Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Am ersten ließe sich wohl in Natur und Buhlerey der bessre Lafontaine wieder finden. Der junge Mann ist freylich nicht so ausgezeichnet, wie er dafür gelten soll. Er sehnt sich nach dem Lande; er schmähet die Stadt, es ist ihm mit seinen Gefühlen zu eng darin. Was so einen Menschen drückt, das könnte man am Ende wie eine Feder wegblasen. Werthers Leiden gingen ein wenig tiefer, als daß er über das Lächeln einiger artigen Mädchen spekulirt haben sollte, wenn es ihm eingefallen wäre, getrocknete Jasminblüthen aus dem väterlichen Garten zu küssen. Warum braucht Lafontaine hier auch so zur Unzeit Ton und Wendungen, die eine solche Vergleichung, noch so flüchtig, herbeyziehen? Dazu paßt nachher der pathetische Ruf des Freundes, der den Eduard Bomston macht, vollkommen. "Jch befehle dir Jüngling, dort zu bleiben und deine Laufbahn zu vollenden!" Der Jüngling predigt mit unendlichem Feuer von seinen Gefühlen und der Ewigkeit, und vertheidigt mit leidenschaftlicher Hitze die Eindrücke der Jugend. Das dekontenanzirt die Weltleute gar sehr, und daraus wird seine große Überlegenheit dargethan. Durch eine wohlthätige Handlung schlägt seine Geliebte allen Verdacht gegen die Güte und Aufrichtigkeit ihres Karakters bey ihm nieder; darüber kann Lafontaine also wieder nicht hinaus. Was aber die beyden Mädchen und sonst den Gang der Geschichte betrifft, so ist Wärme und jener feinere Glanz in der Behandlung, welche von Lafontaine die angenehme Hoffnung erregten, er würde im Fach der Erzählungen

Am ersten ließe sich wohl in Natur und Buhlerey der bessre Lafontaine wieder finden. Der junge Mann ist freylich nicht so ausgezeichnet, wie er dafuͤr gelten soll. Er sehnt sich nach dem Lande; er schmaͤhet die Stadt, es ist ihm mit seinen Gefuͤhlen zu eng darin. Was so einen Menschen druͤckt, das koͤnnte man am Ende wie eine Feder wegblasen. Werthers Leiden gingen ein wenig tiefer, als daß er uͤber das Laͤcheln einiger artigen Maͤdchen spekulirt haben sollte, wenn es ihm eingefallen waͤre, getrocknete Jasminbluͤthen aus dem vaͤterlichen Garten zu kuͤssen. Warum braucht Lafontaine hier auch so zur Unzeit Ton und Wendungen, die eine solche Vergleichung, noch so fluͤchtig, herbeyziehen? Dazu paßt nachher der pathetische Ruf des Freundes, der den Eduard Bomston macht, vollkommen. „Jch befehle dir Juͤngling, dort zu bleiben und deine Laufbahn zu vollenden!“ Der Juͤngling predigt mit unendlichem Feuer von seinen Gefuͤhlen und der Ewigkeit, und vertheidigt mit leidenschaftlicher Hitze die Eindruͤcke der Jugend. Das dekontenanzirt die Weltleute gar sehr, und daraus wird seine große Überlegenheit dargethan. Durch eine wohlthaͤtige Handlung schlaͤgt seine Geliebte allen Verdacht gegen die Guͤte und Aufrichtigkeit ihres Karakters bey ihm nieder; daruͤber kann Lafontaine also wieder nicht hinaus. Was aber die beyden Maͤdchen und sonst den Gang der Geschichte betrifft, so ist Waͤrme und jener feinere Glanz in der Behandlung, welche von Lafontaine die angenehme Hoffnung erregten, er wuͤrde im Fach der Erzaͤhlungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0177" n="166"/>
