Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.Dies ist der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Jndividuums. Es giebt aber einseitige und wechselseitige Berührungen. Jene begründen diese. Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazität für das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazität. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unächter Skeptizismus, aus indirekter Schwäche unsers Erkenntnißvermögens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Köpfe und der Schwärmer, so wie der glückliche Griff des geistvollen Anfängers oder Layen leicht erklärbar. Welten bauen genügt dem tiefer dringenden Sinn nicht: Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist. Wir stehen in Verhältnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit. Es hängt nur von der Richtung und Dauer unsrer Dies ist der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Jndividuums. Es giebt aber einseitige und wechselseitige Beruͤhrungen. Jene begruͤnden diese. Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazitaͤt fuͤr das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazitaͤt. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unaͤchter Skeptizismus, aus indirekter Schwaͤche unsers Erkenntnißvermoͤgens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Koͤpfe und der Schwaͤrmer, so wie der gluͤckliche Griff des geistvollen Anfaͤngers oder Layen leicht erklaͤrbar. Welten bauen genuͤgt dem tiefer dringenden Sinn nicht: Aber ein liebendes Herz saͤttigt den strebenden Geist. Wir stehen in Verhaͤltnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit. Es haͤngt nur von der Richtung und Dauer unsrer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0110" n="99"/> Dies ist der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Jndividuums. Es giebt aber einseitige und wechselseitige Beruͤhrungen. Jene begruͤnden diese.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazitaͤt fuͤr das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazitaͤt. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unaͤchter Skeptizismus, aus indirekter Schwaͤche unsers Erkenntnißvermoͤgens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Koͤpfe und der Schwaͤrmer, so wie der gluͤckliche Griff des geistvollen Anfaͤngers oder Layen leicht erklaͤrbar.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l>Welten bauen genuͤgt dem tiefer dringenden Sinn nicht:<lb/></l><lb/> <l>Aber ein liebendes Herz saͤttigt den strebenden Geist.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wir stehen in Verhaͤltnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit. Es haͤngt nur von der Richtung und Dauer unsrer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0110]
Dies ist der Grund aller synthetischen Modifikazionen des Jndividuums. Es giebt aber einseitige und wechselseitige Beruͤhrungen. Jene begruͤnden diese.
Je unwissender man von Natur ist, desto mehr Kapazitaͤt fuͤr das Wissen. Jede neue Erkenntniß macht einen viel tiefern, lebendigern Eindruck. Man bemerkt dieses deutlich beym Eintritt in eine Wissenschaft. Daher verliert man durch zu vieles Studiren an Kapazitaͤt. Es ist eine der ersten Unwissenheit entgegengesetzte Unwissenheit. Jene ist Unwissenheit aus Mangel, diese aus Überfluß der Erkenntnisse. Letztere pflegt die Symptome des Skeptizismus zu haben. Es ist aber ein unaͤchter Skeptizismus, aus indirekter Schwaͤche unsers Erkenntnißvermoͤgens. Man ist nicht im Stande die Masse zu durchdringen, und sie in bestimmter Gestalt vollkommen zu beleben: die plastische Kraft reicht nicht zu. So wird der Erfindungsgeist junger Koͤpfe und der Schwaͤrmer, so wie der gluͤckliche Griff des geistvollen Anfaͤngers oder Layen leicht erklaͤrbar.
Welten bauen genuͤgt dem tiefer dringenden Sinn nicht:
Aber ein liebendes Herz saͤttigt den strebenden Geist.
Wir stehen in Verhaͤltnissen mit allen Theilen des Universums, so wie mit Zukunft und Vorzeit. Es haͤngt nur von der Richtung und Dauer unsrer
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/110>, abgerufen am 16.02.2025. |