Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Arnaud" (St. Julien) und verwechselte mit Poesie die Art von Feuer, welche die Franzosen mit dem Ausdruck Verve bezeichnen, und die er in vollem Maße besitzt. Feinere Schattirungen deuteten bey alle dem auf Anlagen, von denen man, vorausgesetzt daß der Schreiber noch ein Jüngling war, eine bedeutende Entwicklung hoffen durfte. Solche Zugaben, wie das Gegenstück zu den Gamnitischen Heyrathen, oder Kunigunde, ließ man unbeachtet hingehn, wie manche einzelne Flecken an seinen mehr ausgearbeiteten Erzählungen. Die erste auffallende und nicht zu entschuldigende Jndelikatesse beging er an Julien in: Liebe und Redlichkeit auf der Probe, und daß er den Rudolf von Werdenberg nicht von solchen Auswüchsen wie die Begebenheit mit Heloisen rein erhielt, zeigt, wie sehr es ihm an Sinn für die Einheit und organische Bildung eines Werkes fehlte, und daß er sich im mindesten nicht um Zeichnung, sondern nur um ein üppiges Kolorit bekümmerte. Dieses liefert ihm die bloße Leidenschaftlichkeit, ohne irgend einen ächt geistigen oder schön sinnlichen Zusatz, hinlänglich. Er gesteht selbst in der Vorrede zur zweyten Auflage der Gewalt der Liebe, daß er nur Eine Empfindung des menschlichen Herzens beleuchte (in welchem Sinn seine sämmtlichen Schriften die Gewalt der Liebe heißen könnten) und von dieser nur ein paar Seiten. Schlimm genug, daß er von allen nur die gemeinste und schwächste aufzufassen wußte! Schlimm genug, daß die ersten Reime in einen bloßen Blätterreichthum aufgegangen sind,

Arnaud“ (St. Julien) und verwechselte mit Poesie die Art von Feuer, welche die Franzosen mit dem Ausdruck Verve bezeichnen, und die er in vollem Maße besitzt. Feinere Schattirungen deuteten bey alle dem auf Anlagen, von denen man, vorausgesetzt daß der Schreiber noch ein Juͤngling war, eine bedeutende Entwicklung hoffen durfte. Solche Zugaben, wie das Gegenstuͤck zu den Gamnitischen Heyrathen, oder Kunigunde, ließ man unbeachtet hingehn, wie manche einzelne Flecken an seinen mehr ausgearbeiteten Erzaͤhlungen. Die erste auffallende und nicht zu entschuldigende Jndelikatesse beging er an Julien in: Liebe und Redlichkeit auf der Probe, und daß er den Rudolf von Werdenberg nicht von solchen Auswuͤchsen wie die Begebenheit mit Heloisen rein erhielt, zeigt, wie sehr es ihm an Sinn fuͤr die Einheit und organische Bildung eines Werkes fehlte, und daß er sich im mindesten nicht um Zeichnung, sondern nur um ein uͤppiges Kolorit bekuͤmmerte. Dieses liefert ihm die bloße Leidenschaftlichkeit, ohne irgend einen aͤcht geistigen oder schoͤn sinnlichen Zusatz, hinlaͤnglich. Er gesteht selbst in der Vorrede zur zweyten Auflage der Gewalt der Liebe, daß er nur Eine Empfindung des menschlichen Herzens beleuchte (in welchem Sinn seine saͤmmtlichen Schriften die Gewalt der Liebe heißen koͤnnten) und von dieser nur ein paar Seiten. Schlimm genug, daß er von allen nur die gemeinste und schwaͤchste aufzufassen wußte! Schlimm genug, daß die ersten Reime in einen bloßen Blaͤtterreichthum aufgegangen sind,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="153"/>
