kaiser Karl aufgeopfert und ertraͤnkt wird (eine Begebenheit, welche Kindern und auch Erwachsenen, welche sich noch nicht gegen dergleichen abgehaͤrtet haben, immer eine große Ruͤhrung kosten wird, wie der Hund Argos beym Homer) ist derselbe Bayardo, der gleich zu Anfang des Orlando furioso so klug, gewandt und stark erscheint. Hat dieß treffliche Roß etwa keinen Karakter, weil die Motive seiner Handlungen nicht gruͤndlich genug nach der Pferdepsychologie zergliedert worden sind? Das ist nun so die Art der Poesie, daß sie die lebendigen Kraͤfte hinstellt, unbekuͤmmert um das Problem, warum ihre Eigenthuͤmlichkeit grade diese und keine andre ist. Wenn nicht ein geheimer Grund zu einem bestimmten Daseyn in ihnen laͤge, so waͤren es ja eben keine Naturen.
Jn der wundersamen Liebesgeschichte der schoͤnen Magelone und des Grafen Peter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/182>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.