          <p>Am ersten ließe sich wohl in <hi rendition="#g">Natur und Buhlerey</hi> der bessre Lafontaine wieder finden. Der junge Mann ist freylich nicht so ausgezeichnet, wie er dafu&#x0364;r gelten soll. Er sehnt sich nach dem Lande; er schma&#x0364;het die Stadt, es ist ihm mit seinen Gefu&#x0364;hlen zu eng darin. Was so einen Menschen dru&#x0364;ckt, das ko&#x0364;nnte man am Ende wie eine Feder wegblasen. Werthers Leiden gingen ein wenig tiefer, als daß er u&#x0364;ber das La&#x0364;cheln einiger artigen Ma&#x0364;dchen spekulirt haben sollte, wenn es ihm eingefallen wa&#x0364;re, getrocknete Jasminblu&#x0364;then aus dem va&#x0364;terlichen Garten zu ku&#x0364;ssen. Warum braucht Lafontaine hier auch so zur Unzeit Ton und Wendungen, die eine solche Vergleichung, noch so flu&#x0364;chtig, herbeyziehen? Dazu paßt nachher der pathetische Ruf des Freundes, der den Eduard Bomston macht, vollkommen. &#x201E;Jch befehle dir Ju&#x0364;ngling, dort zu bleiben und deine Laufbahn zu vollenden!&#x201C; Der Ju&#x0364;ngling predigt mit unendlichem Feuer von seinen Gefu&#x0364;hlen und der Ewigkeit, und vertheidigt mit leidenschaftlicher Hitze die Eindru&#x0364;cke der Jugend. Das dekontenanzirt die Weltleute gar sehr, und daraus wird seine große Überlegenheit dargethan. Durch eine wohltha&#x0364;tige Handlung schla&#x0364;gt seine Geliebte allen Verdacht gegen die Gu&#x0364;te und Aufrichtigkeit ihres Karakters bey ihm nieder; daru&#x0364;ber kann Lafontaine also wieder nicht hinaus. Was aber die beyden Ma&#x0364;dchen und sonst den Gang der Geschichte betrifft, so ist Wa&#x0364;rme und jener feinere Glanz in der Behandlung, welche von Lafontaine die angenehme Hoffnung erregten, er wu&#x0364;rde im Fach der Erza&#x0364;hlungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0177] Am ersten ließe sich wohl in Natur und Buhlerey der bessre Lafontaine wieder finden. Der junge Mann ist freylich nicht so ausgezeichnet, wie er dafuͤr gelten soll. Er sehnt sich nach dem Lande; er schmaͤhet die Stadt, es ist ihm mit seinen Gefuͤhlen zu eng darin. Was so einen Menschen druͤckt, das koͤnnte man am Ende wie eine Feder wegblasen. Werthers Leiden gingen ein wenig tiefer, als daß er uͤber das Laͤcheln einiger artigen Maͤdchen spekulirt haben sollte, wenn es ihm eingefallen waͤre, getrocknete Jasminbluͤthen aus dem vaͤterlichen Garten zu kuͤssen. Warum braucht Lafontaine hier auch so zur Unzeit Ton und Wendungen, die eine solche Vergleichung, noch so fluͤchtig, herbeyziehen? Dazu paßt nachher der pathetische Ruf des Freundes, der den Eduard Bomston macht, vollkommen. „Jch befehle dir Juͤngling, dort zu bleiben und deine Laufbahn zu vollenden!“ Der Juͤngling predigt mit unendlichem Feuer von seinen Gefuͤhlen und der Ewigkeit, und vertheidigt mit leidenschaftlicher Hitze die Eindruͤcke der Jugend. Das dekontenanzirt die Weltleute gar sehr, und daraus wird seine große Überlegenheit dargethan. Durch eine wohlthaͤtige Handlung schlaͤgt seine Geliebte allen Verdacht gegen die Guͤte und Aufrichtigkeit ihres Karakters bey ihm nieder; daruͤber kann Lafontaine also wieder nicht hinaus. Was aber die beyden Maͤdchen und sonst den Gang der Geschichte betrifft, so ist Waͤrme und jener feinere Glanz in der Behandlung, welche von Lafontaine die angenehme Hoffnung erregten, er wuͤrde im Fach der Erzaͤhlungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/177
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/177>, abgerufen am 18.05.2024.