Arnaud&#x201C; (St. Julien) und verwechselte mit Poesie die Art von Feuer, welche die Franzosen mit dem Ausdruck <foreign xml:lang="la">Verve</foreign> bezeichnen, und die er in vollem Maße besitzt. Feinere Schattirungen deuteten bey alle dem auf Anlagen, von denen man, vorausgesetzt daß der Schreiber noch ein Ju&#x0364;ngling war, eine bedeutende Entwicklung hoffen durfte. Solche Zugaben, wie das Gegenstu&#x0364;ck zu den Gamnitischen Heyrathen, oder <hi rendition="#g">Kunigunde,</hi> ließ man unbeachtet hingehn, wie manche einzelne Flecken an seinen mehr ausgearbeiteten Erza&#x0364;hlungen. Die erste auffallende und nicht zu entschuldigende Jndelikatesse beging er an Julien in: <hi rendition="#g">Liebe und Redlichkeit auf der Probe,</hi> und daß er den <hi rendition="#g">Rudolf von Werdenberg</hi> nicht von solchen Auswu&#x0364;chsen wie die Begebenheit mit Heloisen rein erhielt, zeigt, wie sehr es ihm an Sinn fu&#x0364;r die Einheit und organische Bildung eines Werkes fehlte, und daß er sich im mindesten nicht um Zeichnung, sondern nur um ein u&#x0364;ppiges Kolorit beku&#x0364;mmerte. Dieses liefert ihm die bloße Leidenschaftlichkeit, ohne irgend einen a&#x0364;cht geistigen oder scho&#x0364;n sinnlichen Zusatz, hinla&#x0364;nglich. Er gesteht selbst in der Vorrede zur zweyten Auflage der <hi rendition="#g">Gewalt der Liebe</hi>, daß er nur Eine Empfindung des menschlichen Herzens beleuchte (in welchem Sinn seine sa&#x0364;mmtlichen Schriften die Gewalt der Liebe heißen ko&#x0364;nnten) und von dieser nur ein paar Seiten. Schlimm genug, daß er von allen nur die gemeinste und schwa&#x0364;chste aufzufassen wußte! Schlimm genug, daß die ersten Reime in einen bloßen Bla&#x0364;tterreichthum aufgegangen sind,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0164] Arnaud“ (St. Julien) und verwechselte mit Poesie die Art von Feuer, welche die Franzosen mit dem Ausdruck Verve bezeichnen, und die er in vollem Maße besitzt. Feinere Schattirungen deuteten bey alle dem auf Anlagen, von denen man, vorausgesetzt daß der Schreiber noch ein Juͤngling war, eine bedeutende Entwicklung hoffen durfte. Solche Zugaben, wie das Gegenstuͤck zu den Gamnitischen Heyrathen, oder Kunigunde, ließ man unbeachtet hingehn, wie manche einzelne Flecken an seinen mehr ausgearbeiteten Erzaͤhlungen. Die erste auffallende und nicht zu entschuldigende Jndelikatesse beging er an Julien in: Liebe und Redlichkeit auf der Probe, und daß er den Rudolf von Werdenberg nicht von solchen Auswuͤchsen wie die Begebenheit mit Heloisen rein erhielt, zeigt, wie sehr es ihm an Sinn fuͤr die Einheit und organische Bildung eines Werkes fehlte, und daß er sich im mindesten nicht um Zeichnung, sondern nur um ein uͤppiges Kolorit bekuͤmmerte. Dieses liefert ihm die bloße Leidenschaftlichkeit, ohne irgend einen aͤcht geistigen oder schoͤn sinnlichen Zusatz, hinlaͤnglich. Er gesteht selbst in der Vorrede zur zweyten Auflage der Gewalt der Liebe, daß er nur Eine Empfindung des menschlichen Herzens beleuchte (in welchem Sinn seine saͤmmtlichen Schriften die Gewalt der Liebe heißen koͤnnten) und von dieser nur ein paar Seiten. Schlimm genug, daß er von allen nur die gemeinste und schwaͤchste aufzufassen wußte! Schlimm genug, daß die ersten Reime in einen bloßen Blaͤtterreichthum aufgegangen sind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/164
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/164>, abgerufen am 23.11.2024.